Die Letzten und die ErstenDie Klöster und die Erneuerung der Kultur

Der letzte Römer und der erste Europäer – so wird Papst Gregor der Große (gestorben 604) in der Biografie von Pierre Riché charakterisiert. Könnten seine Erfahrungen an einem Wendepunkt der Geschichte vor beinahe anderthalb Jahrtausenden als Deutungsmuster dienen, um die Tendenzen unserer Gegenwart, die sich aktuell in einem turbulenten "Krisenmodus" befindet, einordnen und sogar gestalten zu können?

Maura Zátonyi
© Jan Bruns

Als Sohn einer traditionsreichen römischen Familie war sich Gregor der alten Größe Roms als "Herrin der Welt" bewusst und eignete sich Wissenschaft und Kultur, die das antike Rom bot, an. In seinem Leben erfuhr er zugleich die Folgen des Niedergangs des Weströmischen Reiches und den Verfall der alten Welt wie auch die damit einhergehenden politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen. Von Ostgoten, dann Langobarden zerstört oder belagert wurde Rom stark in Mitleidenschaft gezogen, während von den oströmischen Kaisern aus der Ferne nicht viel Hilfe zu erwarten war.

Gregor vermochte Krisen zu meistern, zwischen weltlichen und kirchlichen Mächten mit maßvoller Weisheit zu vermitteln und sich um die Not der Armen und der gebeutelten, oft genug orientierungslosen Bevölkerung zu kümmern. Er richtete jedoch seinen Blick über das Krisenmanagement der alltäglichen Erfordernisse hinaus und erschloss neue Möglichkeiten für die Zukunft. Durch die Missionierung der Angelsachsen in England gewann er Völker für das Christentum "am Ende der Welt", wie er es damals empfand.

Sowohl mit seinen (kirchen-)politischen Entscheidungen als auch mit seinen Bibelkommentaren, in denen er die Zeichen der Zeit im Lichte der Offenbarung deutete, bereitete er das Herankommen einer neuen Epoche vor. Gregor, der selbst Mönch war, als er zum Papst gewählt wurde, vertraute auf die Unterstützung von Mönchen. Nicht zuletzt dank Gregors richtungweisenden Impulsen erwiesen sich Klöster als Träger von fruchtbar-gestaltender Kraft in einer von Wirrnissen gekennzeichneten Zeit, indem sie Schätze der antiken Welt dem entstehenden Europa im Mittelalter weitergaben.

Verschiebung der Weltordnung

Gewiss, wir stehen heute nicht vor einem Niedergang. Dennoch können wir nicht leugnen, dass etablierte Werte und Überzeugungen ins Schwanken geraten sind und manche Anzeichen eine Verschiebung der traditionellen Weltordnung erahnen lassen.

Wovon werden diejenigen, die möglicherweise früher oder später die letzten Europäer sein werden, die Ersten sein?

Mit Gregor als Symbolgestalt vor Augen, der aus dem Niedergang einer alten die Geburt einer neuen Kultur erlebte und mitgestaltete, stellt sich eine Benediktinerin die Frage, ob und welche Rolle Klöster bei der Bewahrung einer (erneuerten) europäischen Kultur spielen.

Haben Klöster noch genug aus dem Glauben quellende Kraft und von der Hoffnung beflügelte Fantasie, in Krisenzeiten orientierend zu wirken und Übergangszeiten auf Zukunft hin kreativ zu gestalten?

Benediktiner zeichnen sich durch eine erstaunliche Fähigkeit zu Transformationen aus, was die 1500 Jahre lange benediktinische Geschichte belegt. Inwieweit können Erfahrungen monastischer Wandlungsgeschichte für die im Wandel befindliche europäische Gesellschaft fruchtbar gemacht werden und zur Gestaltung von etwas Neuem beitragen? Wenn man mit langem benediktinischem Atem Geschichte und Gegenwart betrachtet, kann man sich der Frage nicht erwehren: Wovon werden diejenigen, die möglicherweise früher oder später die letzten Europäer sein werden, die Ersten sein?

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