Kaum eine Darstellung zur weihnachtlichen Szene vom
Kind in der Krippe kommt ohne Stern aus. Der Stern ist
das Sinnbild für das göttliche Licht und die Geburt Jesu
Christi. Welche Bedeutung dem Stern beigemessen wird, erfahren
wir indessen erst am Fest der Erscheinung des Herrn. Detailliert berichtet der Abschnitt der Evangeliumslesung, wie die Sterndeuter
aus dem Osten nach Jerusalem kommen. Die Himmelserscheinung,
der sie folgen, weist auf den neugeborenen König hin, dessen Stern
sie haben aufgehen sehen und den sie nun suchen, um ihm zu huldigen (Mt 2,2). Der Schrecken, den dies bei König Herodes auslöst,
zeigt die Tragweite des Neuen und Erlösenden, das so bedrohlich
anders zu sein scheint als alles bisher Dagewesene.
Die Botschaft, die sich im Evangelium verdichtet, indem sie
etwas von der Heilsgeschichte Jesu erzählt, kündigt sich in den
Texten der Ersten und Zweiten Lesung an. Daher sind die jeweils
vorausgehenden Lesungen, die in der Weihnachtszeit so verheißungsvoll auf das Kommen des Herrn weisen, elementar. Es liegt an
uns, den Lektorinnen und Lektoren, die Botschaft in den Lesungen
zu entdecken, sie aufzuspüren und sie der hörenden Gemeinde in
ansprechender Weise vorzutragen.
Klarheit in der Sprache
Sowohl am Heiligen Abend als auch am Weihnachtstag leitet uns
der Prophet Jesaja. Wie ein Bogen spannt sich in der Ersten Lesung
am Heiligen Abend (Jes 9,1–6) der Gedanke vom Dunkel, von der
Finsternis, zum hellen Licht. In der neuen Einheitsübersetzung
(2016) ist das Wort „Finsternis“ durch „Todesschatten“ ersetzt, was
das Befinden des Volkes vielleicht noch düsterer wirken lässt. Umso
hoffnungsvoller scheint das Licht. Der nächste Gedanke wiederholt und betont das Aufstrahlen des Lichts noch einmal. Kurze,
überschaubare Gedanken, die sich leicht in einem Bogen lesen lassen und wo die Stimme am Ende jeweils nach unten geführt wird.
Solche überschaubaren Sätze führen leicht dazu, dass die Stimme
am Ende „versandet“ und man gleichsam für sich selber liest. Das
Bewusstsein, die Hörenden als die Adressaten der Verkündigung
im Blick zu behalten, sollte aber stets vorhanden sein.
Das Licht führt uns zur Geburt des Kindes, von dem wir erfahren, dass es Frieden ohne Ende bringen wird. Die Frage, wie
man das lesen sollte, sollte immer mit der Überlegung verbunden
sein, wie die Botschaft einen selbst anspricht. Auf diese Weise kann
ein emotionaler Zugang zu dem Text entstehen, aus dem sich eine
lebendige Sprechmelodie entwickelt. So ist die Botschaft nicht bedächtig und vorsichtig im Ton, nicht sanft und träumerisch, sondern bestimmt und entschieden. Weiter geht es mit mächtigen Bildern: „Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, im
Blut gewälzt, (…) wird ein Fraß des Feuers“ (V. 4).
Die Emotionen, die solche Bilder bei einem selbst auslösen, lassen sich besonders am Weihnachtsfest nutzen, um mit Ausdruck
zu sprechen. Jedoch darf nicht Überschwang den Vortrag dieser
Verse kennzeichnen, sondern eine deutliche Sprache und klare Ansprechhaltung, um einem emotionalen Ausdruck Struktur zu geben
und ein Gegengewicht zu schaffen. Die weiteren Verse bezeichnen
die Eigenschaften des geborenen Kindes als dem Friedensfürsten.
Sie erfordern eine gewisse Dringlichkeit im Sprechen, die sich
durch Klarheit in der Sprache mitteilen kann, damit verstanden
wird, was all dies bedeutet. Die Lesung ist nicht nebensächlich, sondern trägt die eigentliche Botschaft. Durch den Lesevortrag wird
angekündigt, was geschieht und geschehen wird.
In der Zweiten Lesung am Heiligen Abend, im Brief des Apostels
Paulus an Titus (Tit 2,11–14), werden wir auf das Erscheinen der
Herrlichkeit hingewiesen. Das großartige Ereignis erfahren wir
gleich zu Beginn: Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten (V. 11). Die Intention, bevor wir im Evangelium
von dem Erscheinen des Retters in Gestalt eines Kindes hören, sollte sein, die wirkliche Botschaft herauszustellen: dass wir auf die
Erfüllung unserer Hoffnung warten dürfen, indem wir durch die
Hingabe Jesu Christi erlöst sind (V. 13).
Sich dieser Botschaft zu stellen, bedeutet Herausforderung und
Verheißung zugleich. Auch der Abschnitt des Hebräerbriefes am
Weihnachtstag (Zweite Lesung, Hebr 1,1–6) weist darauf hin. Bisher
„hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; am
Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn“ (V. 1).
Es wird deutlich, was Erlösung bedeutet, indem der Messias geboren
ist. Welche Kraft darin verborgen liegt, teilt sich in der Beschreibung
des Messias mit. Sie braucht Intensität, Bestimmtheit und Überzeugungskraft im Ausdruck. Der Gedanke: „wie der Name, den er geerbt
hat, ihren Namen [der Engel] überragt“ nimmt Ostern vorweg. Im Philipperbrief, der zu Beginn der Heiligen
Woche am Palmsonntag zu hören ist – „und
ihm den Namen verliehen, der größer ist
als alle Namen …“ (Phil 2,9) – hören wir in
gleicher Weise etwas von der Größe und Erhabenheit dieses Messias.
Das Bewusstsein, welche Botschaft mitgeteilt wird, gilt sowohl dem Lektor und
der Lektorin selbst als auch der hörenden
Gemeinde. Das hörende Gegenüber bietet
immer Resonanz und wird einen überzeugenden Lesevortrag unterstützen.
Wie sehr Weihnachten als ein Fest der
Hoffnung, Freude und Zuversicht gefeiert
wird, zeigen die fast immer offenkundigen
Erwartungen der Menschen an besonders
harmonische und friedvoll zu erlebende
festliche Tage. Es ist wichtig, beim Vorlesen
auf die noch tiefere Dimension aufmerksam zu machen, die sich in der Geburt des
Kindes Jesu verbirgt. Was das Wesentliche
unseres Glaubens ausmacht, ist: Der Retter der Menschen, der Erlöser der Welt ist
da. Bei allen Texten ist es wichtig, sie nicht
statisch als bloße Wortfolgen vorzulesen,
sondern als Spannungsbogen, als Konzept
mit klarer Botschaft, als Komposition, der
man dennoch einen eigenen Stil verleiht.
Erlösung hörbar machen
Am Hochfest der Erscheinung des Herrn findet die Weihnachtszeit in der Ersten Lesung
(Jes 60,1–6) einen weiteren Höhepunkt. Noch
einmal wird auf das Licht hingewiesen.
Der Überschwang teilt sich im strahlenden
Glanz und der Herrlichkeit des Herrn mit.
Um es nicht märchenhaft wirken zu lassen,
ist eine ausbalancierte Modulation und eine
präzise Artikulation wichtig. Wenn Aussagen deutlich und zugleich ausdrucksstark
gesprochen werden, sprechen sie an und
bewegen innerlich. Im Text ist die Rede von
dem Herz, das erbebt und sich weitet; Reichtum und Fülle werden sichtbar (V. 5). Die
Szene wird vor dem inneren Auge plastisch.
Gut vorgelesen kann man das Licht und den
Glanz dieser Schätze gleichsam spüren und
den Weg mitgehen, den die Sterndeuter zur
Krippe gegangen sind. Die variationsreichen
Bilder voller Glanz und Freude können jedem eine ganz persönliche Vorstellung von
Rettung und Heilung vor Augen stellen.
Ein guter Lesevortrag ist daher immer auch eine Performance: Er braucht
Modulation in der Stimme, Präzision in
der Sprache, Präsenz im Auftreten. Wenn
ich verstanden habe, worum es wirklich
geht, wenn mir klar ist, was ich mitteilen
und verstanden wissen will, und dies mit
Entschiedenheit vortragen kann, dann geschieht Verkündigung. Dann wird hörbar
und sichtbar, was gemeint ist: Licht, Erlösung. Der Stern zeigt symbolisch etwas von
dieser Verheißung.
Wie sehr wir Menschen aus unserer
Mitte brauchen, die uns durch ihre Verkündigung Stärkung und Trost zusprechen,
wird nie an Aktualität verlieren. Und solange es Menschen gibt, die die Botschaften hören wollen, macht die Verkündigung
durch Lektorinnen und Lektoren deutlich,
dass wir alle miteinander verbunden sind.
– Es gibt einen Vers im Römerbrief, der es
auf den Punkt bringt: „Wie sollen sie hören,
wenn niemand verkündigt?“ (Röm 10, 14).
Diejenigen, die verkündigen, das sind an
Weihnachten Sie! Ihr Vortrag hat Gewicht!
Bei allen Geschehnissen, die uns in
unserem Alltag und in der Welt widerfahren, könnte man bisweilen den Eindruck
gewinnen, als wäre das Licht nicht mehr
da. Wer sucht nicht alles nach dem Licht,
nach Hoffnung, nach Erlösung oder manchmal nur nach einer Spur, um im Dickicht
des Alltags den Weg zu finden? Manchmal schlägt man dabei den falschen Weg
ein und schadet anderen Menschen. Wir
alle suchen nach Heilung. Schon wieder
ist Weihnachten, vielleicht noch schneller und unvermittelter, weil wir noch gar
nicht den Raum dafür spüren, uns darauf
einzulassen. Wir müssen uns jedes Jahr
neu bewusst machen, dass Weihnachten
ist, dass wir den Stern suchen und dass es
lebensnotwendig ist, immer wieder nach
dem Licht zu schauen.