Die friedensstiftende Verwandtschaft in der WurzelKein politischer Frieden ohne Religionsfrieden

Verständigung zwischen den Religionen kann einen wichtigen Beitrag zu Friedensbemühungen leisten. Dazu ist es nicht nötig, dass sich Religionsvertreter auf einen "kleinsten gemeinsamen Nenner" einigen und Abstriche an ihren Überzeugungen machen. Gefragt ist eine "starke Toleranz". Dafür setzt sich die Initiative "Pactum Africanum" ein.

Erzbischof Ignatius Kaigagama von Abuja, Dr. Prinz Asfa-Wossen Asserate und der Emir von Wase, Muhammadu Sambo Haruna
Erzbischof Ignatius Kaigagama von Abuja, Dr. Prinz Asfa-Wossen Asserate und der Emir von Wase, Muhammadu Sambo Haruna© privat

Im Jahr 1996 veröffentlichte Samuel P. Huntington seine düstere Prophezeiung vom "Clash of Civilisations". Mit ihr wühlte er die Zunft der Ideenpolitiker und Zeitgeistauguren mächtig auf. Nach dem Ende des Kalten Krieges sah er für das 21. Jahrhundert eine neue binäre Gegnerschaft zwischen der islamischen Welt und einem Westen kommen, der im Begriff war, sich mehr und mehr von seiner christlichen Prägung zu verabschieden. Der heftige Widerspruch, den er seinerzeit aus den Lagern aller Friedfertigen fand, ist, angesichts der tatsächlichen Ereignisse, inzwischen kleinlaut geworden.

Im selben Jahr 1996 erschien Jan Assmanns "Moses der Ägypter". Mit dieser "Entzifferung einer Gedächtnisspur" wollte der Ägyptologe seine These stützen, dass mit dem Wahrheitsanspruch des biblischen Monotheismus erstmals Religion zu den Ursachen von Krieg und Gewalt gezählt werden müsse. Wie schon Sigmund Freud mit seiner letzten Schrift "Der Mann Moses und die monotheistische Religion" (1939), hatte Assmann eine Verbindung zwischen der kurzen und am Ende gescheiterten monotheistischen Episode des Pharaos Echnaton (ca. 1350-1330 v. Chr.) und dem biblischen Monotheismus herstellen wollen. 

Das Buch des Ägyptologen hat viel Anerkennung, aber vor allem auch den Widerspruch der Fachgelehrten gefunden. Die Forschung zum Alten Testament geht inzwischen davon aus, dass es erst im babylonischen Exil der aus Jerusalem verschleppten Judäer (587-538 v. Chr.) zum Durchbruch des exklusiven Monotheismus gekommen ist. Wie die Nachrufe auf den großen Gelehrten zeigen, hat Jan Assmann unabhängig von allen Details den Diskurs über das Verhältnis von Religion und Politik und ihre gegenseitige Instrumentalisierung entscheidend bereichert. Auch der Westen muss ihn bei aller Religionsmüdigkeit weiter führen, denn ohne Frieden unter den Religionen gibt es ihn auch nicht in der Politik.

Wer die Geschichte meines Heimatlandes Äthiopien kennt, weiß, dass es eine jahrhundertelange Phase des friedlichen Zusammenlebens von Christentum und Islam gegeben hat. Auch das Judentum ist in Äthiopien tief verwurzelt. Unser identitätsstiftendes Narrativ wurzelt in der biblischen Erzählung von der Verbindung des weisen Königs Salomo mit der Königin von Saba. Die meist amüsierten Fragen, ob ich allen Ernstes behaupte, von dieser Begegnung abzustammen, pflege ich mit der Anekdote zu beantworten, in der Napoleon den römischen Fürsten Massimo zur Rede stellt: "Ich habe gehört, dass Sie ihr Geschlecht auf Quintus Maximus Cunctator, den Bezwinger Hannibals zurückführen. Das kann doch nicht wahr sein!" Darauf der Fürst: "Sie mögen Recht haben, Sire, aber in meiner Familie erzählt man sich diese Geschichte seit 2000 Jahren". In meinem Fall kämen noch einmal 1000 dazu. Auch wegen der Bundeslade, die auf Umwegen in unsere deswegen heilige Stadt Aksum gelangt sein soll, verstehen sich die äthiopischen Christen bis heute als getaufte Juden.

Frieden unter "religiösen Virtuosen"

Vor dem Hintergrund dieser Inspiration ist die Initiative "Pactum Africanum" entstanden, die sich dem Frieden zwischen den drei monotheistischen Religionen verschrieben hat. Noch ist in Nigeria trotz der Überfälle von Boko Haram, die leider immer wieder aufflammen, kein veritabler Religionskrieg zwischen Muslimen und Christen ausgebrochen. Dies verdankt sich auch den Friedensaktivisten beider Seiten. So haben sich, 2018, angestoßen und protokolliert von "Pactum Africanum", der katholische Erzbischof Ignatius Kaigama von Abuja und der Emir von Wase, Muhammmadu Sambo Haruna, die Hand zu einem feierlichen Friedenspakt gereicht.

Hans Küng hatte mit seinem Projekt "Weltethos" einen Weg aufzuzeigen versucht, den alle gehen können, die ohnehin friedfertig sind. Während dort an die beachtlichen Gemeinsamkeiten und den "kleinsten gemeinsamen Nenner" der Religionen appelliert wird – ein zunächst durchaus naheliegender Gedanke – wendet sich "Pactum Africanum" an diejenigen, auf die es bei den Fragen von Krieg und Frieden zwischen den Religionen entscheidend ankommt: an die von ihrem Glauben zutiefst Überzeugten.

Es geht nicht darum, die Differenzen zu beseitigen, sondern sie auszuhalten.

Der Handschlag zwischen den nigerianischen Religionsführern zeigt exemplarisch, wie "religiöse Virtuosen" (Niklas Luhmann) ihre friedensstiftende Verwandtschaft in der Wurzel erkennen und sich gegen den fanatischen und gewaltbereiten Fundamentalismus verbünden können. Dabei müssen Sie sich keineswegs mit einer gekürzten Version ihres Glaubens zufriedengeben. Es waren gläubige Monotheisten, die sich ein gewaltfreies Neben- und am Ende sogar Miteinander versprochen haben.

Es geht nicht darum, die Differenzen zu beseitigen, sondern sie auszuhalten. Das nennen wir starke Toleranz. An ihr mangelt es auch oft innerhalb der Religionsfamilien. Auch zwischen christlichen Konfessionen waren es oft lächerliche Differenzen, die, wenn politische Motive dazukamen, zu blutigen Auseinandersetzungen geführt haben. Man denke nur an den aus heutiger Sicht kaum noch nachvollziehbaren Streit um den Empfang der eucharistischen Gaben in den beiden Gestalten von Brot und Wein, der im 15. Jahrhundert die blutigen Hussitenkriege ausgelöst hatte. Die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten liefern das aktuell virulente Beispiel aus der Welt der Muslime.

Der Gaza-Krieg ist auch ein Krieg zwischen Juden und Muslimen

Man kann lernen, Differenzen in der religiösen Lehre auszuhalten, ohne dabei die eigene Identität aufgeben zu müssen! Der Krieg im Nahen Osten hat trotz der postreligiösen Grundstimmung unter vielen Intellektuellen des Westens einen eindeutig religiösen Subtext. Es ist nicht nur ein Krieg zwischen Israelis und Palästinensern, es ist auch ein Krieg zwischen Muslimen und Juden. Weltweit, vor allem aber in allen Ländern des Westens, sind die Emotionen aufgewühlt. Auch für die hier anstehenden Debatten verdient der Ansatz von "Pactum Africanum" alle Aufmerksamkeit. In der hoffentlich bald beginnenden Phase, in der es langfristig nicht nur um Ländergrenzen, sondern auch um ein friedliches Nebeneinander der Monotheismen gehen muss, gewinnt der Ansatz auch eine europäische Aktualität. Er könnte sich zu einem Friedensschlüssel entwickeln.

"Pactum Africanum" erinnert an die alte Unterscheidung einer fides qua und fides quae, also die Unterscheidung zwischen den Glaubensinhalten und der Tatsache, dass sich ein Glaubender überhaupt vor ein großes Gegenüber stellt.

Jan-Heiner Tück erinnerte in seinem Nachruf auf Jan Assmann an dessen Idee einer religio duplex erinnert, in der es unterhalb einer ausformulierten Doktrin, die den Nährboden für das gefährliche Freund-Feind-Denken bildet, das "unerkennbare göttliche All-Eine" gibt, das allen gemeinsam sei. Ähnlich, aber doch anders greift "Pactum Africanum" nicht die konkurrierenden Wahrheitsansprüche an, sondern erinnert an die alte Unterscheidung einer fides qua und fides quae, also die Unterscheidung zwischen den Glaubensinhalten und der Tatsache, dass sich ein Glaubender überhaupt vor ein großes Gegenüber stellt.

Jan Assmann hat sich immer auf vorbildliche Weise mit den Argumenten seiner Diskussionspartner auseinandergesetzt. Der Wahrheitsanspruch des Monotheismus, den er im ersten Anlauf noch als das toxische Element dieser Religion unter Verdacht gestellt hatte, ist ja schließlich der Glutkern aller Vernunft und kann nicht einfach verworfen werden. Die skeptische Frage des Pilatus "Was ist Wahrheit?" scheint daran zu zweifeln, dass es sie überhaupt gibt. Wer dagegen wie Nikolaus von Kues und im vorigen Jahrhundert Karl Popper einen approximativen Wahrheitsbegriff stark macht, zweifelt nicht daran, dass es Wahrheit gibt und man ihr näherkommen kann. Sie leuchtet wie der Stern, der die Richtung zeigt, aber nicht betreten werden kann.

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