Meine Großmutter, Alice Campbell, hörte auf, in Lynn, Massachusetts zur Kirche zu gehen, als der Pfarrer nach einer Romreise plötzlich den Bingo-Abend im Gemeindezentrum untersagte. "Weißt Du", sagte sie, "er ist nach Rom gefahren, weil er ein kleiner Mann auf der Suche nach einem Balkon war." Grandma Alice war eine Traditionalistin – "Honey, it's my way or the highway."
Nicht alle Kleriker sind weitgereiste Menschen. Im Gegenteil: Sie sind häufig sehr lokal verbunden, im Gemüt stark von Herkunft und Zugehörigkeit geprägt. Oft wirken selbst Bischöfe ein bisschen provinziell auf mich.
Robert Prevost gehört zu der seltenen Spezies an Abenteurern: Er ging von Chicago in die Mission, um dann zusätzlich die peruanische Staatsangehörigkeit anzunehmen, als Bischof zu dienen und eine Funktion in der peruanischen Bischofskonferenz zu bekleiden, bis er schließlich nach Rom abberufen wurde. Vielleicht liegt es daran, dass sein Vater in der Navy war, vielleicht daran, dass er Ordensmann ist. In den Vereinigten Staaten ist die "Weltkirche" kein Nebenschauplatz. Neun US-Bischöfe sind in Mexiko geboren, fünf auf den Philippinen, drei Polen und ein Brasilianer sitzen auf Bischofsstühlen in den Vereinigten Staaten.
In Deutschland und Österreich ist der Anteil von im Ausland geborenen Bischöfen gegenwärtig: Null. Von der Weltkirche, wenn es um Macht geht, keine Spur. Papst Leo XIV. ist ein wirkliches Geschöpf der universalen Kirche. Das sagt nichts über seine Theologie oder seine Schwerpunkte: Es ist nur ein Referenzrahmen für seinen Blick.
Wer in Leo XIV. nur einen Anti-Trump oder einen Franziskus II. sehen möchte, sollte genau hinhören. Wer das Papsttum wie ein Parteibuch behandelt, wird absehbar enttäuscht werden. Dazu am Ende mehr.
Reaktionen aus dem amerikanischen Klerus
Klar, die US-amerikanische katholische Kirche ist groß, mit über 190 Diözesen und mehr als 400 Bischöfen. Zu den ersten Bischöfen, die öffentlich auf die Wahl von Papst Leo XIV. reagierten, gehörten diejenigen, die ihre Freude über die Wahl des ersten amerikanischen Papstes zum Ausdruck brachten. Darunter die amerikanischen Kardinäle in einer Pressekonferenz. Kardinal Blase Cupich aus Chicago gratulierte dem neuen Papst schnell und erklärte: "Dies ist ein historischer Moment für unsere Kirche und für die Kirche in den Vereinigten Staaten." Anstatt von einem "kleinen Bayern im Vatikan" zu schwärmen, wie es in einfacheren Zeiten einmal getan worden ist, betonten sie den universalen Charakter des Evangeliums.
Es sei, so die Kardinäle, erfreulich, aber nicht so wichtig, dass Leo XIV. ein Amerikaner sei. Stattdessen hoben sie hervor, dass der neue Pontifex Menschen zusammenbringen kann. Es sei ihm in Südamerika und in Rom gelungen, Differenzen so nebeneinanderzustellen, dass sie eine Begegnung möglich machen. "Wir brauchen Versöhnung, denn ohne die gibt es keinen Frieden", sagte der Geistliche aus Chicago und verwies darauf, dass wir gerade in dieser herausfordernden Zeit leben, in der so viel entzweit sei.
In den USA wiederholte in Baltimore der Erzbischof William Lori – etwas generisch – diese Haltung, ebenso brachte Erzbischof José H. Gomez aus Los Angeles, der die größte katholische Erzdiözese der Vereinigten Staaten leitet, auf den Punkt: "Papst Leo XIV. ist ein Mann tiefen Gebets und Demut. Seine Wahl ist ein Segen für die Kirche, und ich freue mich darauf, zu sehen, wie er uns führen wird, um Einheit, Frieden und Gerechtigkeit in der Welt zu fördern."
In den USA ein bekannter Unbekannter
Der Erzbischof von New York, Timothy Kardinal Dolan, der am Konklave teilgenommen hatte, erzählte Savannah Guthrie und Craig Melvin vom NBC Frühstücksfernsehen TODAY, dass er Kardinal Robert Prevost so gut wie überhaupt nicht kannte. "Ich hatte dann Frühstück mit ihm und wir hatten etwas Zeit, uns informell auszutauschen", wiederholt er heute in mehreren Sendungen. "Alle haben über ihn geredet. Aber wir haben ihn nicht wirklich als einen Kardinal aus den USA gesehen. Er war ja lange in Peru und dann in Rom."
Der Begriff "universale Kirche" wird im deutschsprachigen Raum oft als "Weltkirche" bezeichnet und oft so behandelt, als hätte sie mit der katholischen Realität hierzulande nichts zu tun – außer man braucht Geistliche.
Darüber sind sich zahlreiche Bischöfe in den USA einig. Der Bischof von Charlotte, Michael Martin, ein exzellenter und ruhiger Kommunikator, beantwortete zum Beispiel Fragen der Journalisten in North Carolina: "Das ist überhaupt keine dumme Frage", beginnt er seine Antwort an den Journalisten. Er habe nicht gedacht, dass ein Amerikaner überhaupt Papst werden könne. Geduldig erweitert der Bischof, wie andere seiner Kollegen, das Thema: Der Papst sei ein Sohn der Vereinigten Staaten, aber ebenso ein Geschöpf der universalen Kirche. Der Begriff "universale Kirche" wird im deutschsprachigen Raum oft als "Weltkirche" bezeichnet und oft so behandelt, als hätte sie mit der katholischen Realität hierzulande nichts zu tun – außer man braucht Geistliche.
Die Hirten von Honolulu über Anchorage-Juno, bis Phoenix, Philadelphia, Washington D.C., oder Puerto Rico durch und durch thrilled und übervoll mit joy.
Erzbischof Henning von Boston war "beglückt und überrascht", als ihn das Lokalfernsehen in Massachusetts abpasste. "Welch eine große Freude für uns! Der Heilige Geist hat die Kirche wirklich zu einem Mann mit Herz geführt – demütig, gütig und bereit zuzuhören", teilt der Augustinermönch Father Sarfranz Alam in Kalifornien mit.
Überhaupt sind die Hirten von der Diözese Honolulu, über Anchorage-Juno, bis Phoenix, Philadelphia, Washington D.C., oder Puerto Rico durch und durch thrilled und übervoll mit joy.
Bis auf ganz wenige Ausnahmen gibt es kaum tiefere Bekanntschaft mit der Person, die am 8. Mai den Thron Petri bestieg. Es sind zufällige, geschäftsmäßige, meist kurze Begegnungen, die allenfalls als flüchtig beschrieben werden.
Der Erzbischof von Las Vegas, George Leo Thomas, findet am Freitag beim Interview: "Als ich mit Bob zum ersten Mal geredet habe, hatte ich keine Ahnung, dass er so viel Macht dort [innerhalb der römischen Kurie] besitzt". Einfach noch irgendein Amerikaner, der in Rom oder in der Kurie irgendein Amt innehat? Der leutselige Bischof Edward Burns von Dallas behauptete am Freitag bei seiner Pressekonferenz: "Ich war nicht wirklich überrascht, aber [Pause] ich musste schon irgendwie meine Sachen auf die Reihe bekommen und mich auf die Höhe bringen."
Aber was ist schon ein Amerikaner?
Bischof David Troups von Beaumont, Texas, verteidigt vor Reportern die Friedensbotschaft, die Leo XIV. auf der Benediktionsloggia zum Ausdruck gebracht hatte: "Ich liebe, dass er la terra gesagt hat, die ganze Welt meint er." Eine andere Reporterin fragt den texanischen Kirchenmann, ob sich der neue Papst mutig für verfolgte Christen einsetzen werde: "Ich glaube, er wird noch mutiger sein [als seine Vorgänger]. Er ist ja ein amerikanischer Papst. So sind wir doch drauf. Und stellen Sie sich einmal vor, wenn er auch noch Texaner wäre. Dann hätten wir den geballten Mut." Bischof Troups präzisiert jedoch: "Er ist ein Amerikaner, aber er ist eigentlich auch ein Lateinamerikaner – und seit einiger Zeit ein Römer. Ich glaube, es wird interessant sein, zu sehen, wie er damit umgeht, Amerikaner zu sein, denn er ist ja auch der Papst von Afrika, der Papst von Asien."
In ihren Reaktionen entwickelten viele US-Bischöfe eine nuancierte Ekklesiologie, die Universalität, Synodalität, Soziallehre und Dialog betont. Trotz ihrer Offenheit und Großzügigkeit ist diese nicht unbedingt das, was man in Europa als progressiv versteht.
Wie wird Papst Leo XIV. also mit seiner Identität als Amerikaner, als Südamerikaner, als Römer seine Rolle ausfüllen?
In ihren Reaktionen entwickelten viele US-Bischöfe eine nuancierte Ekklesiologie, die Universalität, Synodalität, Soziallehre und Dialog betont. Trotz ihrer Offenheit und Großzügigkeit ist diese nicht unbedingt das, was man in Europa als progressiv versteht.
Sicher, die Nähe zu seinem Vorgänger wird häufig konstatiert. Bischof Burns aus Dallas betont jedoch: "Er tritt nicht die Nachfolge von Papst Franziskus an. Er folgt Jesus Christus."
Kardinal Joseph W. Tobin aus Newark erzählt: "Ich habe auf Bob geschaut, weil sein Name immer wieder genannt wurde, und er hatte seinen Kopf in den Händen", sagte er. "Ich habe für ihn gebetet, weil ich mir nicht vorstellen konnte, was mit einem Menschen passiert, wenn er mit so etwas konfrontiert wird", sagte Kardinal Tobin gegenüber der New York Times und fügte hinzu: "Es war, als wäre er dafür gemacht."
Erzbischof Salvatore Cordileone aus San Francisco sagt dem lokalen CBS-Sender, er sei überrascht und ein Amerikaner, "yeah that’s big news." Sofort unterstreicht auch dieser, dass er "ebenso Südamerikaner ist. Er hat die meiste Zeit seines Priesteramts in Peru verbracht." Bischof Cordileone sei ihm noch nie begegnet.
Kein Franziskus II.
Bischof Robert Barron von Winona-Rochester, den Donald J. Trump in eine Regierungskommission für Religionsfreiheit und damit in die Nähe des Weißen Hauses gebracht hat, sagte: "Der Name ist wichtig. Er greift in zurück in die Geschichte. Er ist nicht Franziskus II. oder Johannes Paul III., nein, er geht weit zurück zu Leo XIII., der in einer kreativen Weise mit Modernität umgehen wollte." Was Bischop Barron unterstreicht, ist: kein dumpfes Aggiornamento um jeden Preis, sondern einen intelligenten und kreativen Umgang mit Tradition und Gegenwart. Barron und Prevost sind fünfundzwanzig Minuten voneinander entfernt im Chicagoer Süden aufgewachsen.
Was das Pontifikat Leo XIV. mit der katholischen Kirche in den USA machen wird, wird eine spannende Frage. Während vor der Corona-Pandemie, die amerikanische Bischofskonferenz (USCCB) von sehr konservativen Kräften dominiert war, zeichnete sich in Wahlen 2024 für verschiedene Ämter innerhalb der USCCB bereits eine Wende ab, als mehrere erzkonservative Kleriker ihre Posten nach sehr klaren Wahlergebnissen ihre Posten räumen mussten.
Besonders zu beobachten sind hier Positionierungen zum Beispiel von Bischöfen wie James Conley von Lincoln, Nebraska, oder Alexander Sample von Portland, Oregon. Auch auf den Klerus in Philadelphia sollte man achten, wo der inzwischen emeritierte Erzbischof Charles J. Chaput einen Kulturkampf nach dem nächsten suchte. Sein Nachfolger Erzbischof Nelson Pérez jedenfalls findet die Wahl von Leo XIV. zumindest gegenüber CBS Philadelphia "amazing", aber "wir müssen erst mal schauen."
Die Gläubigen spielen in den USA eine autonome Rolle, ihre Positionen sind unabhängiger, oft aber auch konservativer als im Klerus. Der amerikanische Klerus sieht häufig die Aufgabe, den ideellen Raum gemeinsam zu gestalten.
Man sollte jedoch nicht nur auf die Mitglieder der kirchlichen Hierarchie schauen. Die Gläubigen spielen in den USA eine autonome Rolle, ihre Positionen sind unabhängiger, oft aber auch konservativer als im Klerus. Der amerikanische Klerus sieht häufig die Aufgabe, den ideellen Raum gemeinsam zu gestalten. Besonders in Deutschland sind die Laien eigentlich schwächer: Die Zahl der Ehrenamtlichen in der Kirche nimmt ab, an ihre Stelle treten zunehmend institutionell eingebundene Laienämter.
Außerhalb der Colleges in den USA und anders als in Europa suchen selbst prominente Laien – etwa der Late Night Host Stephen Colbert, der Regisseur Martin Scorsese oder Schauspieler Mark Wahlberg – nicht den Schulterschluss der Kirche mit der Gesellschaft. Der von Papst Franziskus abgesetzte Bischof Strickland lässt sich bereits vom Radiomoderator Glenn Beck instrumentalisieren, um gegen das Konklave zu wettern. Und auch MAGA-Ideologe Stephen K. Bannon, der im Übrigen bereits Ende April die Wahl von Robert Prevost vorausgesagt hat, teilte seine Bedenken mit.
Die Debatte ist aber – im Gegensatz zu Österreich und Deutschland – vielschichtiger und in jedem Fall äußerst lebendig.
Nuancen wahrnehmen
Die Äußerungen in den USA lassen sich nicht alle so einfach in die Lager einordnen, wie sie sich innerhalb des deutschsprachigen Katholizismus etabliert haben und von Deutschen auf die ganze Welt projiziert werden.
Anstatt sich den amerikanischen Papst als einen Anti-Amerikaner vorzustellen, sollten Kommentatoren genau hinhören, die Nuancen wahrnehmen und die Chancen sehen, die entstehen, wenn die katholische Kirche sich nicht in dumpfen Grabenkämpfen zwischen Links und Rechts leerläuft.
In den deutschsprachigen Medien stilisierte man den Frischgewählten, den allerdings so gut wie niemand auf dem Zettel hatte, schnell zu einem Anti-Trump. Ich glaube, das ist dumm. Denn, sicher, Robert Prevost hat in einem Tweet JD Vance kritisiert. Er hat aber auch vor etlichen Jahren sehr hart Hillary Clinton, die ja einmal Präsidentin werden wollte, aufgrund ihrer liberalen Abtreibungspolitik kritisiert.
Anstatt sich den amerikanischen Papst als einen Anti-Amerikaner vorzustellen, sollten Kommentatoren genau hinhören, die Nuancen wahrnehmen und die Chancen sehen, die entstehen, wenn die katholische Kirche sich nicht in dumpfen Grabenkämpfen zwischen Links und Rechts leerläuft.
An einem panamerikanischen Papst könnte man in Deutschland und Österreich begreifen, dass Weltkirche mehr bedeutet als Schulen in armen Ländern zu errichten – oder sich auf öffentlichen Plätzen in Europa in Lichterketten für den Weltfrieden fotografieren zu lassen.
Universalität des Evangeliums ist mehr als sich gegenüber einer bedürftigen Welt in die Geberposition zu bringen. Weltkirche bedeutet, Macht in der Ebenbildlichkeit neu zu entdecken, eine weltweit geteilte Verantwortung. Diese sollte nicht voreilig auf die Verantwortung "für das Klima" oder "die Option für die Armen" reduziert werden: Das reduziert die Weltkirche auf eine Problemzone.
Die prohibitive Rhetorik vieler Linkskatholiken hierzulande, die häufig noch härter mit dem Feindbild des Gegenübers spielt, als Konservative, zieht hier nicht. Eine linke Bequemlichkeit, sich bei Kulturkampfthemen mit der anderen Seite zu balgen – das reicht nicht.
Der oberflächliche Parteigang ersetzt die harte und vor allem spirituell kreative Arbeit in der beständigen Neubegründung auf dem Felsen nicht. Die Chance ist ja: dass die Kirche, die lokal von den Philippinen, über Norwegen, Irak, Kanada und Bolivien jeweils sehr unterschiedliche Temperamente ausgeprägt hat, so zu einer Kirche der Umsicht wird – der wahren Universalität und der Verbindung, das heißt, Brücken baut.