Ich und WirGedanken zu einem schwierigen Gleichgewicht

Die Ordensregel der Benediktiner weiß: Jeder Einzelne ist für Gott bedeutsam. Doch zum Ewigen Leben gelangen wir nur gemeinsam.

Mauritius Wilde
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Für einen Benediktiner ist Gemeinschaft kein Selbstzweck. Obwohl die Ordensregel der Benediktiner, die Regula Benedicti (RB), aus einer Epoche stammt, in der dem Kollektiv mehr Raum eingeräumt wurde als den Interessen des Individuums, richtet sie sich gleich zu Beginn an den einzelnen: "Höre, mein Sohn" (RB Prolog 1). Benedikt löst den Einzelnen aus dem Kollektiv heraus: "Der Herr sucht in der Volksmenge, der er dies zuruft, einen Arbeiter für sich, und sagt wieder: 'Wer ist der Mensch, der das Leben will und gute Tage zu sehen wünscht?' Wenn du das hörst, und antwortest: 'Ich' – ego –, dann sagt dir Gott…" (RB Prolog 14-16) Somit trägt die Benediktsregel von Anfang an dazu bei, dass Gemeinschaft nicht auf Kosten des einzelnen etabliert oder erhalten wird.

Und doch spielt für Benedikt Gemeinschaft eine wichtige Rolle. Unter den verschiedenen Arten von Mönchen gibt er den "Koinobiten" die Priorität, also denjenigen, die in einer Gemeinschaft leben (RB 1,2). Die Urgemeinde (koinonia) ist ihm dabei das Vorbild. Er betrachtet die Gemeinschaft als ein Übungsfeld, ja als "Schlachtreihe", in der der einzelne vorbereitet wird auf den Einzelkampf als Eremit. Denn gemeinsam kann man Versuchungen besser widerstehen. Die Gemeinschaft hilft, Projektionen wegzunehmen.

Das Leben als Eremit ist dabei nicht unbedingt sein angestrebtes Ziel. Im vorletzten Kapitel seiner Regel schreibt er bemerkenswerterweise: "Christus sollen sie überhaupt nichts vorziehen. Er führe uns – nos – gemeinsam – pariter – zum ewigen Leben." Wieder klingt die Urgemeinde an (vgl. Apg 2,1.44). Es scheint, als würden wir zum ewigen Leben nur gemeinsam gelangen können. Die eschatologische Dimension war im Mönchtum immer stark; gemäß dem 2. Petrusbrief wartet Christus mit seiner zweiten Wiederkunft nur deshalb so lange, weil er Geduld mit uns hat. "Denn er möchte nicht, dass auch nur ein Mensch verloren geht." (2 Petr 3,9) Wenn noch welche zurückbleiben, bleiben wir gleichsam alle zurück. Christus ist nicht nur der, der uns persönlich erlöst und rettet, sondern er kam, um die ganze Welt zu retten.

Wenn wir an das Leben in der Familie denken, wird schnell klar, dass in Gemeinschaft zu leben wirklich eine Kunst ist, die gelingen, aber auch misslingen kann.

Heute ist Leben in Gemeinschaft wieder in der Diskussion. Viele interessieren sich für das Kloster, das konkrete Leben in der Kommunität aber wagen nur wenige. Das ist kein Wunder, sind wir doch in den westlichen Gesellschaften mehr und mehr individualistisch geprägt. Obwohl die Sehnsucht nach Gemeinschaft bleibt und auch ihre Ausdrucksformen findet, ist doch alles gemeinschaftlich Organisierte in der Krise: Parteien, Gewerkschaften, Vereine, die Kirchen und selbst die Demokratie. Wenn wir an das Leben in der Familie denken, wird schnell klar, dass in Gemeinschaft zu leben wirklich eine Kunst ist, die gelingen, aber auch misslingen kann.

Die Benediktsregel gibt Instrumente an die Hand, wie Gemeinschaft gut gelebt werden kann. Sie hält die Balance zwischen dem ego und dem nos. In der Praxis wird diese Spannung immer wieder einmal spürbar, zum Beispiel bei einem kleinen liturgischen Disput, den wir Mönche zuweilen austragen. Was tun wir nach dem Kommunionempfang? Die einen wollen gleich nach dem Empfang auf die Knie und in persönlicher Anbetung Gott danken. Andere wiederum wollen sich setzen und in der Gegenwart Gottes meditierend verweilen.

Die Tradition des gregorianischen Gesangs zur Kommunion hingegen kennt eine dritte, ganz andere Praxis. Die sogenannte Communio ist dafür da, während der Kommunionausteilung von allen gemeinsam stehend gesungen zu werden. Jeder und jede hat den Leib Christi empfangen und ist so Teil von ihm geworden. Zusammen sind wir der Leib Christi, die Kirche. Wir können Christus nicht empfangen und uns dabei von den anderen isolieren. Wir sind eingeladen, nicht im privatissimum zu verharren, ob bequem oder fromm, sondern aktiv in die Communio der Gläubigen einzustimmen.

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