Kommentar zum jüngsten Kreuz-UrteilZurückhaltende Erkennbarkeit

Das Kruzifix im Eingangsbereich einer staatlichen Schule in Bayern verletzt laut einem Gericht die negative Religionsfreiheit, also das Recht, keinen bestimmten Glauben zu haben. Ein Kompromissvorschlag zum jüngsten Kruzifix-Urteil.

Ich mag Kruzifixe, weil sie sexy sind. Schließlich ist da ein nackter Mann drauf“, hat die Popikone Madonna vor 20 Jahren provokativ gesagt. Kürzlich trugen die Sängerinnen Chappell Roan und Sabrina Carpenter große Kreuzanhänger auf der Bühne. Ihre Kollegin Dua Lipa wird privat gelegentlich mit kleinen Kreuzen gesehen. Das „schicke“ Kreuz ist in Mode, während es als übergroßer Marterpfahl heftigen Widerspruch hervorruft.

Stets schlagen die Wogen der Diskussion über Religionsfreiheit hoch, wenn Kreuze aufgehängt oder abgehängt werden (müssen). Nun hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München entschieden, dass ein staatliches Gymnasium das große Kruzifix in seinem Eingangsbereich hätte entfernen müssen, als sich Schülerinnen daran gestört haben. Geklagt hatten ehemalige Schülerinnen, die während ihrer Schulzeit beantragt hatten, das Objekt abzuhängen. Die Schule war diesem Antrag nicht nachgekommen.

Bei uns im Hamburger Osten haben wir mehr als 100 Nationen. Unter den Nicht-Deutschen sind Menschen aus Polen, Vietnam, Kroatien, Portugal, Italien, Spanien und Ghana am stärksten vertreten. Deshalb passt der Patronatsname unserer Pfarrei so gut: „Paulus, Apostel der Völker“. Auf dem Pausenhof unserer multinationalen Paulusschule erlebe ich täglich wie im Brennglas das Freud und Leid der weltumspannenden Menschheitsfamilie. Alle politischen und religiösen Probleme spielen auch in den Streitschlichtungen auf unserer kleinen Billeinsel eine große Rolle.

Deshalb provoziert ein Holzkreuz im Forum unserer katholischen Stadtteilschule den einen Schüler ebenso stark wie eine andere Schülerin die neue Lehrkraft mit Gesichtsschleier. Und während ein syrisch-orthodoxer Vater eine rein christliche Schule mit vielen Kreuzen fordert (und unsere Schule einer Schule in Mümmelmannsberg mit muslimischer Mehrheit bewusst vorgezogen hat), plädiert eine alleinerziehende atheistische Mutter für weniger Gebete und Gottesdienste.

Wir fahren deshalb gut damit, sowohl katholische Bekenntnisschule zu bleiben, als auch unsere Schülerinnen und Schüler zum toleranten Umgang mit jeder Religion und Weltanschauung zu erziehen. In unserer Kita und Schule hängen wenige und zudem kleine Kreuze. Jeder Besucher spürt den Heiligen Geist, nämlich dass die Paulusschule in Billstedt „gut katholisch ist“. Gleichzeitig pflegen wir einen Umgang miteinander, der dem „hanseatischen Geist mit frischer Elbbrise“ Rechnung trägt. In Hamburg, dem Tor zur Welt, ist es nämlich verpönt, öffentliche Auszeichnungen anzunehmen. Hier gilt das Motto: „Es gibt über dir keinen Herren und unter dir keinen Knecht“. Wer übertrieben dekoriert in Erscheinung tritt, stellt sich selbst ins Abseits. Diese aufgeklärte Selbstbescheidung in Kombination mit einem gesunden Selbstbewusstsein lege ich gern als Folie auf den aktuellen Streit um das Kruzifix und wünschte mir für alle Religionen als Lösungsformel „zurückhaltende Erkennbarkeit“.

Muss es überhaupt das Kreuz sein? Kreuze können verstören. Mit ihnen wurde Schindluder getrieben, es gab sogar Kreuzzüge. Ich schlage deshalb ein alternatives Erkennungszeichen vor: Maria. Mit ihr haben wir in Billstedt die besten Erfahrungen gesammelt. Im Jahr 1952 erhielt unsere Kirchengemeinde aus Lüttich eine Kopie der „Jungfrau der Armen von Banneux“ geschenkt. Die Statue fand ihren Platz im Pfarrgarten. Etliche Spaziergänger und Touristen machen hier Rast und picknicken, andere zünden Kerzen an und beten still. Das offene Kapellchen zwischen der Schule und dem Pfarrhaus hat sich zu einer Wallfahrtsstätte entwickelt: Maria als Patronin der Armen und Hilfsbedürftigen, als Trösterin im Leid, als Versöhnerin zwischen Kulturen und Religionen. Unsere Schüler, auch muslimische und atheistische, kommen vor und nach dem Unterricht, vor Prüfungen sowie in den Pausen vermehrt zu dieser Mutter, um eine Kerze anzuzünden und neue Kraft zu tanken.

Maria als Tankstelle des Friedens. Inmitten aller Kriege und Krisen ist die Sehnsucht nach Schutz und „Beschirmung“ am größten. Die schmerzensreiche Mutter mit ihrem Sohn im Schoß ist kulturübergreifend frei von missbräuchlicher Deutung. Kruzifixe können spalten, Madonnen verbinden: Unter deinen Schutz und Schirm ...

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