Kann man eine Maschine lieben?Liebe in Zeiten von KI: Ein Vorgeschmack der Hölle?

Die Künstliche Intelligenz (KI) hält inzwischen sogar im intimsten Bereich menschlichen Lebens Einzug. Doch echtes Glück und echte Erfüllung kann sie nicht schenken – denn dazu braucht es ein Gegenüber auf Augenhöhe und keine seelenlose Maschine.

Maschinenfrau aus dem Film
© Wikimedia Commons/gemeinfrei - Maschinenfrau aus dem Film "Metropolis" von Fritz Lang (1927)

I.

Die Umwälzungen, die ChatGPT bringen kann, finden schon länger mediale Aufmerksamkeit. Die evangelische Kirche im Rheinland hat ein KI-gestütztes Gespräch mit Martin Luther am Reformationstag durchgeführt, um die Theologie des Reformators unter digital natives bekannter zu machen. Auch gibt es ChatGPT-Gedichte und Gebete von beachtlicher poetischer Qualität, so dass man den Eindruck gewinnen kann, hier würde die postmoderne Toterklärung des Autors durch eine "intelligente" Maschine endlich vollzogen. Hausaufgaben, wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten, Übersetzungen und anderes wird von KI bereits nahezu perfekt absolviert. Das bringt enorme Chancen, birgt aber auch erhebliche Risiken, welche die heutige Wissensgesellschaft und ihre bisherigen Vermittlungsformen umkrempeln, aber auch den Arbeitsmarkt massiv verändern werden.

II.

Aber Menschen sind nicht nur Geistwesen, sie haben auch Gefühle und körperliche Bedürfnisse. Ja, französische Philosophen wie Gabriel Marcel betonen: Menschen haben nicht nur einen Körper, sie sind ihr Körper. Sie atmen und bewegen sich, sie essen und trinken. Sie brauchen einander, sie sprechen und fühlen und lieben – und die Liebe hat eine eigene Sprache mit einer fein abgestimmten Klaviatur des Ausdrucks, die eben nicht nur mechanisch oder maschinell zu bedienen ist. Der immer im Fluss befindliche Code der Intimität ist an das Auge, den Mund, an die Haut und den Körper gebunden. So interessiert schon länger die Frage, ob und wie humanoide Maschinen sexuelle Bedürfnisse von Menschen befriedigen können.

III.

In der F.A.Z. gab es vor einiger Zeit ein Interview mit dem Maschinenethiker Oliver Bendel unter der Überschrift "Für Dirty Talk ist GPT zu prüde". Die Simulation des Begehrens durch ChatGPT wird allerdings immer raffinierter. Harmony oder Solana heißen intelligente Sex-Roboter, die auf dem Markt angeboten werden. Es handelt sich um "charmante Chatbots", die einsamen Seelen jeder Zeit zum Gespräch zur Verfügung stehen, selbstlernende Roboter, die ihre Benutzer umgarnen und an sich binden können. Die "visuellen Repräsentationen" sind je nach sexueller Präferenz – männlich, weiblich, non-binär – wählbar. Augenfarbe, Haare und andere körperliche Merkmale lassen sich auf Bestellung hin konfigurieren. Die künstlich hergestellte und auf das Profil des Benutzers zugeschnittene Nähe macht vergessen, dass es eine Maschine ist, die hier mit vollen Lippen, anzüglicher Stimme, mit passgenauem Feedback auf körperliche Erregungsmuster reagiert. Die Simulationen werden immer perfekter. Kunden, die sich für viel Geld solche Sexroboter mit künstlicher Intelligenz kaufen, wollen neben Sex auch eine Art von Beziehung, sagt der Experte.

Aber was für eine Beziehung ist das? Echte Erwiderung oder gar Widerspruch eines Gegenübers ist nicht gefragt, die Kunst der Verführung braucht es nicht. Auch ist die humanoide Maschine mit künstlicher Stimme und faltenlosem Gesicht anders als ein realer Partner permanent verfügbar. 

IV.

Aber was für eine Beziehung ist das? Echte Erwiderung oder gar Widerspruch eines Gegenübers ist nicht gefragt, die Kunst der Verführung braucht es nicht. Auch ist die humanoide Maschine mit künstlicher Stimme und faltenlosem Gesicht anders als ein realer Partner permanent verfügbar. Das Zögern, das Hin und Her von Nähe und Entzug gibt es hier nicht. Anders als bei einem Menschen, der sich Wünschen des anderen immer auch entziehen kann, gibt es hier keine Vorbehalte. Die unerfüllte Liebe, ein viel behandeltes Motiv in den Romanen der Weltliteratur, war gestern. Gewiss, die Ökonomisierung der Liebe ist alt und hat viel Stoff für Moral-Diskurse geboten, aber durch "intelligente" Maschinen werden Sex und Beziehung zu einem technologischen Produkt, das man bestellen, kaufen und sich bedürfnisgerecht zurechtschneidern kann, wenn man denn über die entsprechende finanzielle Potenz verfügt. Allerdings, so äußert ein Spezialist für Liebesroboter, gebe es Millionen Menschen, die aus verschiedenen Gründen niemanden haben, den sie lieben können, oder niemanden kennen, der sie liebt. Für diese Menschen könnten Roboter doch die richtige Antwort sein. Die "intelligenten" Maschinen mögen einen Mangel kompensieren, aber die Lösung, die hier den einsamen Seelen anempfohlen wird, ist durch Algorithmen generiert und damit seelenlos. "Dates" mit einer Maschine, die sich als Mensch tarnt, ohne lachen oder weinen zu können, ist Liebe ohne Fleisch, Erregung ohne Gegenüber, Beziehung ohne Beziehung.

V.

"Und sie wurden ein Fleisch", heißt es in der Bibel über Mann und Frau, die zueinander gefunden haben (vgl. Gen 2,25). Und an anderer Stelle: "Sie erkannten einander" (vgl. Gen 4,1 und 17; 1 Sam 1,19). Und diese Erkenntnis, in der Mann und Frau sich vereinigen, bleibt nicht bei sich, sie ist offen für andere. Der Zirkel zu zweit wird auf den potentiell Dritten überschritten, der aus der Vereinigung der beiden hervorgehen kann. Vom coitus mit einer Maschine erzählt Ian McEwan in seinem Roman Maschinen wie ich (2019). Hier paart sich eine Frau mit dem Androiden Adam, der auch körperlich attraktiver ist als die meisten Männer im realen Leben. "Künstliche" Intelligenz geht bei ihm mit einem muskulösen Körper zusammen, so anziehend, dass Miranda es einfach einmal ausprobieren will und ihren Freund für die Affäre mit dem humanoiden Roboter, der nichts vergisst und nichts verzeiht, zurücklässt.

Der Sex mit der Maschine simuliert das Ein-Fleisch-Werden, die Erregung bleibt aber ohne Erkenntnis des anderen, weil kein anderer da ist, den man erkennen könnte. Echtes Glück, echte Erfüllung ist an die Freiheit des anderen gebunden, sich zu schenken – oder auch nicht. 

VI.

Der Sex mit der Maschine simuliert das Ein-Fleisch-Werden, die Erregung bleibt aber ohne Erkenntnis des anderen, weil kein anderer da ist, den man erkennen könnte. Echtes Glück, echte Erfüllung ist an die Freiheit des anderen gebunden, sich zu schenken – oder auch nicht. Mensch und Maschine aber fallen nach vollzogenem Akt auseinander, nur einer aber ist traurig und bleibt mit sich allein. Der Akt bleibt ohne Frucht, er kann sich auf einen potentiellen Dritten gar nicht erst beziehen, weil es die gemeinsame Freude der Liebe nicht gibt, an der ein Dritter als Mitgeliebte(r) – als condilectus oder condilecta – Anteil erhalten könnte. Die paradiesischen Freuden, die "intelligente" Sexroboter wie "Harmony" oder "Solana" versprechen – entpuppen sie sich nicht am Ende als Vorgeschmack der Hölle, wenn das Zurückgeworfenwerden auf sich selbst zur Signatur der Verlorenheit gehört?

COMMUNIO-Newsletter

Ja, ich möchte den kostenlosen COMMUNIO-Newsletter abonnieren und willige in die Verwendung meiner Kontaktdaten zum Zweck des E-Mail-Marketings durch den Verlag Herder ein. Den Newsletter oder die E-Mail-Werbung kann ich jederzeit abbestellen.
Ich bin einverstanden, dass mein personenbezogenes Nutzungsverhalten in Newsletter und E-Mail-Werbung erfasst und ausgewertet wird, um die Inhalte besser auf meine Interessen auszurichten. Über einen Link in Newsletter oder E-Mail kann ich diese Funktion jederzeit ausschalten.
Weiterführende Informationen finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen.