Oft machen wir das Kreuzzeichen,
ohne darüber nachzudenken,
nehmen Weihwasser oder falten
die Hände aus reiner Gewohnheit. Erst
wenn die Zeichen erklärt werden, wird
ihre Tiefendimension bewusst: „Ach, deshalb
tun wir das …“. Vor 100 Jahren erlebte
Romano Guardini (1885–1968) ein
ähnliches Problem und verfasste dafür
das Büchlein „Von heiligen Zeichen“, das
bis heute nachgedruckt und mit Gewinn
gelesen wird. Auch Papst Franziskus lässt
in seinem jüngsten Schreiben Desiderio desideravi zur liturgischen Bildung (29. Juni
2022; vgl. Gd 17/2022, S. 189–191) Guardini
mehrfach zu Wort kommen, unter anderem
seinen Grundansatz: „Der Mensch
muss wieder symbolfähig werden.“ Diese
Aufgabe sei nicht leicht, so der Papst,
„denn der moderne Mensch ist ein Analphabet
geworden, er kann Symbole
nicht mehr lesen, er ahnt nicht einmal
ihre Existenz“ (44). Es sei notwendig, liturgische
Bildung auch „außerhalb der
akademischen Welt zu verbreiten, und
zwar auf eine zugängliche Art und Weise,
damit jeder Gläubige in der Kenntnis
der theologischen Bedeutung der Liturgie
wachsen kann“, um „rituelle Dynamiken
und deren anthropologische Bedeutung
zu verstehen“ (35). Genau das möchte ein
digitaler Adventskalender mit Videoclips
zu Guardinis „Von heiligen Zeichen“ leisten.
Er ist ein Kooperationsprojekt zwischen
dem Deutschen Liturgischen Institut,
der Theologischen Fakultät Trier und
dem Bistum Trier, das die professionelle
technische Umsetzung ermöglicht.
Doch gehen wir zunächst dem historischen
Hintergrund und dem Inhalt des
Buches nach, um dann Überlegungen zur
praktischen Anwendung für heute anzuschließen.
Liturgische Bewegung
In Verona geboren und in Mainz aufgewachsen,
gilt Guardini als der bekannteste
deutsche Vertreter der Liturgischen Bewegung.
Ihr zentrales Anliegen war die
Erschließung des Gottesdienstes. Es ging
ihr – sehr vereinfacht dargestellt – darum,
die Liturgie besser verstehen, erklären und
feiern zu können, damit der Gottesdienst
der Kirche mehr und mehr zur Quelle aller
Gläubigen für ein christliches Leben in der
Welt wird. 1918 veröffentlichte Guardini,
vom Maria Laacher Abt Ildefons Herwegen
(1874–1946) ermuntert, sein einflussreiches
Buch „Vom Geist der Liturgie“, das ihn weit
bekannt machte. Diese Schrift ist innovativ,
aber eher abstrakt und reflexiv gehalten
– etwa deutet er Liturgie als „Spiel“, das
zweckfrei und doch sinnvoll ist und in dem
der Mensch seinem Wesen gemäß Kind Gottes
sein kann. Demgegenüber ist das Buch
„Von heiligen Zeichen“ praktischer ausgerichtet.
Zuerst erschließt Guardini das Kreuzzeichen
als Zeichen Christi, der Erlösung
und des Alls und gibt praktische Anleitung,
es mit Bedacht zu vollziehen, damit
es Leib und Seele umspanne, weihe und
heilige (siehe den Wortlaut in der gelben Box am Ende dieses Beitrags). Guardini
fügt weitere Gesten
des Körpers an: die Hand, das Knien, das Stehen, das Schreiten, das An-die-Brust-
Schlagen. Letzteres etwa solle das Innere
aufrütteln; im Schlag auf die Brust werde
der Ruf Gottes „Wach auf! […] Besinn dich!“
vernehmbar, damit „die Welt drinnen […]
erwache, sehend werde, sich zu Gott kehre“
(Von heiligen Zeichen, S. 28).
Dann deutet Guardini zwei Dinge des
Kirchenbaus: die Stufen und die Pforte.
Das Hochsteigen der Stufen ist äußerer
Ausdruck eines inneren Emporsteigens
zur Kirche, zum Altar, zu Gott. Indem
man durch das Kirchenportal schreitet,
hebt man die Augen und den Geist, befindet
sich im Tempel Gottes, was Guardini
auf den Menschen selbst deutet. Denn die
Pforte sagt: „Mach dich frei von allem, was
eng und ängstlich ist. Wirf ab, was niederdrückt.
Weite die Brust; hebe
die Augen! Gottes Tempel
ist dieses und ein Gleichnis
deiner selbst, denn Gottes
lebendiger Tempel bist du
ja, dein Leib und deine Seele;
mache ihn frei und hoch!“
(Von heiligen Zeichen, S. 36
f.). Hier zeigt sich schön die
von Guardini hervorgehobene
anthropologische Einheit
von Seele und Leib, die beide
beim liturgischen Akt zum
Einsatz kommen.
Anschließend deutet er Naturelemente
des Gottesdienstes: Die Kerze zeige den
„Sinn des Lebens, sich in Wahrheit und
Liebe für Gott zu verzehren“ (Von heiligen
Zeichen, S. 39). Die eigene Gesinnung solle
sein wie eine Kerze, um Licht und Glut zu
werden. Das (Weih-)Wasser reinigt und erquickt,
es macht in der Taufe zum neuen
Menschen und dient als Mittel göttlicher
Gnadenkraft. Guardini bespricht ebenso
die Flamme, die Asche, den Weihrauch,
Licht und Glut bis hin zu Brot und Wein.
Dies führt über zur Erschließung des Altars,
des Linnens (Altartuchs) und des
Kelches. Ihm sei in der Abtei Beuron ein
Kelch „begegnet“ als „ehrwürdiges Gerät“,
in dem „das Mysterium der göttlichen Liebe
erscheint“ und als Bild des Menschen,
der „fähig ist, Gott zu fassen“ (Augustinus)
(Von heiligen Zeichen, S. 62 f.). Weiter erschließt
Guardini den Segen als Kraft aus
Gottes Hand, „die heil und gut, die wachsen
macht“ und zur „Teilnahme an der göttlichen
Natur“ führt (Von heiligen Zeichen,
S. 65). Die Glocken ferner lassen Gottes Ruf
und Sehnsucht nach dem Menschen erklingen.
Dem folgen noch Betrachtungen
über die geheiligte Zeit (Morgen, Mittag,
Abend) und den Namen Gottes.
Das Buch ist einfach und elementar,
in viele kurze Kapitel untergliedert. Die
Sprache wirkt vielfach meditativ. Dadurch
hinterlässt die Lektüre – ähnlich wie bei
Guardinis Zeitgenossen – den Eindruck von
etwas Neuem und Tiefem, das bisher nicht
bedacht wurde, obwohl man die beschriebenen
Zeichen so oft schon getan bzw. gesehen
hat.
Liturgische Bildung
In einem Brief an Abt Herwegen
kündigte ihm Guardini
die Entstehung dieser
Schrift 1922 folgendermaßen
an: „Demnächst erscheint in
Rothenfels ein erstes Heft ‚von
heiligen Zeichen‘, in dem ich
in 10 Kapitelchen über Kreuzzeichen,
Weihwasser, Handhaltung,
Flamme, Kerze, Glocken
… handle. Ein zweites
Heftchen bereite ich vor. Ich möchte es als
praktisches Hilfsmittel zur theoretischen
Schrift über die liturgische Bildungsaufgabe
bereitstellen“ (ALw 27 [1985] S. 249). In
der Tat verfasste er 1923 eine ausführliche
theoretische Schrift mit dem Titel „Liturgische
Bildung“, in der man vielfache Bezüge
zu „Von heiligen Zeichen“ erkennen
kann. Darin schrieb er grundsätzlich: „Die
Haltung des Körpers, Gebärde und Handlung
müssen unmittelbar, in sich, religiös
werden. Wir müssen lernen, unser Inneres
im Äußeren auszudrücken und aus Äußerem
das Innere abzulesen“ (Liturgische
Bildung, S. 43). Dem entspricht beispielsweise,
wie er in „Von heiligen Zeichen“ das
Knien erklärt: „Wenn du die Knie beugst,
laß es kein hastig-leeres Geschäft sein. Gib
ihm eine Seele. Die Seele des Kniens aber
ist, daß auch drinnen das Herz sich in Ehrfurcht
vor Gott neige; in jener Ehrfurcht,
die nur Gott erwiesen werden kann: daß es anbete“ (Von heiligen Zeichen,
S. 23).
Hinter all diesen Erklärungen steht die
Einsicht, dass die Symbole von der sakramentalen
Grundstruktur der Kirche abhängen.
Guardini deutet dies im Geleitwort zur
Neuausgabe im Jahr 1927 an, in der beide
Hefte zu einem Buch verbunden wurden:
„Die Liturgie ist eine Welt heilig-verborgenen,
aber immerfort Gestalt werdenden
und darin sich offenbarenden Geschehens:
sie ist sakramental. Es gilt also vor allem, jenen
lebendigen Akt zu lernen, mit dem der
glaubende Mensch die ‚sichtbaren Zeichen
unsichtbarer Gnade‘ auffaßt, empfängt,
vollzieht.“
Mehrfach unterstreicht Guardini, dass
es ihm bei liturgischer Bildung nicht einfach
um Faktenwissen über den Gottesdienst
und seinen Ablauf geht, sondern
vielmehr um den Menschen in seiner
gläubigen Existenz. Bereits im ersten
Satz der „Liturgischen Bildung“ schreibt
er: „In der Liturgie geht es nicht um Wissen,
sondern um Wirklichkeit. Wohl gibt
es Wissen von ihr, die Liturgik. Es gibt
auch ein Wissen in ihr: der liturgische
Vorgang enthält eine Erkenntnis. […] Aber
die Liturgie selbst ist nicht bloßes Wissen,
sondern eine volle Wirklichkeit, die neben
dem Erkennen noch vieles andere umfaßt:
ein Tun, eine Ordnung, ein Sein“ (Liturgische
Bildung, S. 24). Oder noch prägnanter
formuliert er einleitend in „Von heiligen
Zeichen“: Im Buch gehe es nicht in erster
Linie um „liturgische Belehrung“, sondern
um „liturgische Bildung“, „um eine
Anweisung, eine Anregung wenigstens zu
lebendigem Schauen und Vollziehen ‚heiliger
Zeichen‘“ (S. 11).
Auch wenn vieles der Liturgischen Bewegung
in die Liturgiereform des Zweiten
Vatikanischen Konzils einfloss, ist eine
Erklärung der liturgischen Zeichen heute
im säkularen Umfeld vielleicht noch dringender.
Anwendung in der Praxis
Der Adventskalender zu „Von heiligen Zeichen“
steht auf den Social-Media-Kanälen
des Bistums Trier (z. B. Instagram: @bistum_trier) und auf
YouTube (www.youtube.com/user/bistumtrier) zur Verfügung, damit
er entsprechend leicht geteilt werden
kann. Eine zusätzliche Webseite enthält
sowohl das aktuelle Video als auch die früheren
Videos.
Daher könnte man sehr einfach auf
der Pfarrhomepage etc. einen Link auf diese
Seite setzen oder über den E-Mail-Verteiler
der Pfarrei versenden, ihn evtl. an die
E-Mail-Signatur anfügen. Der Pfarrbrief
kann mit dem nebenstehenden QR-Code versehen werden. Da Guardini sein Buch
in 24 Abschnitte untergliedert hat, bietet
er sich für einen Adventskalender an.
Doch auch über den Advent hinaus könnte
das ein oder andere Video hilfreich sein.
Der Kalender möchte zum 100-jährigen Erscheinen
natürlich auf das Buch selbst aufmerksam
machen. Für die Videos auf Instagram
mussten die Texte gekürzt werden,
doch lohnt sich eine vollständige Lektüre in
jedem Fall. Die Texte oder Auszüge könnten
auch im Pfarrbrief bzw. der Gottesdienstordnung
abgedruckt werden (die Rechte
liegen bei der Katholischen Akademie in
Bayern). Der Verfasser dieses Beitrags hat
selbst gute Erfahrungen mit den Texten
auch in Predigten (etwa zum Kreuzzeichen
am Dreifaltigkeitssonntag) und im Schulunterricht
gemacht.
Zum Weiterlesen
- Romano Guardini,
Von heiligen Zeichen (Topos
Taschenbücher 365),
Kevelaer 2008/2016.
- Romano Guardini,
Liturgie und liturgische
Bildung, Mainz ²1992.
Das Kreuzzeichen
„Du machst das Zeichen des Kreuzes,
machst es richtig. Kein hastiges, verkrüppeltes,
bei dem man nicht weiß, was es
bedeuten soll, sondern ein richtiges
Kreuzzeichen, langsam, groß, von der Stirn
zur Brust, von einer Schulter zur andern.
Fühlst du, wie es dich ganz umfaßt?
Sammle dich recht; alle Gedanken und
dein ganzes Gemüt sammle in dieses
Zeichen, wie es geht von der Stirn zur
Brust, von Schulter zur Schulter. Dann
fühlst du: ganz umspannt es dich, Leib
und Seele; nimmt dich zusammen, weiht
dich, heiligt dich.
Warum? Es ist das Zeichen des Alls – und
ist das Zeichen der Erlösung. Am Kreuz
hat unser Herr alle Menschen erlöst; die
Geschichte, die Welt. Durch das Kreuz
heiligt Er den Menschen, ganz, bis in die
letzte Faser seines Wesens.
Darum machen wir es vor dem Beten,
damit es uns ordne uns sammle,
Gedanken und Herz und Willen in Gott
fasse. Nach dem Gebet, damit in uns
bleibe, was Gott uns geschenkt hat. In der
Versuchung, daß Er uns stärke. In der
Gefahr, daß Er uns schütze. Beim Segen,
auf daß Gottes Lebensfülle hereingenommen
werde in die Seele, und alles
darinnen befruchte und weihe.
Denke daran, so oft du das Kreuzzeichen
machst.
Es ist das Zeichen einfachhin, das Zeichen
Christi. Mache es recht: Langsam, groß,
mit Bedacht. Dann umfaßt es dein ganzes
Wesen, Gestalt und Seele, deine Gedanken
und deinen Willen, Sinn und Gemüt,
Tun und Lassen, und alles wird darin
gestärkt, gezeichnet, geweiht, in der Kraft
Christi, im Namen des Dreieinigen Gottes.“
Aus: Romano Guardini, Von heiligen
Zeichen, Kevelaer 2008.