Das fassbare UnfassbareDie Knieabdrücke des heiligen Petrus

Von einem Fuß der heiligen Maria Magdalena war letzte Woche an dieser Stelle die Rede. In Rom finden sich überall Spuren des Heiligen zum Anfassen. Was hinter diesen Zeichen steckt und warum sie mehr sind als frommer Mummenschanz.

Knieabdrücke des heiligen Petrus in Santa Francesca Romana
© privat

Dass man die Fußabdrücke Jesu in Rom bewundern kann, ist bekannt: In der Kirche Domine quo vadis an der Via Appia Antica kann man gleich beim Eintritt auf einer Steinplatte die Spuren sehen, die Jesu Füße eingeprägt haben sollen. In seinem Roman "Quo vadis" hat der polnische Schriftsteller Henryk Sienkiewicz, dem in derselben Kirche ein Denkmal gewidmet ist, die damit verbundene Legende aufgegriffen. Diese erzählt, wie Petrus aus Rom flüchtete, um der Verfolgung zu entkommen, und sah, wie ihm Jesus entgegenkam. Er fragte ihn: Herr, wohin gehst du? Auf Latein: Domine quo vadis? Die Antwort Jesu lautete: Ich gehe nach Rom, um mich noch einmal kreuzigen zu lassen. Daraufhin wandte sich Petrus um, kehrte nach Rom zurück und erlitt den Märtyrertod. An diese Umkehr sollen die im Stein sichtbaren Abdrücke von Fußflächen erinnern. Allerdings sind die Abdrücke in der Kirche eine Kopie, das "Original" befindet sich ein paar Schritte weiter in der Kirche San Sebastiano.

Es gibt in Rom noch an einer anderen Stelle Abdrücke, die an den heiligen Petrus erinnern sollen. In der Basilika Santa Francesca Romana direkt am Kolosseum, die von den der Benediktinerkongregation angehörenden Olivetanermönchen betreut wird, sind vorne rechts, bevor man nach unten in die Krypta geht, wo der Leichnam der heiligen Francesca Romana im Glassarg verehrt wird, an der Wand zwei Steinblöcke angebracht. Die darin sichtbaren Wölbungen stammen, gemäß der begleitenden Inschrift, von den Knien des heiligen Petrus, der an dieser Stelle gebetet haben soll. 

Zugegeben, die Geschichte, die sich darum rankt, ist etwas befremdend. In der Apostelgeschichte wird von einem Simon Magus berichtet, der vom Wunderwirken des heiligen Petrus so beeindruckt war, dass er Geld angeboten hat, um diese Macht selbst zu besitzen (Apostelgeschichte 8, 9-24). Deswegen nennt man das Übel von Kauf kirchlicher Ämter heute noch "Simonie". Über das weitere Schicksal des Simon Magus wird in der Bibel nichts berichtet. Die Legende weiß aber darum, dass er später in Rom auf dem Forum mit Zauberei Aufmerksamkeit erregte. Das ging so weit, dass er sich in die Luft erhob, um zu fliegen. Daraufhin kniete sich Petrus nieder – und brachte durch sein Gebet den Simon Magus zum Absturz. Die Menschenmenge war so aufgebracht, dass sie den Magier lynchte. Die Erinnerung an die Macht des Gebetes des heiligen Petrus gegen die dämonischen Mächte ist wortwörtlich in Stein gemeißelt, in der Form seiner Knieabdrücke.

Köpfe, Füße, Arme überall

Also hat man in Rom nicht nur das Petrusgrab, über das der Petersdom errichtet ist, sondern auch noch die Knieabdrücke des heiligen Petrus. Damit aber nicht genug. In der Kirche San Pietro in Vincoli, in welche die Besucher vor allem deswegen einkehren, um den Mose des Michelangelo zu bewundern, sind die Kerker-Ketten des heiligen Petrus zur Verehrung ausgestellt. Sie befinden sich direkt über einem Sarkophag mit den Reliquien der sieben Makkabäischen Märtyrer, deren Geschichte in der Bibel erzählt wird (2 Makkabäer 7).

In Rom gehört es fast zur Normalität, dass das "Heilige" und die Heiligen so plastisch und fassbar präsent sind. In Santa Maria Maggiore findet sich die Krippe aus Betlehem. In einem kleinen Gebäude neben der Lateranbasilika ist die Treppe, die Scala Santa, zu sehen, auf der Jesus zum Verhör bei Pilatus aufstieg. In Santa Prassede steht die Säule der Geißelung. Und in Santa Croce in Gerusalemme werden Dornen aus der Dornenkrone, ein Nagel des Kreuzes sowie ein Teil der Tafel mit dem Kreuzestitel verehrt.

In San Giovanni Battista dei Fiorentini findet sich die Fußreliquie der heiligen Maria Magdalena, in Sant' Agnese in Agone auf der Piazza Navona der Schädel der heiligen Agnes, in Santa Maria sopra Minerva die rechte Hand des heiligen Thomas und in Il Gesù der rechte Arm des heiligen Franz Xaver.

Manch einem ist dieser Materialismus des Heiligen wohl zu viel, sozusagen "zu katholisch". Eine wunderbare Deutung habe ich ausgerechnet von der evangelischen Theologin, Corinna Mühlstedt, erhalten. Bei einer Buchpräsentation an der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl hat sie über ihre römischen Erfahrungen reflektiert, die in einen spirituellen Reiseführer eingegangen sind, den sie mit dem ehemaligen Abtprimas der Benediktiner, Notker Wolf, verfasst hat. Notker Wolf ist leider im April 2024 verstorben. Auf den Punkt gebracht heißt es in dem Buch "Kraftort Rom. Spirituelle Streifzüge":

"Uns wird einmal mehr deutlich, dass es hier, wie so oft in Rom, nicht um historische Erkenntnisse geht. Viel wichtiger sind die religiösen Botschaften, die seit Jahrtausenden mithilfe von Erzählungen oder Symbolen vermittelt werden".

So sind die Knieabdrücke des heiligen Petrus nahe am Kolosseum nicht nur Gegenstand der Bewunderung oder gar Verwunderung, sondern inspirieren, über das fassbare Unfassbare nachzudenken. Mehr als die sichtbaren Gegenstände sind die Personen, auf die sie verweisen, die Kraftorte und spirituellen Quellen.

In den vergangenen Wochen, als Papst Franziskus starb und mit Leo XIV. ein neuer Papst gewählt wurde, gab es bei den vielfältigen Ereignissen in Petersdom oder auf dem Petersplatz während der stundenlangen Wartezeiten und der feierlichen Liturgie genug Gelegenheit, sich wieder ins Bewusstsein zu rufen, was es bedeutet, dass die Päpste in der Nachfolge des heiligen Petrus stehen und der Geschichte eine fast unfassbare Kontinuität einprägen. Und dies sicher nicht zuletzt dank der vielen Gebeten – durch sie und für sie – die zwar meistens keine sichtbaren Abdrücke hinterlassen, aber kraftvolle Wirkung in Kirche und Welt entfalten.

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