Wenn jedes Kleidungsstück, alles, was du sagst, besonders auch was du nicht sagst, jedes Augenblinzeln oder Kopfnicken von dir genau analysiert und politisch gedeutet wird – dann bist du gerade Leo XIV., der neue Papst. Irgendwie scheint jeder zu wissen, warum er zu "seinem" Lager gehört - weil er jetzt dieses eine Brustkreuz getragen hat oder Urlaub in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo machen will.
Tendenziöse Berichterstattung, die in Nachrichtentexten die Meinungs- und die Sachebene vermischt, ist eigentlich ein No-Go. Die Ungeduld, diesen neuen, bis dahin recht unbekannten Kardinal endlich einordnen zu können, die Hoffnung, dass alte Agenden endlich ihre Erfüllung finden, gepaart mit der Aufregung des Neubeginns, verklärt wohl manchen Blick.
Besonders eine Meldung hat mich in den letzten Wochen erstaunt, die prominent vom Portal der Bischofskonferenz verbreitet wurde: "Leo XIV. über marianisches und petrinisches Prinzip: Mögliche Öffnung?" Darin wird spekuliert, dass der neue Papst anders über den Zugang von Frauen zum Priesteramt denken könnte, als seine Vorgänger.
Ich musste ehrlich ein wenig lachen. Natürlich steht die Frauenfrage aus deutscher Sicht besonders im Fokus, doch dass der Papst eine Änderung dieser Dimension – es geht um die Grundlagen der Kirche – ausgerechnet in einer Predigt vor Vatikanmitarbeitern kundtun sollte, das erscheint schon vom äußeren Rahmen her merkwürdig. Ist, seit Franziskus Kirchenpolitik in Fußnoten machte, jeder Anlass verdächtig geworden?
Wer sich die Predigt von Leo anschaut, der muss schnell feststellen, dass es ihm am Pfingstmontag, der seit einiger Zeit "Maria, Mutter der Kirche" gewidmet ist, darum ging, seine Leute zu motivieren "heilig" zu leben, "jeder von uns gemäß seinem jeweiligen Lebensstand und der ihm anvertrauten Aufgabe." Er kommt dabei auf das sogenannte "marianische" und das "petrinische Prinzip" zu sprechen, ein Konzept des Schweizer Theologen und COMMUNIO-Gründers Hans-Urs von Balthasar. Auf der einen Seite stehen Petrus und die Apostel, die die Kirche leiten, auf der anderen Seite Maria, die sie dabei geistlich unterstützt. Das Charisma Marias, so der Papst, lebe heute ebenso weiter und präge die Kirche in vielerlei Hinsicht: "Es ist das marianische Prinzip, das die Fruchtbarkeit und Heiligkeit des petrinischen Prinzips mit seiner Mutterschaft, einem Geschenk Christi und des Heiligen Geistes, gewährleistet". Der "Heilige Stuhl" erfahre "in ganz besonderer Weise die Ko-Präsenz der beiden Prinzipien", so Leo.
Eine Predigt zum heiligmäßigen Leben in eine Stellungnahme zum Frauenpriestertum umzudeuten, das ist schon reichlich spekulativ.
Für den Autor der Meldung liegt die mögliche Sensation nun darin, dass der Papst sich "nicht explizit" dazu äußert, ob "das sogenannte petrinische Prinzip weiterhin ausschließlich Männern vorbehalten sein soll". Die "Ko-Präsenz" könnte etwas Neues, eine Öffnung sein. Wirklich? Eine Predigt zum heiligmäßigen Leben in eine Stellungnahme zum Frauenpriestertum umzudeuten, das ist schon reichlich spekulativ.
Fatal, wenn solche Hoffnungen zu Beginn eines noch ganz unbestimmten Pontifikats geweckt werden. Das hat sich auch beim Vorgänger gezeigt. Franziskus wurde durch sein betont anderes Auftreten von Beginn an derart mit Erwartungen überfrachtet, dass er nur dahinter zurückbleiben konnte – und mancher dabei übersehen hat, was er tatsächlich bewegte. Eine deutsche Zeitung druckte zu Beginn des Pontifikats das Konterfrei des Argentiniers als Che Guevara-Verschnitt auf Jutebeutel, "Fran-che-sco" eben. Einen Revoluzzer-Papst, den wünscht sich der deutsche Mainstream. Ob der mit der Weltkirche zusammengeht, das steht auf einem anderen Blatt.
Und tut Leo XIV. jetzt nicht einfach nur, was ein Papst vor Franziskus ebenso getan hat? Residenz im apostolischen Palast, das Tragen bestimmter historischer Gewänder oder eine Fronleichnamsprozession durch Rom … Vielleicht ist das gar kein politisches Signal, sondern nur der Versuch, Dinge nach einem etwas unruhigen Pontifikat wieder zu normalisieren.
Es wäre redlich, dem US-Papst zunächst etwas Zeit zum Regieren zu geben. Es wird sich dann schon zeigen, wie er denkt und was er in seinem (vermutlich langen) Pontifikat vorhat. Nachrichten über vermeintliche kirchenpolitische Blinkzeichen des neuen Papstes verraten gerade mehr über die Autoren als über den Pontifex.