Wenn wir Licht sehen, verbindet
uns dies mit unserem
Ursprung. Photonen, kleine
Quantenobjekte, die seit Jahrmillionen
mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind,
übermitteln uns heute Informationen
über die Entstehung unseres Universums.
Sie geben Auskunft, wie nach dem Urknall
aus einer leuchtenden Gaswolke im Laufe
der Jahre ein differenzierter Kosmos aus
Galaxien und Sonnensystemen entstand,
deren Licht weiter ausstrahlt. Damit verbunden
stellen sich weitere Fragen nach
dem Ursprung des anfänglichen Feuerballs:
Ist die Materie unseres Universums
erkaltetes Licht, das auf das ursprünglich
singuläre Raum-Zeit-Kontinuum zurückgeht?
Und weiter gefragt: Gibt es einen
Zusammenhang zwischen der Singularität
des Urknalls und der conditio humana als
Grundlage unseres sozialen und geistigen
Lebens, unseres heutigen Menschseins? Ist
Licht eine beherrschbare Größe oder bleibt
es weiterhin eine, wenn nicht die zentrale
inspirierende Quelle für die Auseinandersetzung
mit unseren Lebensgrundlagen?
Im Sehen von Licht liegt der Schlüssel
einer vertieften Auseinandersetzung. Sehen
geht weit über die Funktionen unseres
optischen Sehapparates hinaus und ist ein
zutiefst geistiger, weltschöpfender Vorgang
für jeden Menschen. Dazu können wir festhalten:
-
Licht ist Raumbildner, Medium der
Wahrnehmung und Medium der Darstellung.
- Licht und Dunkel sind im semantischen
System der Sprache und der symbolischen
Ordnung unserer Kultur unausweichlich
und notwendig.
- Licht ist aus unserem Bewusstsein und
aus unserem Leben nicht wegzudenken;
vielfältig schimmert es durch unser Sein
und prägt unser Erleben.
Im Licht der Offenbarung
Licht ist seit Menschengedenken Lebensspender
und Metapher für das Unbegreifliche
und Göttliche. Aber während die Kulturgeschichte
der Lichtmetaphorik wie ein
Sammelbecken für Ideen und Heilsversprechen
erscheint, ist das physikalische Wissen
über Licht an vielen Stellen komplex und heute in seiner Komplexität nur über
Theorien und Modelle der Quantenphysik
zu begreifen.
Bis heute ist Licht zentrales Symbol
der monotheistischen Religionen und im
Christentum das zentrale Christussymbol.
Dieser Zusammenhang geht auf die Verknüpfung
von Licht und Offenbarungsgeschehen
(z. B. im Zeugnis von Simeon und
Hanna, Lk 2,32) zurück. Zudem steht das
in den Raum fallende Tageslicht in vielen
Kirchengebäuden im Zeichenzusammenhang
mit dem österlichen Licht, der zentralen
Metapher für das eschatologisch
erwartete Kommen und die Gegenwart
Jesu Christi. In frühen Hymnen und im
Osterlob Exsultet wird Jesus als das „Licht
der Welt“ besungen. Im Kern der Osterfeier
steht die Erfahrung des Paschamysteriums,
die Verkündigung von Leiden, Tod
und der Auferstehung Jesu Christi.
Wie aber hängen die Wahrnehmung
von Licht und die Christussymbolik des
Osterlobs zusammen? Das griechische
Wort metaphorá bedeutet übersetzt
„Übertragung“. So wird ein Wort auf ein
komplett anderes Themengebiet übertragen
und gibt somit dem anderen Wort
oder Ausdruck eine ganz andere, neue Bedeutung.
In der Lichtfeier der Osternacht
werden metaphorisch christologische
Eigenschaften auf das Osterfeuer und die
daran entzündete Osterkerze übertragen.
Dieser Ritus symbolisiert, dass Jesus der
Ursprung des Lebens ist und Licht in die
Dunkelheit bringt.
Die meist sehr große Osterkerze wird
festlich geschmückt und am gesegneten
Osterfeuer entzündet. In einer Prozession
wird die Osterkerze anschließend in den
dunklen Kirchenraum getragen, begleitet
von einem Gesang: „Lumen Christi. – Deo
gratias.“ Die Mitfeiernden entzünden
währenddessen ihre mitgebrachten Kerzen
an ihrer Flamme. Schließlich wird die
Osterkerze auf den Osterleuchter gestellt
und das Exsultet, das Jubellied auf die
Großtaten Gottes, durch den Diakon oder
Priester gesungen. Die Osterkerze ist der
symbolische Mittelpunkt der Osternacht.
Sie brennt während der gesamten Osterzeit
bis Pfingsten und soll danach am Taufort
aufgestellt werden, wo sie vor allem
bei Tauffeiern brennt.
Warum ist dieses Lichtritual, dessen
Gestalt sich ab dem 10. Jahrhundert verfestigte,
auch heute noch so eindrücklich,
wo wir doch so viel mehr über die
Eigenschaften des Lichtes wissen? Ein
Erklärungsansatz liegt sicherlich in der
Wahrnehmung des Urphänomens „Licht“
in Form einer Flamme. Ein weiterer aber
betrifft auch die Semantik des Begriffs:
Licht ist wandelbar und lässt sich als Begriff
oder Metapher nicht auf irgendeinen
bestimmten „Gegenstand der Erfahrung“
beziehen, sondern steht im Kantischen
Verständnis für die „Totalität möglicher
Erfahrung“. Einen solchen „Platzhalter“
kennen Philosophen als „Grenzbegriff“
und Literaturwissenschaftler als „absolute
Metapher“. Er steht der Erfahrung
offen, lässt sich aber nicht vollständig auf
einen Begriff bringen. Dieser „Platzhalter“
wird nun als Metapher mit der Unfassbarkeit
des dreifaltigen Gottes und insbesondere
mit dem auferstandenen Christus
verknüpft.
Das führt zwangsläufig zu unauflöslichen
Ambivalenzen: Der Begriff bzw. das
flüchtige Medium „Licht“ wird in dieser
Übertragung zu einem sich immer wieder
materialisierenden Platzhalter der
Beschreibung und Vergegenwärtigung
des historischen Jesus von Nazaret sowie
des sich in Wirken und Glauben der
Kirche offenbarenden eucharistischen
Christus.
Symbol göttlicher Gegenwart
Die christliche Kulturgeschichte vergleicht
das Wirken Gottes häufig mit der Wirkweise
von Licht. Durch die im frühen Christentum
aufgekommene und bis heute überlieferte
Lichtmetaphorik öffnet sich dem
Gläubigen eine Zeichendimension für die
Wahrnehmung und Gestaltung von Licht, die den Schöpfungen von Poesie, Musik und
Kunst offenstand und offensteht.
Die im christlichen Glauben angelegte
Unverfügbarkeit und Allgegenwart Gottes
fordert vor allem Freiheit und Respekt
gegenüber Andersdenkenden. Christliche
Mystiker haben sich im Wandel der
Geschichte auf verschiedenen Wegen der
Unfassbarkeit des dreifaltigen Gottes zu
nähern gewusst. Verneinend, dialektisch,
empirisch haben sie den Bereich des Unsagbaren
betend, meditierend und handelnd
ausgefüllt, ohne das Widerständige,
Ungeheure und Schöpferische an Gott aufgeben
zu wollen. Für viele von ihnen war
Licht auf ihrem mystischen Glaubensweg
Gleichnis und Symbol für die göttliche
Gegenwart.
Auch heute sind die Geheimnisse des
Lichtes nicht entschlüsselt. Neue wissenschaftliche
Antworten werfen weitere
Fragen nach Ursprung und Beschaffenheit
dieses Phänomens auf. Gerade deshalb
fordert heute die Auseinandersetzung mit
Licht wieder heraus: Was ist das für ein
Ding, das sich auf so vielfältige Art zeigen
kann, das als Photon gleichzeitig Materie
und Elementarwelle ist?
Die Auseinandersetzung mit Licht
als lebensspendender Metapher unserer
spirituellen Vorstellungen stellt uns angesichts
unseres heutigen Wissens über
die Singularität des Ursprungs wieder
vor die Frage, inwieweit Licht nicht nur
symbolische, sondern auch immer wieder
ursprüngliche und göttliche Offenbarung
ist. Das heißt: Jede Lichtmanifestation
oder Lichtmetapher bietet dann auch
einen Anlass für das Erfassen des jeweils
spirituellen Lichtes. Dabei ist es prinzipiell
egal, ob es sich um die farbigen Fenster
einer gotischen Kirche oder um den
Mondstrahl handelt, der verstohlen durch
eine Maueröffnung fällt: Immer bietet sich
die Möglichkeit zur Durchdringung, zum
Sehen des auch spirituell ursprünglichen
Lichtes.

Licht besitzt die Fähigkeit, einen Innenraum zu transformieren. Von Buntglasfenstern gebrochenes Tageslicht erschafft eine völlig andere Atmosphäre als …
Spiegel-Erfahrungen
Christliche Mystikerinnen und Mystiker
haben die Frage, inwieweit Licht
nicht nur symbolische, sondern auch ursprüngliche
und göttliche Offenbarung
sei, immer wieder mit einer Licht- und
Spiegelmetaphorik beantwortet. Sie vertrauten
auf eine Glaubenswahrheit, die
wir nur „im Spiegel der Seele“ erkennen
können. Jeder Spiegel, jeder Sinn ist dabei
von Menschen gemacht und erdacht. Die
Sprache der Spiritualität ist zwangsläufig
metaphorisch, symbolisch – und poetisch!
Der erste Brief des Apostels Paulus an die
Gemeinde in Korinth bringt den tiefsten Spiegelgrund
in der Metapher vom rätselhaften Antlitz
Gottes als Beziehungserfahrung zur Sprache: „Jetzt schauen wir
in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber
schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen
Stückwerk, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so
wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. Für jetzt
bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten
unter ihnen ist die Liebe“ (1 Kor 13,12–13; vgl. Zweite Lesung am
4. Sonntag im Jahreskreis C).
Spirituelle Erfahrungen sind demnach Spiegel-Erfahrungen –
das Licht ist ein „Licht vom Licht“. Es wird durch jene gespiegelt,
die ihrem Gewissen und ihrer Seelenwahrheit nachgehen und sie
als lebendige Spiegel in ihrem Leben und Erleben zulassen und
reflektieren. Christinnen und Christen sind von der Hoffnung getragen,
dass aus der gemeinsamen Begegnung und liebenden Teilhabe
bereits in der communio ein erfüllteres, ruhigeres Leben und
– im Sinne der christlichen Verheißung – eine vollständige Offenbarung
des Angesichts Gottes mit der Herrlichkeit eines Lebens in
Fülle erwächst.
Diese Vorstellung des durch ein geistiges Licht in der Welt
wirkenden Gottes – eine der altkirchlichen Bezeichnungen für die
Taufe war „Erleuchtung“ – findet sich am Beginn des Großen Glaubensbekenntnisses
(vgl. GL 586,2). Noch poetischer formuliert diesen
Gedanken im vierten Jahrhundert der Mailänder Bischof und
Kirchenvater Ambrosius (339–397), auf den zahlreiche Hymnen
(u. a. das Te Deum) zurückgehen:
„Du Abglanz von des Vaters Pracht,
du bringst aus Licht das Licht hervor,
du Licht vom Licht,
des Lichtes Quell,
du Tag, der unsern Tag erhellt.“
(Hymnus der Laudes am Montag im Jahreskreis, 1. Str.)

… ein ausgeklügeltes Kunstlichtkonzept, mit dem Akzente gesetzt werden können.
(Beide Fotos: Kirche Liebfrauen-Überwasser, Münster; © Ubbenhorst & Partner, Münster)
Licht als Bedeutungsträger
„Natürliches und künstliches Licht sind
Bestandteile der baukünstlerischen
Ausformung des Kirchenraumes. Vor
allem natürliches Licht ist Bedeutungsträger
und ist für die liturgischen Orte,
besonders für den Altarbereich, ein
wichtiges Gestaltungselement. Es sollte
sehr differenziert und den liturgischen
Erfordernissen gemäß im Kirchenraum zur
Wirkung kommen.“
Leitlinien für den Bau und die Ausgestaltung
gottesdienstlicher Räume (6. Auflage
2002), S. 37