Herr Kardinal, um ehrlich zu sein, fallt es mir sehr schwer, jemandem zu erklären, was Synodalität bedeutet. Können Sie mir helfen?
Kardinal Mario Grech: In seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ hat Papst Franziskus versucht, einer Gesellschaft Antworten zu geben, die es leid ist, dass Menschen alleine gehen, und die um Hilfe schreit. Wir leben in einer Zeit, in welcher der Individualismus leider erschreckend ist. Aber in der Kirche gibt es keinen Platz für Individualismus. Wir sind das Volk Gottes, berufen als Gemeinschaft. Indem er uns einlädt, synodaler zu sein, sagt uns der Heilige Vater, dass wir wiedererkennen sollen, was „Volk Gottes“ wirklich bedeutet. Wenn wir es schaffen, uns auf andere einzulassen, wenn wir es schaffen, einen gemeinschaftlicheren Geist zu entwickeln, wäre das ein großer Schritt nach vorne. Nicht nur in der Kirche.
In diesem Sinne ist die Synode der Synodalität nur der Anfang eines langen, eines ewigen Prozesses?
Grech: Die Synode ist der Startschuss. Es ist eine Gelegenheit, über die Notwendigkeit nachzudenken, als Kirche synodaler zu werden. Und um herauszufinden, welche Wege es gibt, synodaler zu sein. Oder wie wir bestehende Wege der Synodalität starken und effektiver gestalten können.
Dieser Prozess hat begonnen. Sind Sie mit dem Start und dem Fortschritt zufrieden?
Grech: Ja, die Signale, die wir aus verschiedenen Teilen der Welt erhalten, sind positiv. Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg. Ich war beispielsweise gerade im Libanon. Und ich war überrascht über die Begeisterung vor Ort. Wenn Sie mich fragen, ob alle an Bord sind: Nein. Einige Diözesen zögern. Aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Nach und nach werden sie sich dem Prozess anschließen. Schließlich ist Synodalität keine Agenda oder zusätzliche Arbeit. Sie liegt in unserer Natur als Kirche. Wir können nicht nicht synodal sein.
Sie haben den Diözesen Dokumente und Richtlinien zur Verfügung gestellt.
Grech: Unsere Aufgabe ist es nicht, vorzugeben, sondern zu begleiten. Wir wollen unseren Brüdern und Schwestern helfen, „den Worten Taten folgen zu lassen“. Wir haben eine Idee, wir machen Fortschritte und wir sind auf dem Weg. Einige sagen, wir hatten bereits das Abschlussdokument erstellt. Das stimmt aber nicht. Es ist immer noch ein leeres weises Blatt.
Haben Sie bereits Beitrage von verschiedenen Diözesen erhalten oder gelesen?
Grech: Der Einsendeschluss ist im August. Bisher haben wir einige Antworten von Diözesen erhalten. Und bei uns ist eine beträchtliche Anzahl an individuellen Beitragen eingegangen. Auch diese Möglichkeit gibt es. Wir ermutigen jedoch alle, ihren Beitrag bei den Ortskirchen einzureichen, denn die Universalkirche besteht in und aus den lokalen Kirchen.
Was ist Ihr nächster Schritt?
Grech: Sobald wir alle Ergebnisse erhalten haben, beginnen wir mit der Erstellung des ersten Dokuments für die kontinentale Stufe. In der Vergangenheit hat das Synodensekretariat ein oder zwei Theologen mit der Ausarbeitung des Dokuments betraut. Ich werde stattdessen eine Gruppe von 24 bis 30 Experten aus der ganzen Welt zusammenbringen. Gemeinsam gehen wir zwei Wochen in Klausur, um alle Einreichungen zu analysieren und den ersten Entwurf des Dokuments, des Instrumentum Laboris, für die nächste Phase zu erstellen. Es wird eine synodale und spirituelle Erfahrung sein.
Haben Sie die Mitglieder bereits ausgewählt?
Grech: Ja, aus der ganzen Welt und aus unterschiedlichen Bereichen. Manner und Frauen. Selbstverständlich. Die meisten von ihnen sind bereits am synodalen Prozess beteiligt.
Und danach?
Grech: Sobald dieses Dokument gebilligt wurde, geht es wieder an alle Bischofe. Und wir bitten alle Bischofe, die für ihre Synode Verantwortlichen einzuberufen, um über das Dokument in Bezug auf die kontinentale Ebene nachzudenken. Dann wird es die kontinentalen Synodenversammlungen geben. Das wird im nächsten Jahr, Januar bis Marz, stattfinden. Wir denken an sieben kontinentale Treffen. Ich habe auch eine Task Force eingerichtet, die diese Treffen begleiten wird.
Wie viele Personen arbeiten im Sekretariat?
Grech: Wir sind 14. Aber ich habe vier Kommissionen eingerichtet: die theologische, eine spirituelle, eine methodische und eine für Kommunikation mit insgesamt 70 bis 80 Personen. Und alle sind sehr gerne bereit, uns zu helfen.
Welches Feedback erhalten Sie aus der Kurie?
Grech: Es gab noch kein Treffen mit der ganzen Kurie, aber wir haben versucht, alle Dikasterien zu besuchen. Die allgemeine Resonanz war recht positiv. Und von allen Dikasterien wird erwartet, dass sie ihren Beitrag zur ersten Runde einreichen. Ich weiß zudem, dass einige der Dikasterien in ihren eigenen Buros einen synodalen Prozess durchfuhren, an dem alle Mitarbeiter beteiligt sind. Sie wurden vor kurzem daran erinnert.
Gab es auf Ihren Reisen immer die gleichen Probleme, die Ihnen vorgebracht wurden?
Grech: Ich bin mit den Leuten, die ich getroffen habe, nicht ins Detail gegangen. Manchmal gibt es Listen von Themen. Wenn ich reise, versuche ich zuzuhören und zu ermutigen, und diese Leute ermutigen mich sehr. Ich habe vor allem das Gefühl, dass es eine große Begeisterung für die Synode gibt.
Warum? Weil die Menschen sich gehört fühlen?
Grech: Ja, sie schätzen es, dass sie jetzt eine weitere Möglichkeit haben, ihre Stimme zu erheben. Und das zu einem bestimmten Thema: für eine synodale Kirche. Ich gehe davon aus, dass es Beitrage geben wird, die sich mit anderen Themen befassen, aber das Hauptthema ist: eine synodale Kirche. Und ich glaube, dass wir, sobald wir synodaler sind, auch in einer besseren Position sind, um andere Probleme anzugehen.
Was ist, wenn es kein Feedback gibt? Wenn eine Diözese nicht teilnehmen will?
Grech: Das wird passieren. Ich habe zum Beispiel einen Brief erhalten, in dem uns mitgeteilt wurde, dass der Bischof in einer bestimmten Diözese nicht überzeugt ist und den Prozess nicht organisiert. Aber der Nuntius in diesem Land war klug genug, sich direkt an die Gläubigen zu wenden und sie zu ermutigen, ihm ihre Beitrage zu schicken. Wir alle werden gebeten, einen Beitrag zu leisten, niemand wird ausgeschlossen.
Werfen wir einen Blick auf den deutschen Synodalen Weg, der seit geraumer Zeit im Gange ist. Es gibt vorläufige Ergebnisse. Wurden diese Ihnen vorgelegt?
Grech: Nein, niemand hat uns die vorläufigen Ergebnisse offiziell vorgelegt. Aber ich verstehe das. Bis zum 5. Juni, als die Apostolische Konstitution „Praedicate evangelium“ in Kraft trat, waren wir das „Generalsekretariat der Bischofssynode“. Und in diesem Sinn nicht verantwortlich für eine Synodenversammlung. Erst jetzt sind wir das „Generalsekretariat fur die Synode“. Das ist mehr als eine Namensänderung.
Haben Sie die bisherigen Ergebnisse gelesen?
Grech: Ich versuche, dem Prozess zu folgen. Aber für mich ist es eine Sache, dem zu folgen, was veröffentlicht wird, und eine andere, dem zu folgen, was wirklich vor sich geht. Es ist ein Prozess. Vielleicht hatte die Kommunikation im Allgemeinen besser sein können. Dies hatte zu einem besseren Verständnis der Geschehnisse in Deutschland beigetragen. Ich habe Vertrauen in die katholische Kirche in Deutschland und in die Bischofe, dass sie wissen, was sie tun.
Sie sind von Bischof Dr. Georg Bätzing offiziell nach Deutschland eingeladen worden. Haben Sie Ihre Reise schon geplant?
Grech: Noch nicht. Ich wurde offiziell eingeladen, aber damals war es mir nicht möglich zu fahren.
Und werden Sie in absehbarer Zeit nach Deutschland reisen?
Grech: Ich schließe es nicht aus.
Halt Sie etwas ab?
Grech: Nein, absolut nicht. Ich stehe in gutem Kontakt mit Bischof Georg Bätzing.
Welche Themen mochten Sie mit den Mitgliedern des deutschen Synodalen Weges diskutieren?
Grech: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich an der laufenden Diskussion beteiligen kann. Dasselbe mochte ich über das Plenarkonzil in Australien sagen. Wir müssen die Ortskirchen respektieren. Wenn wir um Hilfe gebeten werden, ist das etwas anderes. Ich wurde wahrscheinlich das allgemeine Prinzip der Synodalität in der katholischen Kirche betonen. Es gibt das gegenseitige Zuhören des Volkes Gottes – alle eingeschlossen –, dann gibt es die Kollegialität. Jeder Bischof ist Teil des Kollegiums der Bischofe. Und da ist Petrus – das Prinzip der Einheit und Gewissheit. Diese drei Ebenen müssen eingehalten werden – immer.
Es gab Kritik am deutschen Synodalen Weg von verschiedenen Kirchen, zum Beispiel aus Polen. Wissen Sie, warum?
Grech: Ich kann nicht sagen, warum es diese Kritik gab. Aber ich stimme nicht mit der Methode überein, die von den Kritikern verwendet wurde. Nicht in diesem Stil. Ich denke, eine brüderliche Korrektur und ein Dialog sind etwas sehr Positives. Warum aber eine öffentliche Denunziation? Das hilft nicht. Es polarisiert nur zusätzlich.
Haben Sie ähnliche Kontroversen in anderen Ländern in Bezug auf andere synodale Wege gesehen, zum Beispiel in Australien?
Grech: Ich habe den Eindruck, dass bestimmte Themen, die in Deutschland diskutiert werden,
auch an anderen Orten diskutiert werden. Aber auch hier gibt es unterschiedliche Wege, wie man diese Themen diskutieren kann. Ich mochte Ihnen ein Beispiel nennen. Ich hatte gerade mein Amt angetreten. Und einer der ersten Briefe, die ich erhielt, war von einem Bischof, der soeben einen diözesanen Synodenprozess abgeschlossen hatte. Er schrieb mir, dass er, bevor er mit dem Prozess begann, seiner Diözese gesagt hatte, bestimmte Themen konnten nicht innerhalb des Prozesses diskutiert werden, weil es nicht seine Kompetenz als Diözesanbischof sei, sich damit zu befassen. Aber am Ende diskutierten die Leute trotzdem über genau diese Themen. Also fragte er mich, ob er diese Themen ignorieren oder in das Abschlussdokument aufnehmen sollte. Ich habe ihm gesagt, er solle dazu stehen, was er zu Beginn gesagt hatte, ohne diese Themen zu ignorieren oder zu verwerfen. Und ich habe ihm gesagt, er solle ein anderes Dokument, einen Anhang, schreiben und diesen ebenfalls der zuständigen Autorität vorlegen.
Wissen Sie, wie die Resonanz in der Diözese war?
Grech: Nein, aber ich habe den Eindruck, die Gemeinschaft hat es gut aufgenommen. Weil der Bischof zuhörte. Fragen sind nicht nur wichtig, sondern notwendig. Was mich wirklich beunruhigt, ist, wenn es keine Fragen gibt. Fragen bedeuten, dass wir am Leben sind und uns weiterentwickeln.
Muss es Ergebnisse geben, welche die Dinge am Ende eines synodalen Prozesses andern?
Grech: Das Hauptziel dieses Prozesses ist es, den Willen Gottes zu finden. Um seinen Willen besser zu verstehen. Und 2020 ist nicht 1020 und auch nicht 2000. Wir müssen Gott treu sein. Und gleichzeitig müssen wir die richtigen Antworten für die Menschen heute finden.