Noch einmal an der Weichsel

Am Pegelhäuschen an der Weichsel, unweit von Kwidzyn fühlt sich Christian Heidrich dem Fluss sehr nahe. Ein meditatives „Weichsel-Gefühl“ stellt sich ein.

noch einmal an der Weichsel
© Christian Heidrich

Als ich vor dem Frühstück die „Gazeta Wyborcza“ im Zeitungsladen hole, sehe und höre ich sie zum ersten Mal: eine riesige Vogelschar, die oben am Himmel ihren Formationsflug vollführt. Sie bewegt sich wellenförmig, bildet mancherlei „Buchstaben“: ein „V“ oder ein „M“. Es sieht faszinierend aus, ein bisschen gruselig auch, eine Hitchcock-Reminiszenz. Zwei Stunden später, in Korzeniowo, bin ich wieder an der Weichsel und sehe wieder Zugvögel, die ihr Naturballett vollführen. Ich staune nur und denke erst spät ans Fotografieren, was dann gar nicht einfach ist.

In Korzeniowo, fünf Kilometer von Kwidzyn (Marienwerder) entfernt, gab es früher eine Fährverbindung, die nun still steht, da es seit zwei Jahren eine riesige Weichselbrücke in Sichtweite gibt. Traurig schauen sie aus, die ausrangierten Fähren, nur das grüne „Pegelhäuschen“ verleiht der Szenerie einen Farbtupfer.

Eine Stunde später treffe ich einen Angler, der von dem Fischreichtum der Weichsel schwärmt. Der Fluss ist mittlerweile sehr sauber. Schiffe fahren schon lange nicht mehr - „Es lohnt sich wohl nicht, und der Fluss ist auch nicht mehr ausgebaggert“ -, so lassen sich Zander, Karpfen, Hechte leicht angeln. „Das Dumme ist nur, dass es mittlerweile in jedem Supermarkt billigen Fisch gibt. So lässt sich die Hausfrau nicht mehr mit einem Fischlein verzaubern.“ Er weist mich noch auf das große, graue Haus vor Janowo hin: „Hier musste man nach dem Ersten Weltkrieg die Pässe vorzeigen, vor dem Haus war Deutschland, hinter dem Haus Polen.“ Es geht um den „Polnischen (Danziger) Korridor“, eine der Bestimmungen des Versailler Vertrags, die Polen einen Zugang zur Ostsee garantieren sollte.

Wir einigen uns, dass wir, „so gesehen“, in sehr guten Zeiten leben.

Spätestens in Rudniki komme ich dem Fluss sehr nahe, laufe kilometerweit auf dem hohen Deich. In der Ferne einige Traktoren, ein paar Hunde kläffen, doch ansonsten selige Stille. Der Fluss ist sehr breit und wie üblich träge und gleichgültig. Der Blick in die ebenen Felder endlos. Das Weichsel-Gefühl stellt sich ein. Ich brauche nicht zu meditieren, um zu meditieren.

Damit es aber nicht zu idyllisch wird: Gerade von der Höhe des Weichseldeiches sehe ich immer wieder „arme Kühe“. Klein von Wuchs, grasen sie auf der Weide - und haben eine kurze Kette um den Hals. Manchmal vollziehen sie einen schmerzhaften Tanz.

Unser Fleischkonsum hat eine böse Kehrseite.

Bei Biala Góra setzt Polens großer Strom seinen ruhigen Lauf fort. Ich folge der Biegung der Nogat, die genau an dieser Stelle von der Weichsel abzweigt, die dann nach Malbork (Marienburg) und Elblag (Elbing) weiterfließt, um nach gut sechzig Kilometern im Frischen Haff zu münden.

An der Abzweigung des Flusses, hinter der Schleuse, sehe ich ein Schild, das die Entfernung nach „Pieklo“, „Hölle“, mit drei Kilometern angibt. Ich wähle die andere Richtung, „Sztum“, auch wenn es einige Kilometer weiter sind, und übernachte in Sztumskie Pole.

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