ÖRK-Zentralausschuss tagt erstmals in Genf"Nicht vor der Welt verstecken"

Die erste Tagung des bei der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe 2022 neu gewählten Zentralausschusses (ZA) fand in dessen 75. Jubiläumsjahr statt. Ein überwiegend erneuertes Team aus aller Welt fand sich Ende Juni in Genf ein. Die Gründung des Weltkirchenrats am 22. August 1948 hat selbst eine lange Vorgeschichte und wurde nun gefeiert.

Heinrich Bedford-Strohm und Jerry Pillay
© Albin Hillert/WCC

Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I, sprach im Eröffnungsgottesdienst deutliche Worte als Vertreter eines der Gründungsmitglieder. Bereits 1920 hatte die Kirche von Konstantinopel die "Verfassungscharta" für den beginnenden Prozess zur Gründung des ÖRK unterzeichnet. Nun sei "die christlich-orthodoxe Hingabe zu unserer eigenen grundlegenden Einheit durch die Invasion der Ukraine durch die Russische Föderation im Februar 2022 zutiefst verletzt" worden. Der Patriarch sprach von einer "tiefen Wunde, die sich auf die Weltorthodoxie ausgebreitet hat"; es gelte "die Schmerzen, die Verluste und die zynische Realpolitik zu lindern, die der orthodoxen Kirche aufgezwungen wurde". Bartholomaios äußerte sich dankbar dafür, das der ÖRK "sich hinter den Friedensfürsten gestellt hat und für die Unterstützung der im Entstehen begriffenen Demokratie in der Ukraine und des frommen und edlen ukrainischen Volkes".

Weiter meinte Bartholomaios, "die kirchliche Präsenz des Moskauer Patriarchats in der Ukraine" suche nach Wegen, "um sich von der staatlichen Aggressor-Kirche unter Patriarch Kyrill eindeutig zu unterscheiden". Er fügte hinzu: "Wir sagen 'staatliche' Kirche, da der Beleg in der Ausrichtung zu finden ist, nicht in der Selbstbehauptung. Diese harte und schmerzhafte Realität hat bereits zu Generationsleid für die Zukunft des orthodoxen Christentums in den slawischen Ländern geführt. Wir alle beten für ein schnelles und gerechtes Ende dieser unnötigen imperialistischen Kampagne und für ein Ende der überflüssigen und rücksichtslosen Politisierung der Kirche in Russland. Wir können und dürfen nicht zulassen, dass die Bewaffnung unseres christlichen Glaubens zur Norm wird." Nach 2.000 langen, komplexen und komplizierten Jahren könnten sich die Kirchen nicht vor der Welt verstecken, so der Patriarch. "Und nach 75 kurzen Jahren kann sich auch der ÖRK nicht vor ihr verstecken."

Der neue Generalsekretär aus Südafrika mit Apartheid-Erfahrung, Jerry Pillay, zeigte seine Bereitschaft, Probleme zu benennen und anzugehen. Bei dem im Oktober geplanten dreitägigen "Runden Tisch" sollen die russisch-orthodoxe Kirche und die zwei orthodoxen Kirchen der Ukraine (OKU und UOK) miteinander ins Gespräch kommen. Das ist selbst für diese beiden nicht selbstverständlich, und sie waren in Genf als Nichtmitglieder des ÖRK nicht vertreten.

Eine Möglichkeit für die Evangelische Kirche Jubiläumsfeiern sichtbar zu werden, bot sich für deren Präsidentin Rita Famos, die den in den Ruhestand gehenden ZA-Delegierten Serge Fornerod ablösen wird. Fornerod meinte beim EKS-Empfang, dass der ÖRK der EKS helfe, grundsätzlich Kirche zu sein, "mehr als wir wahrscheinlich denken: wir sind konfrontiert und angesprochen". Gute, regelmäßige und herzliche Beziehungen zur Leitung der EKS bestanden schon unter Generalsekretär Ioan Sauca und vorher und jetzt mit Jerry Pillay. Auch der neue ÖRK-Vorsitzende Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sei ihnen gut bekannt und stehe ihnen von der Theologie her nahe: "ein Freundestreffen", meint Fornerod.

Nachdem die Synode der EKS im vergangenen Jahr einen Antrag auf Ausschluss der russisch-orthodoxen Kirche aus dem ÖRK gestellt hatte, sieht Fornerod in der Erklärung der Vollversammlung zum Krieg gegen die Ukraine eine Grundlage für "herausfordernde Dialoge" im Sinne eines Wahrheitsgesprächs. Dem ÖRK gehe es darum, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass die Vertreter der russischen und ukrainischen Seite überhaupt einen Schritt aufeinander zu machen. Auch der ökumenische Patriarch müsse bereit sein, mit den Russisch-Orthodoxen zu sprechen. Dabei ist nach Ansicht Fornerods das Loyalitätsverhältnis Kirche-Staat nicht nur ein Thema der orthodoxen Kirche, sondern auch in anderen Regionen seien die Kirchen davon betroffen.

Fornerod sieht vor allem zwei Beschlüsse als vordringlich an: Zu Klimagerechtigkeit und zur Jugend. In Karlsruhe wurden nicht genügend Jugendliche in den ZA gewählt. Der ÖRK hat daraufhin 19 junge Beraterinnen und Berater für das Gremium berufen. Owe Boersma, Berater des ZA für "Brot für die Welt", sieht im Thema Sexualität bzw. LGBTQ, das vor allem in der russisch-orthodoxen Kirche ein Reizthema ist, ein andauerndes Konfliktfeld. Es sei schon vorgekommen, dass jemand als betroffene Person weinend den Plenarsaal verlassen habe. Mit gemeinsamem Bemühen werde eine Eskalation vermieden und diesmal vorsichtig mit dem Thema umgegangen. Bedford-Strohm sei damit vertraut und versuche Brücken zu bauen.

Im Gespräch mit der KNA berichtete das neue ZA-Mitglied Riscylla Shaw, lutherische Bischöfin aus Kanada mit indigenen Wurzeln, über die "Residential Schools" in ihrem Land. 150 Jahre lang übte dieses System mit der "Indian Act" seine Herrschaft aus und hörte trotz eigener Erkenntnisse über deren Misserfolge erst 1996 damit auf. Aber die Nachwirkungen seien immer noch da, und über diese Vergangenheit herrsche Stillschweigen. Der Indian Act gehört nach Ansicht Shaws nicht einfach abgeschafft, sondern müsse durch etwas ersetzt werden, das eine neue Grundlage schaffe und sogar bei der "Discovery Doctrine" ansetze. Dies würde die ganze Haltung zu Landeroberung, Landbesitz und den Umgang mit Indigenen (die als Nichtchristen gesehen wurden) in Frage stellen.

Von Esther R. Suter
© KNA. Alle Rechte vorbehalten.

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