Keine LückenbüßerEin neues Verständnis von Ehrenamt in der Kirche

Menschen wollen sich in der Kirche zwar engagieren. Aber es fällt ihnen immer schwerer, sich über Jahre auf eine bestimmte Aufgabe zu verpflichten. Gut, dass es neue Konzepte gibt, die einen Ausweg aus diesem Dilemma ermöglichen.

Theresia Kamp
© Nadine Winter

In der katholischen Kirche werden zurzeit die Ehrenamtlichen entdeckt. Nicht, weil sich die Betonung der in der Taufe begründeten Berufung aller Gläubigen, an der Sendung der Kirche mitzuwirken, 60 Jahre nach dem Konzil in der Breite durchgesetzt hätte, sondern eher, weil das hauptamtliche Personal fehlt. Auch wenn es schade ist, dass für den Impuls ein Mangel nötig war, ist das neue Bewusstsein für die gemeinsame Sendung aller Gläubigen theologisch begrüßenswert. Das Problem: Das traditionelle Ehrenamt, das bedarfsorientiert funktionierte und von einer dauerhaften Bindung ausging, befindet sich selbst in einer Krise – davon sind bei Weitem nicht nur Kirchengemeinden betroffen. Wie gut, dass seit einiger Zeit unter dem Stichwort "neues Ehrenamt" eine Diskussion darüber geführt wird, wie es weiterentwickelt werden kann.

Das traditionelle Ehrenamt folgte nicht selten der Logik: Man stellt eine Lücke in den eigenen Ämtern und Strukturen fest. Zum Beispiel fehlt ein Kassierer fürs Pfarrfest. Also wird jemand angefragt, der die Aufgabe im besten Fall für die nächsten Jahre übernimmt. Man will ja nicht ständig jemand Neues suchen müssen. Der Angefragte stimmt zu, weil er ein gewisses Zugehörigkeits- oder auch Pflichtgefühl gegenüber der Gemeinde empfindet.

Vieles an diesem Konzept funktioniert heute nicht mehr. Studien zeigen in verlässlicher Regelmäßigkeit, dass die kirchliche Bindung in Deutschland einem Abwärtstrend folgt. Aber es fängt schon bei der Lebensrealität an. Viele Menschen wohnen aufgrund ihrer Arbeit und der geforderten Mobilität – oder weil sie über eine Dating-App jemanden aus einem anderen Bundesland kennengelernt haben – nicht mehr dauerhaft an einem Ort. Dadurch fühlen sie sich an ihrem Wohnort nicht mehr verwurzelt, ganz zu schweigen von der dortigen Pfarrgemeinde, die sie ja überhaupt erst kennenlernen müssen. Aber auch das wird erschwert, denn Familie und einzelne Freunde bleiben am alten Wohnort und wollen regelmäßig besucht werden. Eine Zusage für ein Engagement als Begleiter in der Firmvorbereitung an sechs aufeinanderfolgenden Wochenendterminen wird für Menschen in solchen Konstellationen kaum möglich sein. Eine Gruppe mit potenziellen Zeitressourcen, die es früher gab, waren Hausfrauen. Heute jonglieren fast alle Frauen zwischen Arbeit und Familie, weil es normal geworden ist, auch als Mutter erwerbstätig zu sein.

Hinzu kommt: Menschen der Postmoderne, die unendliche Wahlmöglichkeiten haben, ihr Leben zu gestalten, fragen berechtigterweise: Was bringt es mir persönlich, diese konkrete Aufgabe zu übernehmen? War früher die Anerkennung für das Geleistete (Stichwort "Goldene Ehrennadel für 25 Jahre Engagement") vielleicht tatsächlich ein Ansporn, möchten Menschen heute vermehrt schon im Tun selbst Erfüllung erfahren.

Über die kirchlichen Lagergrenzen hinweg wird deswegen darüber nachgedacht, wie das Ehrenamt der Zukunft aussehen kann. Es gibt Tagungen und Publikationen, zum Beispiel einen Sammelband mit dem programmatischen Titel "Hoffnungsträger, nicht Lückenbüßer", und bereits umgesetzte Maßnahmen zu dem Thema.

Am besten sind klar umrissene, projekthafte Tätigkeiten, bei denen von vornherein klar ist, wie viel Zeit man ungefähr investieren sollte. Alles andere wirkt auf Menschen, die ohnehin das Gefühl haben, nicht mehr alles unter einen Hut zu bekommen, schlichtweg abschreckend.

Klar ist, dass nicht mehr von einer dauerhaften Bindung an die Pfarrei ausgegangen werden kann. Am besten sind klar umrissene, projekthafte Tätigkeiten, bei denen von vornherein klar ist, wie viel Zeit man ungefähr investieren sollte. Alles andere wirkt auf Menschen, die ohnehin das Gefühl haben, nicht mehr alles unter einen Hut zu bekommen, schlichtweg abschreckend. Immer wichtiger wird auch, dass die Engagierten mitentscheiden können und nicht den Eindruck gewinnen, nur das ausführende Organ eines Pfarrers oder einer Pastoralreferentin zu sein.

Aber damit ist es nicht getan. Papst Franziskus fordert in Evangelii Gaudium erfrischend lebensnah dazu auf, "das bequeme pastorale Kriterium des 'Es wurde immer so gemacht' aufzugeben. Ich lade alle ein, wagemutig und kreativ zu sein" (EG 33). Für ein neu verstandenes Ehrenamt braucht es einen Paradigmenwechsel.

"Was tun Sie am liebsten und was können Sie gut?"

Wie dieser aussehen könnte, beschreibt Pfarrer James Mallon in seinem Buch über das von ihm entwickelte Konzept "Divine Renovation" zur Erneuerung von Kirchengemeinden: "Wie würde es sein, wenn ich nicht nur Löcher stopfen, sondern mich zuerst mit Pfarreimitgliedern hinsetzen würde und sagen: 'Erzählen Sie mir von sich. Was freut Sie am meisten? Was tun Sie am liebsten und was können Sie gut?'"

Mallon priorisiert die Beziehungsarbeit vor der Arbeit an der Sache. Nicht, weil er zweitere gering schätzen würde, sondern weil er davon ausgeht, dass jemand seine Sache sogar besser macht, wenn sie zu ihm passt und er oder sie die eigenen Talente zur Entfaltung bringen kann. Aber dafür müssen diese erst einmal ans Tageslicht kommen. Weil klar ist, dass Seelsorger in der heutigen Realität von Großpfarreien nicht die Ressourcen haben, solche Gespräche zu führen, haben verschiedene Bistümer und Pfarreien heute Stellen als "Ehrenamtskoordinatoren" eingerichtet, die sich dem Thema schwerpunktmäßig widmen können.

Wie anders wäre die Erfahrung, wenn man nicht angefragt werden würde, weil jemand fehlt, sondern ein kirchlicher Mitarbeiter echtes Interesse an der eigenen Person zeigen und eine Beziehung aufbauen würde? Und wenn die Motivation dahinter nicht nur wäre, eine Aufgabe verteilt zu bekommen, sondern jemanden dabei zu unterstützen, seine Fähigkeiten weiter auszubauen und in seiner Persönlichkeit zu wachsen?

Ein solches Verständnis lässt schließlich auch mehr Raum für eine spirituelle Deutung als ein "Hauptsache-irgendjemand-macht-es-Ehrenamt". Für kirchlich Engagierte sind der Glaube und das Eintreten für christliche Werte laut Studien noch immer wichtige Motive. Ein religiöser Zugang zum neuen Ehrenamt, den auch Mallon beschreibt, könnte darin bestehen, die Einzigartigkeit jedes Menschen zu betonen. Talente und Fähigkeiten werden dann als Gaben von Gott, dem Schöpfer, verstanden. Dass nicht alle die gleichen haben, wird als Reichtum aufgefasst. Schon in der Bibel findet sich das viel zitierte Bild des einen Leibes mit den vielen Gliedern, die sich gegenseitig bereichern. Seine Gaben nicht für sich zu behalten, sondern sie für die Gemeinschaft derer, die an Gott glauben, einzusetzen, ist Ausdruck der Dankbarkeit, sie von ihm empfangen zu haben.

Noch einmal Mallon: "Auch wenn wir vor Gott alle die gleiche Würde haben, so sind wir doch alle einzigartig geschaffen und wir verwirklichen Gottes Pläne mit uns, wenn wir unsere Einzigartigkeit entdecken. Es ist zu unserem Vorteil, wenn wir aufhören zu versuchen, jemand anderer zu sein, und stattdessen Gott erlauben, uns mit unseren eigenen Stärken und angeborenen Talenten zu gebrauchen."

 

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