Kommentar: Wahlen in Berlin und im VatikanVon Kanzlern und Päpsten

Hier Liveberichterstattung, dort verschlossene Türen: Können Bundestag und Konklave voneinander lernen?

In dieser Woche halten gleich zwei große „Regierungswechsel“ die Weltöffentlichkeit in Atem: In Berlin ist die angehende Ministerriege vorgestellt und Friedrich Merz im zweiten Wahlgang zum neuen Kanzler gewählt worden. In Rom haben sich 133 Kardinäle versammelt, um den neuen Papst zu wählen. Diese bemerkenswerte deutsch-vatikanische Parallele ist spätestens mit dem unerwarteten Scheitern der ersten Wahlrunde am Dienstagvormittag noch einmal augenfälliger geworden. So kursierten binnen kürzester Zeit satirische Bilder, auf denen aus der Glaskuppel des Bundestages schwarzer Rauch aufsteigt. Zum Lachen ist diese Belastungsprobe unserer Demokratie – gerade in Zeiten, in denen diese besonders gefährdet erscheint – allerdings nicht. Aber auch was die Koalitionsverhandlungen angeht, zeigen sich Gemeinsamkeiten: In beiden Fällen trifft sich eine Versammlung von Menschen mit durchaus unterschiedlichen Einstellungen, um gemeinsam Richtungs- und Personalentscheidungen zu treffen, während die Öffentlichkeit wild über mögliche Personalien spekuliert.

Beide „Regierungswechsel“ weisen gleichwohl einige Unterschiede auf: Die Berliner Vorgänge sind primär politischer Natur (wenngleich der zweite Wahlgang am Dienstag vermutlich auch von vielen Stoßgebeten begleitet wurde), während ein Konklave vor allem einen geistlichen Prozess darstellt (der jedoch ebenfalls nicht frei von Machtspielen ist). Hier eine Demokratie, dort eine absolute Monarchie. Hier ein aufgeheizter öffentlicher Wahlkampf, dort ein Konklave, das durch extreme technische und räumliche Sicherheitsvorkehrungen sowie strengste Verschwiegenheitsverpflichtungen völlig von der Außenwelt abgeschnitten ist.

Es stellt sich die Frage: Würde nicht dem Konklave etwas mehr Demokratie und der Demokratie etwas mehr Konklave guttun? Natürlich sind Elemente wie Transparenz sowie Checks and Balances elementar wichtig für demokratische Prozesse. Zugleich lässt sich aber auch beobachten, dass zum Beispiel die zunehmende Tendenz zu immer aufgeheizteren „Wahlarenen“ im Fernsehen und in den Sozialen Medien weder unserer politischen Kultur noch der Wählerseele besonders guttut. Daneben sind vor der Öffentlichkeit verschlossene, geschützte Räume, in denen offen und ehrlich geredet, ungestört gemeinsam gerungen und vor allem Vertrauen für eine weitere Zusammenarbeit gewonnen werden kann, akut vom Aussterben bedroht. Manch Teilnehmer an den Koalitionsverhandlungen hätte sich angesichts zahlreicher durchgestochener Informationen vermutlich konklaveartige Sicherheitsvorkehrungen gewünscht.

Und vielleicht gibt es noch einen weiteren Aspekt, den der Bundestag vom Konklave lernen kann: Johannes Paul II. hat die Sixtinische Kapelle im Jahr 1996 endgültig zum verpflichtenden Ort für die Papstwahl ernannt. Einer der Gründe ist das weltbekannte Wandgemälde von Michelangelo, auf dem unter anderem – direkt über dem Altar und der Wahlurne – das Jüngste Gericht zu sehen ist. Bevor die Konklaveteilnehmer ihren Wahlzettel abgeben, werden sie also mittels dieser Szenerie noch einmal deutlich an die große Verantwortung ihrer Entscheidung erinnert, knien für ein kurzes Gebet nieder und schwören: „Ich rufe Christus, den Herrn, der mich richten wird, zum Zeugen an, dass ich den wähle, von dem ich glaube, dass er nach Gottes Willen gewählt werden muss.“ Eine ähnlich intensive ethische Gewissensprüfung wäre auch für den einen oder anderen weltlichen Wahlgänger durchaus wünschenswert.

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