An der SchmerzgrenzeDie Werke des Schock-Künstlers Gottfried Helnwein gehören nicht in eine Kirche

Die Fastentücher, die seit einigen Wochen im Wiener Stephansdom hängen, sorgen für Unmut im Kirchenvolk. Kunst-Experten und Theologen schweigen. Doch die Irritation ist nachvollziehbar. Soll nun zu Ostern auch noch die Darstellung eines zwölfjährigen Kindes mit blutigen Wundmalen aufgehängt werden?

Fastentücher von Gottfried Helnwein im Wiener Stephansdom
© Stephan Schönlaub/Erzdiözese Wien

Das Verhältnis zwischen bildender Kunst und Kirche ist seit jeher produktiv, aber auch spannungsgeladen. Dabei kommt es bisweilen zu heftigen Debatten. Vor einem Jahr irritierte das großformatige Foto eines eingeschnürten (Schweine-)Herzens im Altarraum der Spitalskirche in Innsbruck, das ein Zeichen gegen Gleichgültigkeit setzen wollte, aber bei nicht wenigen Gläubigen Unmut und Protest, ja sogar Kirchenaustritte hervorgerufen hat. Seit einigen Wochen sorgt das violette Fastentuch im Wiener Stephansdom von Gottfried Helnwein für einen Chor von Unmutsbekundungen, zu der Kunst-Experten und Theologen bis jetzt auffallend laut schweigen. Vermintes Terrain allemal …

Der Dompfarrer Toni Faber kann sich in der Öffentlichkeit einmal mehr als kunstaffin zeigen und die Reihe seiner erfolgreichen Installationen im Stephansdom fortsetzen. Der auf Schockeffekte spezialisierte Helmwein (bevorzugtes Sujet: misshandelte Kinder), der immer wieder an die Schmerzgrenzen geht, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, erhält mit der gotischen Kathedrale eine Bühne, die mehr Resonanz verspricht als jedes Museum im Land. Das breite Medieninteresse von den Kirchenzeitungen bis zum ORF zeigt es.

Den Unmut als naive, kunstfeindliche Äußerung der einfachen Gläubigen beiseitezuschieben, wäre arrogant. Auch widerspräche eine solche Taubheit dem Bild einer lernbereiten, hörenden, synodalen Kirche.

Alles bestens – könnte man sagen. Wenn es nur nicht das anhaltende Gegrummel in Teilen des Kirchenvolks gäbe. Diesen Unmut als naive, kunstfeindliche Äußerung der einfachen Gläubigen beiseitezuschieben, wäre arrogant. Auch widerspräche eine solche Taubheit dem Bild einer lernbereiten, hörenden, synodalen Kirche. Seit Jahren predigt Papst Franziskus, dass es in einer synodalen Gesprächskultur darum gehe, das Wahrheitsmoment der anderen, ja gerade der einfachen Gläubigen zu würdigen. 

Man könnte einwenden, dass große Künstler, etwa Michelangelo oder Caravaggio, mit ihren Werken immer auf Widerstand gestoßen sind. Aber Helnwein in diese Reihe zu stellen, würde dem österreichischen Schockkünstler wohl doch zu viel der Ehre antun.

Seine Installation im Stephansdom zeigt rechts und links überdimensionale Totenköpfe in Violett. Dadurch hält er einer Welt, die jung, fit, schön und perfekt sein will, den Spiegel des Memento mori vor. Das mag dem Aschermittwoch entsprechen, der an die Sterblichkeit erinnert, nicht aber dem Sinn der vierzig Tage der österlichen Bußzeit, die eigens dazu einladen, das Leben zu wählen und nicht den Tod. In der Lesung am Donnerstag nach Aschermittwoch heißt es ausdrücklich: „Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen. Liebe den HERRN, deinen Gott, hör auf seine Stimme und halte dich an ihm fest; denn er ist dein Leben.“ (Dtn 30,19). In der Mitte hängt – kopfüber! – der Christus des Turiner Grabtuchs. Vor allem dieses mittlere Bild wird nicht nur als gelungene künstlerische Provokation wahrgenommen. Den einen ist es zu "plakativ" oder zu "makaber", andere sehen hier gar eine "blasphemische Verdrehung". Dabei spielt nicht nur die Nähe des Künstlers zur Scientology-Sekte eine Rolle. 

Einseitige Kommunikationsverhältnisse

Im Unbehagen des Kirchenvolks steckt zunächst die Lektion, dass die Kommunikationsverhältnisse bei der Vergabe des Fastentuchs einseitig sind. Die Allianz zwischen Kirche und Gegenwartskunst ist hier ein elitäres Projekt der Wenigen, bei dem das Votum der Vielen nicht gefragt ist. Der Dompfarrer – unterstützt vom Domkapitel – hat dem für künstlerische Provokationen bekannten Helnwein die Bühne gegeben. Bei der Freude über die Prominenz des Meisters hat man allerdings – und das wäre ein zweiter Punkt – zu wenig nach der theologischen Passung gefragt. Der Hinweis des Künstlers, es handele sich bei seiner Installation um eine Darstellung des Descensus, also des Abstiegs Christi in das Reich der Toten, bietet zwar einen Deutungsschlüssel, überzeugt aber letztlich nicht. Denn sein Bild konterkariert den eigentlichen Sinngehalt des Glaubensartikels. In den Ikonen der Ostkirche ist der Höllenabstieg Christi ein Akt der Solidarität, der für die Verstorbenen die ersehnte Rettung aus Tod und Hölle bringt. Der aufrechte (!) Christus figuriert hier als österlicher Sieger über den Tod, er reicht dem verlorenen Adam als Repräsentanten der gefallenen Menschheit die Hand, um ihn aus dem Abgrund der Finsternis hinauszuziehen. Der Descensus ist ein Symbol der Hoffnung. Davon ist bei Helnwein nichts zu sehen. 

Nun könnte man entgegnen: Warum soll eine zeitgenössische Darstellung die Hoffnung, die im Glaubensartikel des Descensus steckt, nicht infrage stellen? Leben wir nicht in einer Epoche des Karsamstags, in der von vielen das bleierne Gefühl der Abwesenheit Gottes empfunden wird? Anders als Hans Holbein, der seinen toten Christus waagerecht unter einem Altar eingelassen hat, auf dem im Zeichen des gebrochenen Brotes der Auferweckung des Gekreuzigten gedacht wird, bietet Helnwein einen verkehrten Christus, der die erlösende Kraft des Descensus zu negieren scheint. Gewiss gehören Karikatur und Persiflage, Umkehrung und Verfremdung zu geläufigen Stilmitteln zeitgenössischer Kunst – und im Museum wird sich der aufgeschlossene, gläubige Betrachter gerne solchen Provokationen aussetzen. Aber gehört diese geradezu nekrophile Inszenierung des Todes von Gottfried Helnwein in den Altarraum des Stephansdoms?

Abblasen kann man das Fastentuch-Projekt in der Karwoche nicht mehr. Ein öffentlicher Skandal wäre für den Künstler das Allerbeste, was ihm passieren könnte, für die Kirche aber könnte es misslicher kaum kommen. Einmal mehr würde sie als Institution an den Pranger gestellt, die die Kunstfreiheit antastet und die Domestizierung der Ästhetik nach dogmatischen Vorgaben betreibt. Um solche Dilemmata künftig zu vermeiden, wäre darüber nachzudenken, ein Gremium aus Kunst-Experten, Theologen und praktizierenden Mitgliedern der Dompfarrei zu bilden, das über die Vergabe des Fastentuchs entscheidet.

Für jetzt bleibt nur die bange Frage, welche Reaktionen am bevorstehenden Osterfest die nächste Installation Helnweins auslösen wird. Nach den Plänen der Verantwortlichen sollte ab Karsamstag im Stephansdom eine Darstellung Christi als zwölfjähriges Kind mit blutigen Wundmalen zu sehen sein.

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