Kirchliches Amt

Amt ist nicht ein biblischer, sondern ein soziologischer Begriff für jenes Organ in einer schon hoch organisierten Gemeinschaft, dem die Kompetenz und die Verpflichtung zukommen, im Interesse der Gemeinschaft für diese verbindlich tätig zu werden.

Israel hatte zur Zeit Jesu einen so hohen Organisationsgrad, daß es Ämter mit definierten Funktionen in Kultus, Lehre u. Leitung besaß. Wenn Jesus auch einem engeren Schülerkreis Anteil an seiner Sendung gab, so macht doch seine Hoffnung, ganz Israel gewinnen und in kurzer Zeit die Herrschaft Gottes verwirklichen zu können (Naherwartung), die Gründung eigentlicher Ämter durch ihn unwahrscheinlich. Die Jüngerschaft der in die Nachfolge Jesu Gerufenen ist nicht mit einem Kirchliches Amt identisch, denn »hinter« oder gar »unter« den Jüngern gab es nicht die einfache Gemeinde, sondern sie selber waren diese Gemeinde. Diskutiert wird, ob noch von Jesus selber (durch eine Krise ausgelöst?) im Kreis der Zwölf und in einer besonderen Beauftragung des Petrus Ansätze zu einer späteren Ämterbildung in der Jesus nachfolgenden Gemeinde gegeben wurden.

Die Entstehung kirchlicher Ämter in den frühchristlichen Gemeinden folgt unterschiedlichen Motiven und Modellen: jeweils anders fungieren Paulus als Apostel in »seinen« Gemeinden und die Altapostel in Jerusalem; eine Vielzahl von Aufgaben zeichnet sich ab, ohne daß daraus notwendigerweise stabile Ämter erwachsen müssen; eher aus dem hebräischen Muttergrund tritt die Einrichtung der Ältesten (Presbyter) hervor, aus dem hellenistischen Kulturkreis die der Diakone und der Episkopen. Insofern sich die Gemeinden unter dem Antrieb des Heiligen Geistes wissen, werden sowohl freie Gaben (Charisma) als auch institutionellere Funktionen im Werden und Bestehen auf ihn zurückgeführt. Innerhalb des NT, aber spät bezeugen die Pastoralbriefe Ämter, Amtsübertragungen durch Handauflegung und andere Elemente einer Gemeindeordnung; zeitlich noch früher sind die Ansätze zu einer Amtstheologie im Klemensbrief (um 96) u. zu einer Bischofstheologie bei Ignatius von Antiochien († um 110), die jedoch lediglich lokale Auffassungen wiedergeben. Jedenfalls wird aber schon in ntl. Zeit der Auftrag des Amtes, der kirchlichen Einheit zu dienen, deutlich.

In der weiteren Entwicklung treten in der Amtstheologie hervor: Die sinnenfällige Vergegenwärtigung Gottes bzw. Jesu Christi in der Gemeinde, ein »priesterlicher Dienst« zweiten Grades als Gehilfen und Vertreter der Episkopen vom 3. Jh. an (Priestertum), mit der Tendenz vom 4. Jh. an, in der Amtsübertragung nicht nur den Aspekt der Ordnung, sondern auch den des »Könnens« (der späteren »Vollmacht«) im sakramentalen Bereich zu sehen. Drei Stufen einer Hierarchie des Amtes (Bischof, Priester, Diakon) bilden sich heraus, mit der Konzentration der »Fülle« des Amtes zunächst auf den Bischof, später, besonders unter fränkischem Einfluß, auf den Priester, eine Entwicklung, die die Ostkirchen nicht mitmachen (Synode) und die das II. Vaticanum rückgängig zu machen suchte. Funktionen, die nicht durch das Weihesakrament übertragen wurden, galten zunehmend nicht mehr als eigentliche kirchliche Ämter. Faktisch traten Institutionen und Charismen weitgehend auseinander.

Die Frage nach der »Vollmacht« war eng verbunden mit der Frage nach der Legitimität der Amtsübertragung, d.h. im Kontext der Sorge um die kirchliche Einheit stellte sich (angesichts gnostischer und rigoristischer Sektenbildungen) die Aufgabe der Wahrung der kirchlichen Identität durch amtliche Rückbindung an die Kirche der Apostel (Successio apostolica). Des weiteren wurde über die Gültigkeit von Amtshandlungen von Amtsträgern außerhalb der Großkirche (Streit um die Ketzertaufe und um den Donatismus) und von unwürdigen Amtsträgern diskutiert. Im kirchlichen Altertum wurden Kandidaten für das kirchliche Amt häufig vom Volk bzw. von einer Gemeinde benannt, wenn auch die Amtsübertragung durch die Handauflegung anderer Amtsträger geschah. Im Zug der mittelalterlichen Zentralisierungs- und Feudalisierungstendenzen kam diese Mitwirkung in der katholischen Kirche abhanden; sie konnte auch mit der weltweiten Verbreitung demokratischen Bewußtseins bisher nicht wieder Fuß fassen.

Das Amtsverständnis der orthodoxen Ostkirchen ist eher noch stärker auf den Bischof konzentriert, wobei die liturgisch-sakramentale Auffassung dominiert; die dreistufige Weihehierarchie entspricht der römisch-katholischen; Laien werden mit Lehr- und Verwaltungsaufgaben betraut.

In reformatorischer Sicht bedarf die Kirche zur Sicherung des Dienstes an Wort und Sakrament eines Amtes, das insoweit auch auf Gottes Willen und Stiftung zurückgeführt werden kann. Seine konkrete Ausgestaltung ist der Kirche überlassen. Gegenüber der Unterscheidung von Klerus und Laien und der Stufenhierarchie, die insgesamt als nicht schriftgemäß bezeichnet werden, betonen die Reformatoren die gemeinsame Berufung und Weihe aller Glaubenden. Da in den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen die Rückbindung an die Kirche der Apostel durch aufeinanderfolgende Amtsübertragungen unterbrochen wurde, haben die Ämter in diesen Kirchen in offizieller römisch-katholischer Sicht »Mängel« (II. Vaticanum UR 22), ungeachtet der Rückbindung im Glauben an die Norm des Anfangs.

In Reaktion auf die Reformation lehrte die römisch-katholische Kirche verbindlich, daß nicht alle Christen hinsichtlich des Dienstes am Wort Gottes und an den Sakramenten die gleiche Befugnis haben, daß vielmehr kraft »göttlichen Rechts« eine in Bischöfe, Priester und dienende Weihegrade gestufte Hierarchie in der Kirche besteht (vor allem Konzil von Trient). Den ökumenischen Aufgaben suchte sie dadurch gerecht zu werden, daß sie die Lehre von den drei Ämtern Christi aufnahm. Schon im Altertum hat man von Hebr aus das Priestertum imd von den messianischen Texten aus das Königtum Jesu Christi thematisiert. Eine um das Prophetenamt erweiterte Ämtertrias vertrat vor allem J. Calvin († 1564). Nach der Lehre des II. Vaticanums (besonders in LG) haben die Mitglieder der Kirche in unterschiedlicher, gestufter Weise in der Fortführung der Sendung Jesu Christi Anteil an seinen Ämtern (»munera«). Diese Sicht steht theologisch nicht ausgeglichen neben der traditionellen Auffassung von den zwei »Gewalten« oder »Vollmachten« (»potestates«) in der Kirche, der Leitung (Lehr- und Hirten-Amt) und der Weihe oder Heiligung (Priester-Amt).

Heutige Probleme

Ein weitgehender Konsens besteht darüber, daß die Kirche nicht nur eine spontan-charismatische, sondern auch eine geschichtlich-institutionelle Gemeinschaft ist und daher das Amt notwendigerweise zu ihr gehört; auch darüber, daß das Amt – in einem allgemeinen Sinn – von Gott gewollt ist, weil er das Bleiben der Kirche will. Da das Amt wie alles Institutionelle in Struktur und Funktionen zutiefst von dieser, zum Vergehen bestimmten, Welt geprägt ist, unterliegt es der Gefahr, sich der Welt (in Herrschsucht, Ungerechtigkeit, Selbstdarstellung usw.) gleichförmig zu machen. Die Frage nach einer ausdrücklichen »Stiftung« des Amtes oder der Ämter durch Gott in Jesus Christus kann, historisch enggeführt, unlösbare Aporien aufwerfen, wenn nicht die geschichtliche Entfaltung (mit konkreten, situationsbedingten Ausdifferenzierungen) des Amtes als geistgewirkt und damit als legitim anerkannt wird. Damit ist nicht geleugnet, daß in der Anfangszeit der Glaubensgemeinschaft bleibende und wesensnotwendige Aufgaben geoffenbart wurden. Es kann aber bezweifelt werden, daß sich damit der Unterschied zwischen göttlichen und menschlichen Amtsgründungen (»Ius divinum« – »humanum«) rechtfertigen läßt. Trotz aller Bemühungen ist das Verhältnis des Amtes zur Gemeinschaft der Glaubenden insgesamt noch nicht geklärt, z. B. die Frage nach einer Kontrolle des Amtes, nach der Pflicht, einen Konsens zu suchen (Lehramt), nach der Mitwirkung bei der Bestellung von Amtsträgern usw.

Anzeige: In der Tiefe der Wüste. Perspektiven für Gottes Volk heute. Von Michael Gerber