#9 Ultrafeuchte TagescremeDas Antlitz der Kirche

Nicht nur das Erscheinungsbild von Gebäuden ist relevant. Was sehen Menschen, die der Kirche begegnen?

Tagescreme
© Unsplash

Lässt man die diözesanen Bauvorhaben einmal Revue passieren, finden sich überwiegend Begriffe wie "Außensanierung" und "Fassadeninstandsetzungen." Es wird viel angestrichen und ausgemalt. Die diözesanen Baulisten erscheinen mir häufig als Sinnbilder einer obsessiven Beschäftigung mit dem, wie Kirchengebäude pars pro toto fürs Christsein auszusehen haben – eine bauträgergeleitete Ekklesiologie mit EMAS-Zertifikat.

Sicherlich freuen sich die lokalen Ortskerninitiativen und regionalen Tourismusverbände über diese Investitionen, die allerorts dem Handwerk einen goldenen Boden bereiten und einen nachhaltigen Beitrag zur Sicherung von physischen Kulturgütern leisten. Wer will schon aus einer Kirche austreten, die die Kapellen am Radweg verschönert?

Ich will fragen, was eine Fassade wäre, eine Kosmetik der Oberflächen, eine Begegnungsmöglichkeit, bei der nicht einfach ein Gesicht zu sehen ist, sondern ein Antlitz leuchtet.

Eine ähnliche Obsession allerdings lässt sich auch in den rhetorischen Fassaden in der praktizierten Ekklesiologie feststellen: Ich meine zum Beispiel die gutmütige Diskursivität einer Theologie, die permanent davon redet "an die Ränder zu gehen" oder "neue Wege zu beschreiten" oder "die Peripherien in den Blick zu nehmen" oder "zu sehen, was da draußen ist", eine Diskursivität von olympischer Umsichtigkeit, die häufig besonders kunstvoll von jenen gesetzten und gesättigten Theolog:innen betrieben wird, die – außer um in die Kantine zu gehen – kaum ihre Büros verlassen. Das fröhliche Aggiornamento, bei dem immerhin das Wording passt. Ich will fragen, was eine Fassade wäre, eine Kosmetik der Oberflächen, eine Begegnungsmöglichkeit, bei der nicht einfach ein Gesicht zu sehen ist, sondern ein Antlitz leuchtet.

Anders gesagt: Was nützen Millionenausgaben für anmutig hergerichtete Bauwerke, wenn der Herr Kaplan nicht einmal weiß, wie man eine Feuchtigkeitscreme aufträgt? Schuppenshampoo? Pullunder?

Ihr müsst hübscher werden, Leute

Es wird also, durchaus ekklesiologisch relevant, gerätselt, wie denn Sakralgebäude für eine moderne Landgemeinde oder im urbanen Situationismus aussehen sollten. Gerätselt wird natürlich auch über die Form, Beschaffenheit und Position von Altären, Geräten und Gewändern. Sleeke shrimpfarbige Insta-Stories. Farben und Schriftarten für Programmhefte, Plakate und Folder. Weniger wird allerdings darüber gesprochen, wie die Personen auszusehen hätten, die in diesen hyperdeterminierten und so sorgfältig durchdachten Räumen und Ritualen umherwandeln. Die Fassaden sind schön, das Wording passt. Come as you are, gewiss. Aber wer tritt mir da eigentlich gegenüber?

Neulich sagt mir der Barber im XIV. Wiener Bezirk, während er mir in seinem maßgeschneiderten, dreiteiligen Anzug und perfekt rasierten Vollbart eine unfassbar wohltuende Gesichtsmassage gibt: "Wie soll ich hier meine Habibis hübsch machen, Oida, wenn i ned selbst guat ausseh?"

Anwesend sein, das ist eines. Ein Antlitz zeigen, das präsent ist, dem man begegnen möchte, ist etwas anderes. Also die ekklesiologische Frage ist diese: Wie könnten inspirierende Christen aussehen, physisch?

Also, ich meine, jenseits der ausgeleierten Pullover, den stumpfen und pflegeleichten Frisuren, den Seidenschals und Sandalen, die Allwetter- und Strickjacken, den speckigen Jeans, den Anthrazitpanzern oder den karierten Hemden und Blusen aus Flanell bei Männern und Frauen. Ist das noch Kirche oder schon Maschinenbau? Also, wem begegne ich?

Es ist also die Frage nach dem Erscheinungsbild, mehr der Oberfläche als der Kontur. Nicht voreilig mit Haltung, Charakter, Umgangsform, Charme und Werten übertünchen, sondern noch davor: Antlitz und Präsenz.

Ein unvollständiges Inventar der Kirchenbilder

Ich finde, die Ekklesiologie, das Nachdenken über Charakteristiken und Identität von Kirchesein, verfängt sich zu sehr in Metaphern und Geschichten, die Theologen und Theologinnen erfinden, ableiten, weitertratschen oder wiederholen, um das umbrauste Schiff, die kelchförmige Blutzeugin, die rettende Feste der Armen und Geknechteten zu kennzeichnen.

Alle Muster – je nach Neigung – gut eingeübt und solide einstudiert: Die nesthäkige Familie der Heiligen; die etwas rhetorisch umständliche Kirche der Vollzüge; die solidarische Dienst- und Lebensgemeinschaft; die kniekehlige Glaubensgemeinschaft; die militärisch aufgeräumte Gottesburg von Regel und Gehorsam; die Athleten der Trauer; die "durchaus" kritische Powerpointkathedrale der Welterklärer und Sesselrücker, die stets ein bisschen "entsetzt" und "befremdet" sind, aber weder hin- noch wegschauen können; die punkig-jedoch-nicht-zu-heftig daherkommende Spielwiesen- und Halfpipe-Kirche der Neuerer; die selbsterwanderte, abgestempelte, unterwegs muschelig kennengelernte und nach Restsangria duftende Kirche der Jakobspilger; die immer ein bisschen verlegene, manchmal etwas überfressene Graffitikirche der Zeitzeichenleser; die pazifistische Himmelskönigin der schlechtinformierten Parolenbrüller; der nach kaltem Weihrauch duftende und immerfort nach noch mehr hohen Balkonen und Emporen gierenden Hallraum der Prediger und Dozenten; die synodale Stuhlkreisdepressivität; die klangvolle Ehre der Altäre; die sozialverträgliche Helferkirche, für die man sich nicht schämen braucht, usf. … Oder, weil ich schon dabei bin: die gottesfürchtigen E-Biker:innen vom ersten Tag. Oder: Die – "nein, das ist doch tizianblond" – museale Kirche der Neuvenezianer. Die anpackende, "woanders geht’s schon viel, viel besser" Profi-Kirche der Berater und Entrepreneure. Hatte ich schon die stechuhrförmige und vorbildlich zertifizierte Kirche der Brand-, Arbeits-, Umwelt- und Datenschutzbeauftragten erwähnt?

Kirche wird nicht nur durch Stiftung und (Ein-)Setzungen, aus Selbstauslegung und sakramentaler Vollzug, zur Kirche.

Vielleicht wäre es auch hilfreich, hier neben dem üppigen Wald der selbstproduzierten und selbstgewünschten bzw. selbstgefälligen Kirchenbildern und Fantasie-Ekklesiologien auch intensiv auf die in der allgemeinen Öffentlichkeit präsenten – leider überwiegend negativ konnotierten – Kirchenbildern zu schauen.

Kirche wird nicht nur durch Stiftung und (Ein-)Setzungen, aus Selbstauslegung und sakramentaler Vollzug, zur Kirche: Auch die Zuschreibungen und Wahrnehmungen, über die sie nicht verfügen kann, die sie nicht hintergründig nachtuschen kann, sind konstitutiv für ihre Kirchlichkeit. Die Kirche wird nicht durch ihre Werke zum Gotteshaus, sondern indem man ihr abkauft, abnimmt, abarbeitet, liebt, kopiert und verehrt oder verwirft, was und woher sie ist. Indem man ihr Antlitz schaut – und lächelt.

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