Fremde und Gäste in der Welt"... damit ihr seinen Spuren folgt": Der erste Petrusbrief

Wie sollen sich Christen in einem ihnen nicht wohlmeinenden Staat und Gemeinwesen verhalten? Wie sollen sie miteinander umgehen, um den Pfad des Evangeliums nicht zu verlassen? Der Autor des Petrusbriefes ist sich sicher: Wenn die Christen standhaft bleiben, wird sich Gott ihrer erbarmen.

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Im vorangehenden Abschnitt hatte der Brief die Kirche als das neue Volk Gottes mit seinen entsprechenden Würdenamen vorgestellt (vgl. 1 Petr 2,4-10). Jetzt beginnt eine umfangreiche sogenannte "Paränese", eine Ermahnung, Aufforderung, Ermutigung, in der Petrus den Adressaten seines Briefes zeigt, was ihr Kirche- und Christsein für den Alltag bedeutet, und zwar in einer Umwelt, die das christliche Denken und Leben nicht unterstützt. Es geht um die Themen, wie sich Christen gegenüber dem ihnen nicht wohlgesonnenen Staat verhalten sollen (2,13-17), wie sie ihr Schicksal als Sklaven im Geist des Evangeliums ertragen sollen (2,18-25), wie christliche Frauen und Männer ihre Existenz als Eheleute verstehen und gestalten sollen (3,1-7), schließlich wie die Christen innerhalb ihrer Gemeinde miteinander umgehen sollen (3,8-12).

Diesen konkreten Themen stellt der Brief als Leitgedanken eine grundsätzliche Erwägung über die Fremdheit der Kirche in dieser Welt voran, verbunden mit der Aufforderung, die eigene Lebensführung, die im völligen Kontrast zur heidnischen Gesellschaft steht, nicht als abgrenzende Selbstisolation, sondern als gewinnende Mission zu begreifen und zu vollziehen:

Geliebte, da ihr Fremde und Gäste seid in dieser Welt, ermahne ich euch: Gebt den irdischen Begierden nicht nach, die gegen die Seele kämpfen! Führt unter den Heiden ein rechtschaffenes Leben, damit sie, die euch jetzt als Übeltäter verleumden, durch eure guten Taten, die sie sehen, Gott verherrlichen am Tag der Heimsuchung. (1 Petr 2,11f)

"Unsere Heimat ist im Himmel"

Mit der Anrede "Geliebte!", die hier zum ersten Mal im Brief begegnet, aber in vielen Briefen des Neuen Testaments vorkommt (vgl. 2 Kor 2,19; Phil 4,1; 1 Joh 2,7 u.ö.), beginnt ein neuer Abschnitt. Hatte Petrus den Christen unmittelbar vorher ihre Zugehörigkeit zum auserwählten, heiligen Volk erklärt, so setzt er mit der Feststellung, in dieser Welt seien sie "Fremde und Gäste", einen scharfen Kontrast. Die griechischen Begriffe paroikoi und parepidemoi bedeuten wörtlich "neben den Häusern" und "neben den Einwohnern", und sie bezeichnen in der antiken Gesellschaft Menschen, die keinen festen Wohnsitz haben und deshalb keine Bürgerrechte besitzen. Eine ähnliche Selbstbezeichnung der Christen findet sich im Philipperbrief. Meist wird diese Stelle übersetzt: "Unsere Heimat ist im Himmel" (Phil 3,20), doch eigentlich steht im Text ein politischer Begriff: "Unser Bürgerrecht (politeuma) haben wir im Himmel." Paulus meint damit, dass es nicht die Zugehörigkeit als Bürger zum Römischen Reich ist, die den Christen ihre Würde und ihre Identität verleiht, sondern ihre Gemeinschaft mit Christus. Im ersten Petrusbrief steht dieser Gedanke vom Fremdsein, nicht wirklich Zuhause Sein in dieser Welt sehr zentral über der Frage nach der christlichen Identität.

Zur Realität dieser Welt gehören die "Begierden"; sie führen gegen die Seele Krieg (V. 11). Dieses Bild verstärkt noch einmal die Sicht auf die christliche Existenz, die in dieser Welt nicht nur heimatlos ist, sondern auch noch bekämpft wird. Der erste Petrusbrief spricht von "irdischen Begierden"; hier steht eigentlich das Wort "fleischlich", was aber ein höchst missverständliches Wort ist. Was der Brief mit dem Begriff "Welt" verbindet und was er unter "Begierden" versteht, lässt sich mit einem Seitenblick auf eine kurze Passage im ersten Johannesbrief erschließen:

Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, in dem ist die Liebe des Vaters nicht. Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Die Welt vergeht und ihre Begierde; wer den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit. (1 Joh 2,15-17)

"Welt" – und das gilt ebenso für den Petrusbrief – wird hier nicht im Sinne von "Schöpfung" verstanden, sondern ist ein Sammelbegriff für alles, was dem Willen und der Liebe Gottes entgegengesetzt und damit unvereinbar ist. Daher ist "Welt" also kein kosmischer, sondern vielmehr ein ethischer Begriff. Zur Welt gehören die Begierden; der Johannesbrief versteht dieses Wort, dessen Grundbedeutung "Verlangen" oder "Sehnsucht" ist, ganz und gar negativ im Sinne von "bösem Verlangen" (vgl. ebf. 1 Thess 4,5; Kol 3,5 u.a.) und unterteilt sie in die drei Bereiche: Begierden des Fleisches, Begierden der Augen und Prahlen mit dem Besitz.

Den irdischen Begierden widerstehen

Das "Fleisch" ist in den Briefen des Neuen Testaments der Gegenbegriff zum "Geist", und damit ein Bild für alles Fühlen, Denken und Handeln eines Menschen, der sich nicht vom Heiligen Geist führen und erfüllen lässt, sondern der sich völlig in seinen egoistischen Motiven und Zielen einschließt und auf sich selbst bezogen bleibt; man kann dabei an eine Konsummentalität in allen erdenklichen Ausprägungen denken. Die "Begierde der Augen" bezieht sich auf solche Sehnsüchte, die etwas mit "sehen und gesehen werden" zu tun haben. Schließlich das "Prahlen mit dem Besitz": hier geht es nicht nur um Angeberei mit dem materiellen Besitz, der Gesundheit und Leistungsfähigkeit, sondern im Tiefsten um eine Form der Selbstherrlichkeit, in der der Mensch seine Geschöpflichkeit und Begrenztheit leugnet. Diese drei "Kennzeichen" der "Welt", Egoismus, Geltungsdrang und Machtgier, stehen bei den "irdischen Begierden" des ersten Petrusbriefs im Hintergrund.

Dabei zeigt der Brief eine sehr realistische Sicht auf den Menschen, denn er weiß, dass diese "irdischen Begierden" (1 Petr 2,11) durch die Taufe nicht einfach ausgeschaltet sind. Vielmehr wird im Petrusbrief deutlich, dass bestimmte menschliche Sehnsüchte und Bestrebungen überhaupt erst im Licht des christlichen Glaubens als "irdisch", also als Verstoß gegen die Liebe und gegen den Willen Gottes, sichtbar und erkennbar werden. Die größte Bedrohung sieht der Petrusbrief deshalb nicht in der Tatsache, dass die Christen vor die Herausforderung gestellt sind, diesen "Begierden" aktiv und offensiv zu begegnen, sondern darin, dass sie diese Situation nicht ernst genug nehmen und den Begierden "nachgeben", das heißt, sich wieder ihrem alten Lebensstil anpassen.

Den Hass überwinden

Darum fordert Petrus seine Adressaten auf, sich um eine gute Lebensführung zu bemühen, und das vor allem angesichts der Tatsache, dass "die Heiden … euch jetzt als Übeltäter verleumden" (1 Petr 2,12). Verleumdung und übler Nachrede ausgesetzt zu sein, gehört von Beginn an zum christlichen Alltag. Am Ende der Seligpreisungen der Bergpredigt reflektiert die Verheißung: "Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen" (Mt 5,11), die Erfahrung, dass Jesu Jünger sein eigenes Schicksal teilen. Ihm wurde zum Vorwurf gemacht, dass der Freund von Zöllnern und Sündern sei (vgl. Mt 11,19), er wurde der Gotteslästerung beschuldigt (vgl. Mk 2,7) und wurde als Verbrecher am Kreuz hingerichtet (vgl. Joh 19,19f). Ob es bereits ein Verbrechen sei, den Namen "Christ" zu tragen und dafür bestraft werden zu müssen, fragt zu Beginn des 2. Jahrhunderts der Statthalter Plinius seinen Kaiser Trajan (ep. 10,96,2). "Um ihrer Laster willen waren sie verhasst", konstatiert ungefähr zeitgleich der römische Geschichtsschreiber Tacitus (ann. 15,44), und an der Wende zum 3. Jahrhundert hält Tertullian fest:

Zur Rechtfertigung ihres Hasses gebrauchen sie [die Heiden] auch jenen sinnlosen Vorwand, dass nach ihrer Überzeugung an jedem Schaden, der die Allgemeinheit trifft, an jedem Unglück der Völker die Christen schuld seien. Wenn der Tiber die Stadt überschwemmt, wenn der Nil die Felder nicht überschwemmt, wenn der Himmel sich nicht bewegt, wenn die Erde bebt, wenn eine Hungersnot, wenn eine Seuche ausbricht, schreit man sofort: "Die Christen vor den Löwen!" (apol. 40,1f)

Für den ersten Petrusbrief ist klar: Die Christen müssen diesen Hass, der ihnen entgegenschlägt, durch das Zeugnis ihres guten Lebens überwinden. Was mit "rechtschaffenem Leben" (V. 12) übersetzt ist, heißt eigentlich "schön": Die Christen sollen bei den Heiden etwas bewirken durch ihren "schönen Lebenswandel". Ganz parallel ist dieser Gedanke in der Bergpredigt formuliert: "So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten (wörtl.: schönen) Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen" (Mt 5,16).

Menschen zum Lobpreis Gottes bewegen

Dass Matthäus und der Petrusbrief hier zu dem Wort "schön" (kalos) gegriffen haben – obwohl die griechische Sprache auch ein ganz übliches Wort für gut (agathos) bereithält – kann vielleicht in dem Sinn verstanden werden, dass der Lebenswandel der Christen nicht nur in sich gut sein soll, sondern dass das Gute auch nach außen hin eine Strahlkraft und Sichtbarkeit entfalten soll, die es vermag, die Menschen, die das sehen, zum Lobpreis Gottes zu bewegen. Dass "sie Gott verherrlichen am Tag der Heimsuchung" (V. 12) ist das Ziel, auf das der Lebenseinsatz der Christen gerichtet ist. Eine Übersetzung dieses Gedankens in unsre Zeit hat Papst Franziskus in seiner Enzyklika Evangelii gaudium formuliert:

Jeder und jede ist Mission. Sie ist nicht ein Teil meines Lebens oder ein Schmuck, den ich auch wegnehmen kann. Sie ist etwas, das ich nicht aus meinem Sein ausreißen kann. Eine Mission zu sein bedeutet, Licht zu bringen, zu segnen, zu beleben, aufzurichten, zu heilen, zu befreien. (273)

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