Die Wiederentdeckung der WeisheitDaten allein bieten keine Orientierung

Dass Wissen viel schneller verfügbar geworden ist, bedeutet noch lange nicht, dass wir wirklich klüger, geschweige denn weiser werden. Orte, an denen die Kunst des guten Lebens gelehrt wird, werden in Zukunft große Bedeutung haben.

Giovanni Domenico Cerrini (1609–1681): Allegorie der Weisheit (Ausschnitt)
Giovanni Domenico Cerrini (1609–1681): Allegorie der Weisheit (Ausschnitt)© gemeinfrei/Wikimedia Commons

Wort "Weisheit" hängt zwar mit dem Wort "Wissen" zusammen, doch nicht jeder, der viel weiß, ist deshalb auch weise. "Where is the wisdom we have lost in knowledge? Where is the knowledge we have lost in information?", fragte Literaturnobelpreisträger T. S. Eliot bereits im Jahr 1934 und legte dadurch den Finger in die Wunde des erst aufkeimenden Informationszeitalters. Dass Wissen viel schneller verfügbar geworden ist, bedeutet noch lange nicht, dass wir wirklich klüger, geschweige denn weiser werden. Ganz im Gegenteil: es gibt nach Eliot sogar etwas am Wissen, das vor lauter Information untergehen und etwas an der Weisheit, das im bloßen Wissen verloren gehen kann.

Das Ansammeln und Verarbeiten von Daten freilich wird schneller und schneller. Die rapide Entwicklung der künstlichen Intelligenzen wird das Sammeln und Verarbeiten von Informationen noch weiter beschleunigen. Weisheit jedoch hat nicht mit einer Vermehrung von Informationen zu tun, sondern mit einer Ordnung, Bewertung und Priorisierung von Information. Weisheit kann nicht nur mit dem Kopf erlernt werden, sie hat mit der Einübung ins rechte Handeln zu tun, mit dem Gespür für Bereiche, die nicht nur rational sind. Wer Daten abgespeichert hat, aber keine Intuition für das moralisch Gebotene, keine lebenspraktische Klugheit im Umgang mit Menschen hat, der ist eben nicht weise. Genau das lernt man aber nicht durch bloßes Datenwissen. 

Die hyperdigitalisierte Gesellschaft ist ihrem Wesen nach unübersichtlich. Das Individuum hat theoretisch alle Möglichkeiten der Welt, praktisch erlebt es sich als erschlagen von zu viel Information, einer schier undurchdringlichen Menge an sich widersprechenden Perspektiven. Die Wiederentdeckung der Weisheit wäre also gerade jetzt geboten.

Im 19. Jahrhundert hat das Christentum den Kampf um die Deutungshoheit der großen Fragen gegen die Naturwissenschaften verloren. Philosophisch schon längst besiegt lebt der banale materialistische Naturalismus als landläufige Standard-Weltsicht noch munter weiter. Der Urknall ist der zufällige Anfang des Universums und weiter gibt es darüber nichts zu sagen. Die Arten entstanden ebenso zufällig, von alleine durch die Evolution und der Mensch ist mit seiner Sprache, seiner Moral und seiner Religion auch nichts anderes als ein besonders fähiges, nach biologischen Prinzipien zu verstehendes Tier. So platt, so falsch und doch so populär.

Der Naturalismus kann die Welt beschreiben aber nicht lehren, wie wir uns auf ihr verhalten sollten. 

Während christliche Apologetik sich mehr oder weniger erfolgreich bemüht hat, diese Aussage zu kritisieren, ergeben sich in einer von dieser Weltsicht durchsättigten Gesellschaft ganz neue Chancen. Der Naturalismus bietet keine Weisheit. Er ist oberflächlich. Er kann Fakten beschreiben, doch nicht vermitteln, warum sie uns interessieren sollten. Er kann die Welt beschreiben aber nicht lehren, wie wir uns auf ihr verhalten sollten. 

Er kann die Suche nach Sinn, das Streben nach dem Guten und das Leiden am Bösen nicht erklären, sondern nur wegerklären. Er bietet keine Vision für ein gelingendes Leben. Der Mensch jedoch braucht mehr als Informationen. In einem Zeitalter der Mental Health-Krise und der Informationsüberfülle wartet ein alter Schatz darauf, wiederentdeckt zu werden: die Weisheit. Die Kunst des guten Lebens. Die Kraft eines geordneten, in sich stimmigen Lebens. Orte, wo Lebensweisheit gelebt und vermittelt wird, werden in der Zukunft von großer Bedeutung sein.

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