Wie kommt es, dass Du sowas noch in Deinem Bücherschrank stehen hast?“, fragte mich kürzlich ein gutkatholischer Theologe und deutete dabei auf ein abgenutztes Buch: Erich Fromms „Haben oder Sein“. Er hätte sogar sagen können: Warum besitzt Du denn gleich zwei Ausgaben – eine abgenutzte und eine neue?
Das zerlesene Exemplar, erinnere ich mich, ist durch viele Hände gegangen. Menschen, denen ich vertrauen konnte, habe ich dieses Buch geborgt. Die haben es dann sorgfältig in Zeitungspapier eingeschlagen, um den Autor und seinen Text vor den Augen der Zensur zu schützen. Der Sozialphilosoph galt in der DDR nämlich als Persona non grata: als Wissenschaftler auf Abwegen.
Warum das so war? Die Antwort darauf lässt sich schon auf der allerersten Seite seines Buches ausmachen. Da befinden sich Zitate von Meister Eckhart und von Karl Marx direkt hintereinander. Sie machen deutlich, was Fromm damals so gefährlich machte: Er brachte das Christentum und den Marxismus eng miteinander ins Gespräch. Mir, dem Erfurter Theologiestudenten, der sich das Werk auf abenteuerliche Weise – geschmuggelt aus „dem Westen“ – besorgt hatte, half es vor der Zeitenwende von 1989 ungemein, mit jungen Leuten, Skeptikern, Sinnsuchern, Gläubigen wie Nichtgläubigen, ins Gespräch zu kommen.
Damals hat der zirkulierende Text Menschen geholfen, ein freieres und reicheres Leben zu führen. Und heute? Die Grundfrage „Haben oder Sein“ hat sich auch 125 Jahre nach Fromms Geburt, der zunächst Rabbiner werden wollte, nicht erübrigt. Wir leben in einer Gesellschaft, die mit Angst, Gier, Einsamkeit und Nihilismus zu kämpfen hat – wo solidarischer Zusammenhalt kostbar ist.
„Die Gier ist immer das Ergebnis tiefer Enttäuschung“, habe ich mir in dem zerlesenen Band mit bewegter Geschichte angestrichen. „Ob es um die Gier nach Macht, nach Essen oder etwas anderem geht, die Gier ist immer das Ergebnis einer inneren Leere.“ Ich finde, manchmal klingt der säkulare Denker wie ein spiritueller Klassiker.