Stilarme ÜbergriffigkeitenLehren aus dem Eklat um den Helnwein-Zyklus im Wiener Stephansdom

Es ist offensichtlich, dass der als "Schockmaler" bekannt gewordenen Gottfried Helnwein für seine Fastentücher eher aufgrund des absehbaren Medienechos eingeladen wurde als wegen der künstlerischen Qualität seiner Bilder. Teile des Kirchenvolks fühlten sich provoziert – dabei war es das erklärte Ziel des verantwortlichen Dompfarrers, Gegenwartskunst für die christliche Verkündigung zu nutzen. Und gerade das ist das Problem.

Dompfarrer Toni Faber und Künstler Gottfried Helnwein
© Stephan Schönlaub/Erzdiözese Wien - Dompfarrer Toni Faber und Künstler Gottfried Helnwein

Alfred Hrdlicka wurde einmal mit der Aussage konfrontiert, Pater Friedhelm Mennekes habe die zeitgenössische Kunst in der Kirche wieder hoffähig gemacht. Hrdlicka entgegnete: "Von welchem Hof sprechen Sie?" Die viel beschworene enge Verbindung von Kirche und Kunst ist längst zerrissen. Sie ist bis heute trotz zahlloser versöhnlicher Initiativen von beiden Seiten nicht wieder herstellbar. Allzu oft führt der von rückwärtsgewandten Sehnsüchten bestimmte Versuch nach einer Versöhnung von Kirche und Kunst in ausweglose Aporien – oder zu stilarmen Übergriffigkeiten.

So aktuell im Wiener Stephansdom. Dort präsentierte seit Aschermittwoch der österreichische Künstler Gottfried Helnwein den ersten Teil von drei geplanten großformatigen Installationen. Diese wollen das christliche Zentralgeheimnis von Jesu Tod, Auferstehung und Geistaussendung darstellen, wie es auch im christlichen Glaubensbekenntnis formuliert ist. Für den Wiener Dompfarrer Toni Faber stellte die Aktion eine Gelegenheit dar, "die zentrale christliche Botschaft mit der zeitgemäßen Sprache der Kunst den Menschen über eng gesteckte konfessionelle Grenzen hinaus zu vermitteln".

Dabei scheint dem umtriebigen Geistlichen entgangen zu sein, dass "das Thema christlicher Kunst abgehakt" ist, wie der jüngst verstorbene Maler Herbert Falken unideologisch und lapidar feststellt. Die Zeiten, da die Kirche als großzügige Mäzenin Künstlern Aufträge erteilte, ihre Glaubensinhalte zu illustrieren, sind lange vorbei.

Jetzt hat das Wiener Domkapitel beschlossen, dem von Helnwein gestalteten Fastentuch nicht, wie ursprünglich geplant, ein "Ostertuch" und ein "Pfingsttuch" folgen zu lassen. Das dem Domkapitel erstmals am Mittwoch vorgelegte "Ostertuch" eines Kindes mit den Wundmalen Christi sei zwar in sich ein "beeindruckendes und ernst zu nehmendes Kunstwerk", hieß es am Donnerstag in einer Erklärung. Im Blick auf Ostern und die Art der Darstellung könnte es aber "Menschen verstören" und polarisieren, weswegen die geplante Fortsetzung des Helnwein-Zyklus nicht stattfindet.

Das Domkapitel räumt ein, das Motiv des Kindes als Auferstandener rege zum Nachdenken über die Gewalt an den Schwächsten an und passe theologisch zum Topos von Christus, der, selbst unschuldig, die Schuld der Menschen auf sich genommen habe. Das aus zwölf Mitgliedern bestehende Gremium, zu dem auch der Dompfarrer gehört, gab zu bedenken, in der unvermittelten Drastik der fotorealistischen Darstellung eines blutenden Kindes als 14 Meter hohes, dominantes Element des Altarraums riskiere dieses Motiv aber, "Menschen zu verstören oder in ihren Gefühlen zu verletzen". Ein Kirchenraum müsse auf den Vorrang von Seelsorge und Gebet Bedacht nehmen und dem Bedürfnis vieler Menschen nach einem geschützten Raum für Feier und Besinnung Rechnung tragen.

Späte Erkenntnis

Eine reichlich späte Erkenntnis, finde ich. Wie kann das Domkapitel versäumen, sich im Vorfeld einer mehrwöchigen Kunstaktion im liturgischen Raum der Bischofskirche alle geplanten Motive vorlegen zu lassen? Hat der Künstler das für kommende Woche vorgesehene Motiv zurückgehalten oder hat es der Dompfarrer erst jetzt seinen Kollegen gezeigt?

Es ist offensichtlich, dass der als "Schockmaler" bekannt gewordenen Helnwein von Faber eher aufgrund des absehbaren Medienechos eingeladen wurde als wegen der künstlerischen Qualität und Sinntiefe seiner Bilder. Um es klar zu sagen: Ich halte diese Installation für künstlerisch minderwertig, hart am Kitsch. Die drei auf Roll-Ups produzierten Motive Helnweins, mit violettfarbigem Licht effekthaschend angestrahlt, sind völlig belanglos und nahezu gefällig. Wie sich überhaupt so viele Menschen über die gezeigten Motive – Totenköpfe und ein auf dem Kopf stehendes Turiner Grabtuch – aufregen konnten, kaum einer aber über die Qualität der Arbeit, ist mir schleierhaft.

Mit respektvoller Distanz und gegenseitiger Achtung kann die Kirche einen Raum öffnen, in dem sich der überlieferte Glaube und die säkulare beziehungsweise nachchristliche Kultur einander aussetzen.

In einem kurzfristig auf der Homepage der Erzdiözese Wien veröffentlichten Video bekennt Faber offenherzig, als "Citymissionar" versuche er möglichst viele Menschen zu erreichen und in der Sprache von hoch anerkannten und teilweise auch umstrittenen Künstlern erreiche er noch einmal mehr Menschen und andere. "Ich glaube, über einen guten Namen ist noch einmal manche Türen zu öffnen, die sonst verschlossen blieben", sagt Faber.

Aus meiner Sicht verbietet es sich, Gegenwartskunst für christliche Verkündigung einzuspannen. Mit respektvoller Distanz und gegenseitiger Achtung kann die Kirche aber einen Raum öffnen, in dem sich der überlieferte Glaube und die säkulare beziehungsweise nachchristliche Kultur einander aussetzen. Bestenfalls kommt es zu einer ehrlichen Konfrontation zwischen Glauben und Ästhetik, die sich aber jeder vorschnellen gegenseitigen Interpretation entzieht.

Das vorurteilsfreie Aushalten der kulturellen Differenz könnte zu einem Raum des praktischen Diskurses führen, in dem Kunst und Religion ihre je eigene Sprache sprechen. Die leicht ambivalente Spannung könnte sowohl den künstlerischen Positionen und als auch dem gefeierten Gottesdienst eine neue, unvermutete Relevanz verleihen.

Christliche Ikonografie in zeitgenössischer Bildsprache?

In einem persönlichen Text für das Pfarrblatt der Dompfarre Sankt Stephan erläutert Helnwein das ursprünglich geplante Sujet für Ostern und auch, warum es für ihn eine "aufregende Herausforderung" gewesen sei. Er habe sich "ganz bewusst so genau wie möglich an der christlich ikonografischen Symbolik orientiert, natürlich – wie alle meine künstlerischen Vorgänger – in meiner eigenen zeitgenössischen Bildsprache". Er habe "für die Auferstehung, den Sieg des Lebens über den Tod und als Symbol für den Beginn des neuen, ewigen Lebens" eine Jesusdarstellung als Kind gewählt – ein für Helnwein typisches Motiv unschuldig leidenden Lebens.

Abgesehen von der ihm immer wieder nachgesagten Nähe zur Scientology-Sekte gilt es, diese Aussage zu respektieren. Für mich wäre aber gerade dieser Anspruch das entscheidende Kriterium gewesen, seine Arbeit nicht in einer Kirche auszustellen. Denn, wie stellte eingangs Herbert Falken trefflich fest: "das Thema christlicher Kunst abgehakt"!

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