ReligionspolitikBerliner Verfassungsbeschwerde zu Kopftuch-Urteil erfolglos

Mit einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil zu Lehrerinnen, die ein Kopftuch tragen, wollte sich das Bundesverfassungsgericht nicht befassen. Nun muss das Land Berlin sein umstrittenes Neutralitätsgesetz ändern.

Eine muslimische Frau mit Kopftuch
© Pixabay

Für den größten religionspolitischen Konflikt in der Bundeshauptstadt gibt es die lang erwartete Weichenstellung: Nach einem Entschluss des Bundesverfassungsgerichts musst das Land Berlin die Regelungen seines Neutralitätsgesetzes für Lehrkräfte an Schulen ändern oder abschaffen. Im bundesweiten Vergleich enthält das Gesetz die schärfsten Einschränkungen für das Tragen religiöser und weltanschaulicher Symbole und Kleidungsstücke.

Rund zwei Jahre nach dem Eingang in Karlsruhe nahm das Gericht eine Verfassungsbeschwerde des Landes Berlin gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2020 zum Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen (8 AZR 62/19) jetzt ohne Begründung nicht zur Entscheidung an. Damit bleibt es bei einer Entscheidung des höchsten deutschen Verfassungsgerichts von 2015, dass derartige Verbote religiöser Symbole im Bildungsbereich nur dann zulässig sind, wenn der Schulfriede konkret gefährdet ist (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10).

Der kommentarlose Entschluss der Karlsruher Richter zur Berliner Verfassungsbeschwerde lässt sich so verstehen, dass die rechtliche Lage bei diesem Thema aus ihrer Sicht bereits geklärt ist. Der frühere Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) kommentierte die von seiner damaligen Kabinettskollegin und Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) eingereichte Verfassungsbeschwerde denn auch auf Twitter als "reine Prozesshanselei".

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt von 2020, das der Klage einer Kopftuch tragenden muslimischen Lehrerin recht gab, stand bereits in einer Reihe vergleichbarer Entscheidungen von Vorinstanzen, die das Land Berlin zu Entschädigungszahlungen verpflichteten. Stets konnten sich die Richterinnen und Richter auch in diesen Fällen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung seit 2015 berufen. Somit war die nun erfolglose Verfassungsbeschwerde ein letzter Versuch, das seit bald 18 Jahren geltende Neutralitätsgesetz zu retten.

Es verpflichtet Beschäftigte des Landes in den Bereichen, in denen Bürgerinnen und Bürger "in besonderer Weise dem staatlichen Einfluss unterworfen" sind, zur Zurückhaltung in ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis. So dürfen sie in Rechtspflege, Justizvollzug und Polizei in der Regel keine auffallenden Kleidungsstücke und Symbole tragen, die "eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren".

Gleiches gilt für Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in staatlichen Schulen. Davon ausgenommen sind jene Lehrkräfte, die Religions- oder Weltanschauungsunterricht erteilen, und solche an beruflichen Schulen und in Einrichtungen des Zweiten Bildungswegs. Diese Verbote begründet das Land Berlin mit der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates.

Vor allem die Konsequenzen für Lehrkräfte sind schon seit Jahren zwischen den Berliner Regierungspartnern SPD, Grüne und Linkspartei umstritten, aber auch in den Parteien selbst. Während maßgebliche Teile der SPD mit dem Argument der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates argumentieren, wollen Grüne und Linke der Religionsfreiheit und dem Schutz vor Diskriminierung einen höheren Rang einräumen. In ihrem Koalitionsvertrag von 2021 einigten sie sich darauf, zunächst auf die Entscheidung aus Karlsruhe zu warten, bevor sie das Neutralitätsgesetz wieder auf die politische Tagesordnung stellen.

So fielen auch die ersten Reaktionen auf den Entschluss des Bundesverfassungsgerichts gemäß den bestehenden Frontstellungen aus. Während der religionspolitische SPD-Sprecher im Abgeordnetenhaus, Orkan Özdemir, schmallippig verlauten ließ: "Wir sind verabredet, das Gesetz gemäß entsprechend der Rechtsprechung anzupassen."

Dagegen sehen sich die anderen Koalitionspartner auf der Siegerseite. So betonte die Sprecherin für Antidiskriminierung der Grünen-Fraktion, Tuba Bozkurt, nach der Nachricht aus Karlsruhe gebe es "eine große Erleichterung in religiösen Communities". Sie rief dazu auf, die rechtlichen Konsequenzen so schnell wie möglich zu ziehen.

Auch die Linken-Sprecherin für Antidiskriminierung, Elif Eralp, verlangte, die Vorschriften des Neutralitätsgesetzes für das Lehrpersonal sofort abzuschaffen. Stattdessen müssten die Schulen ihre weltanschaulich-religiöse Neutralität durch "pädagogische Maßnahmen jenseits von Bekleidungsvorschriften sicherstellen".

CDU und AfD dagegen machen sich dagegen weiter für einen weitestgehenden Erhalt des Neutralitätsgesetzes stark. So wertete die kirchenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Cornelia Seibeld, die Weichenstellung der Karlsruher Richter "als klaren Auftrag, dieses Gesetz so fortzuentwickeln, dass es rechtssicher wird". Er sei nicht zu dulden, "wenn religiöse Symbole wie das islamische Kopftuch in staatlichen Einrichtungen demonstrativ zur Schau gestellt werden. Das würde den Frieden und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gefährden". Auch die AfD-Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker forderte eine rechtlich einwandfreie Möglichkeit, "das Neutralitätsgesetz zu erhalten und Schüler vor religiöser Indoktrination zu bewahren".

Wie dies erfolgen könnte, ohne das Gesetz gegen seinen Wortlaut auszulegen, lassen die Verteidiger allerdings offen. Einen möglichen Weg hatte dagegen bereits vor knapp zwei Jahren der frühere SPD-Justizsenator Ehrhart Körting gewiesen. Er plädierte dafür, Lehrerinnen mit Kopftuch generell in Schulen zuzulassen. "Mit einem strikten Kündigungsrecht beziehungsweise mit einer disziplinarischen Entfernung aus dem Dienst bei Verstößen" sollten solche Lehrerinnen davon abgehalten werden, Schülerinnen unter Druck zu setzen, ebenfalls ein Kopftuch zu tragen.

Von Gregor Krumpholz
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