TerrorismusWas Hamas und "Islamischen Staat" unterscheidet

Der "Islamische Staat" stand wie keine andere Terrorgruppe für entgrenzte Gewalt und Grausamkeit. Teilt er sich diesen Platz inzwischen mit der Hamas? Die beiden Milizen verbinden vor allem erbitterte Gegensätze.

Gewitter
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Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober zogen israelische Politiker und Medien bald Vergleiche zwischen der Palästinenserorganisation und der Schreckensmiliz "Islamischer Staat" (IS). Der barbarische Massenmord an über 1.000 Zivilisten, darunter auch Kinder, erinnerte in der Tat an die enthemmte Grausamkeit des IS, der von 2013 bis 2017 große Teile Syriens und des Irak kontrollierte, tausende Andersgläubige und Muslime umbrachte und als bisher brutalste islamistische Terrorgruppe gilt.

IS-Videos aus der Hölle zeigten damals, wie Kinder der Terroristen Gefangenen in den Kopf schießen, Menschen vor laufender Kamera enthauptet, in Käfigen lebendig verbrannt und an Kreuze genagelt werden. In Deutschland wurde später ein IS-Pärchen verurteilt, das ein fünfjähriges jesidisches Mädchen tagelang angekettet in der Sonne verdursten ließ.

Die israelische Gleichsetzung von Hamas und IS dürfte vor allem den Zweck verfolgen, ein ähnlich hartes militärisches Vorgehen im Gazastreifen zu begründen, wie es der Westen und Russland gegen die Fanatiker in Syrien/Irak anwendeten. "Hamas sollte genauso behandelt werden, wie der IS behandelt wurde", forderte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei einem Treffen mit US-Außenminister Anthony Blinken.

Zu dieser Zeit kursierten noch Berichte über abgeschnittene Babyköpfe, die letztlich nicht verifiziert wurden. Wagt man tatsächlich den makabren Versuch eines Abgleichs der sadistischsten Folter- und Mordmethoden, dürfte der IS vorerst noch die Rangfolge des Grauens anführen. Die Verbrechen der Hamas werden dadurch nicht geringer.

Daneben gibt es erhebliche Unterschiede – sogar erbitterte Gegensätze – zwischen beiden Gruppen, die sich schon aus ihren jeweiligen Ursprüngen ergeben. Die "Bewegung des islamischen Widerstands" (Hamas) entstand 1987 zu Beginn der Ersten Intifada aus dem palästinensischen Zweig der sunnitischen Muslimbrüder im Gazastreifen. Die 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbrüder sind weltweit aktiv und die einflussreichste Kraft des Islamismus. In ihrem Kampf für den Gottesstaat setzten sie einerseits auf die legale Durchdringung von Gesellschaften, etwa durch religiöse Erziehung und soziale Angebote, andererseits auf Gewalt, gerade auch gegen Israel, das "islamischen Boden" okkupiert habe.

Yusuf al-Qaradawi, einer ihrer führenden Rechtsgelehrten, billigte in den 1990er Jahren ausdrücklich Selbstmordattentate gegen israelische Zivilisten. Zugleich stehen die Muslimbrüder für eine gewisse Pragmatik. Von einem globalen Kalifat träumen sie zwar, ihre Ableger passen sich aber der politischen Realität an, akzeptieren die Existenz von Nationalstaaten und gründeten in der islamischen Welt fundamentalistische Parteien.

Als Produkt der Muslimbrüder ist auch die Hamas politische Partei, Sozialwerk und Terrorgruppe in einem. Ihre Charta von 1988 nennt als Ziele die Auslöschung Israels und Gründung eines palästinensischen Staates auf Basis der Scharia. Dabei strotzt sie vor antisemitischen Anwürfen aus der muslimischen Tradition, aber auch dem über 100 Jahre alten Hass-Pamphlet der "Protokolle der Weisen von Zion". Ein Nachfolgedokument der Hamas-Charta aus dem Jahr 2017 erwähnt zwar die Möglichkeit, den Staat Israel in den Grenzen von 1967 anzuerkennen, sein Wert ist jedoch umstritten.

Wichtig ist, dass sich die Hamas als nationale Widerstandsbewegung begreift. Der Islamismus ist zwar fester Bestandteil ihrer Ideologie, dient aber vor allem der identitären Mobilisierung und Fanatisierung - als religiöses Mittel zum politischen Zweck. Im Vordergrund steht der regionale Blick auf die nationalistische Sache Palästinas.

Der "Islamische Staat" verkörpert das umgekehrte Modell. Die Terrormiliz propagiert den globalen Dschihad für einen islamischen Weltstaat. Ihr "Kalifat" in Syrien und dem Irak sollte dafür lediglich dessen Keimzelle sein.

Theologisches Fundament des IS, der als Ableger von Al-Kaida im Irak entstand, ist der Salafismus. Nicht alle Salafisten sind dschihadistisch. Doch alle orientieren sich rigide am Islam der ersten Jahrhunderte oder was sie dafür halten. Den Muslimbrüdern warfen Salafisten immer wieder vor, mit ihrer "gemäßigteren" politischen Linie, ja selbst durch westliche Kleidung dagegen zu verstoßen. Oft kommt es zum "takfir", bei dem salafistische Prediger andere Muslime zu Ungläubigen erklären.

Hinzu kommt: Den "Heiligen Krieg" sehen dschihadistische Bewegungen wie der IS als ständige Verpflichtung und sechste Säule des Islam. Aus Sicht der IS-Terroristen ist selbst die Hamas in ihrem Kampf und Islamverständnis nicht radikal genug. Mit dem Ziel eines palästinensischen Nationalstaats folge sie letztlich einem westlichen Konzept, statt den Westen global zu bekämpfen. Als Frevel verurteilten die Dschihadisten, dass die Hamas mehrfach mit Israel verhandelt hat und Waffenstillstände einging. Auch ihre Beteiligung an Wahlen und die gelegentliche Kooperation mit der säkularen Fatah im Westjordanland gilt als Sünde. Ein weiterer Vorwurf lautet, die Scharia werde im Gazastreifen nicht ausreichend durchgesetzt, wo neben moderaten Muslimen auch Christen leben.

Zudem lehnt der "Islamische Staat" das Zweckbündnis zwischen der sunnitischen Hamas und dem schiitischen Iran bzw. der von Teheran gesteuerten Hisbollah-Miliz im Libanon strikt ab. Der sunnitische IS wurde von Schiiten im Irak und der Assad-treuen Hisbollah im syrischen Bürgerkrieg erbittert bekämpft. Eine "antagonistische Kooperation" wie sie die Hamas mit den Ayatollahs pflegt, ist für Salafisten undenkbar.

Auch als internationale Akteure sind die beiden Organisationen nicht vergleichbar. Zwar wird die Hamas von etlichen Staaten als Terrorgruppe eingestuft. Sie verfügt aber neben Iran in arabischen Ländern und der Türkei über mehr oder weniger offenen Rückhalt. Katar, ihr Hauptfinanzier, beherbergt die Zentrale der Organisation. Die Vereinten Nationen kommen im Gazastreifen um eine Zusammenarbeit mit der seit 2007 regierenden Hamas gar nicht herum.

Dagegen steht der IS weltweit im kriminellen Abseits, erst recht seit seiner Niederlage in Syrien und dem Irak. Zwar operieren seine Zellen und Metastasen von Nahost und Afrika bis Afghanistan und Europa weiter. Doch anders als die Hamas ist der IS von den UN als terroristische Gruppierung offiziell geächtet. Eine mögliche Unterstützung durch staatliche oder private Akteure erfordert zumindest Tarnung.

Das Danish Institute for International Studies kam Ende Oktober zu dem Schluss: "Der IS ist ein erbitterter Gegner der Hamas und beide Gruppen haben sich wiederholt gegeneinander ausgesprochen." Mit Blick auf die Menschenrechte hat dieser Befund allerdings geringe Bedeutung und wiegen die Gemeinsamkeiten beider Terrorgruppen deutlich schwerer.

Beide erklären das Töten von Juden und Anschläge auf Zivilisten zum legitimen Mittel. Beide vertreten einen menschenverachtenden fundamentalistischen Islam, der die Rechte von Frauen, Andersgläubigen und Homosexuellen mit Füßen tritt. Beide huldigen einem mörderischen Kult des Märtyrertums. Und beide mobilisieren die dunkelsten Seiten ihrer Religion für die Eroberung politischer Macht.

Von Christoph Schmidt
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