Ursachen von Burn-out in der SeelsorgeDie wahren Ursachen erkennen

Seit 21 Jahren begleite ich im Recollectiohaus Priester und Ordensleute, Männer und Frauen, die in der Kirche arbeiten. Immer wieder begegne ich auch dem Phänomen des Burn-out. Bei der ersten Vorstellung sagt dann ein Priester oder eine Gemeindereferentin: „Ich habe ein Burn-out, weil ich zuviel gearbeitet habe.“ Ich antworte dann meistens: „Das klingt jetzt so, als ob ich Sie bewundern oder aber bemitleiden sollte, weil Sie durch Ihr großes Engagement alle Kraft verloren haben. Aber leider glaube ich Ihnen nicht, dass Sie durch die Arbeit total erschöpft sind. Burn-out hat für mich immer andere Ursachen.“

Wenn ich darüber nachdenke, welche Ursachen Burn-out bei Priestern und Seelsorgern und Seelsorgerinnen hat, dann fallen mir vor allem fünf Ursachen ein. 

Aus trüben Quellen schöpfen 

Wir haben in uns die Quelle des Heiligen Geistes. Wenn ich aus dieser klaren Quelle des Geistes schöpfe, werde ich nicht so leicht erschöpft. Denn diese Quelle ist unerschöpflich, weil sie göttlich ist. Allerdings verlangt das Schöpfen aus dieser Quelle auch eine innere Durchlässigkeit. Ich darf nicht aus dieser Quelle schöpfen, um mein Ego aufzublähen, sondern um durchlässig zu sein für das, was Gott durch mich wirken möchte. Oft aber schöpfen wir aus trüben Quellen. So eine trübe Quelle ist der Perfektionismus, der Ehrgeiz, der Druck, den ich mir bei allem, was ich tue, selber setze, der Drang mich überall beweisen zu müssen. Und oft sind es Lebensmuster, die meine innere Quelle trüben. Da ist bei Priestern z.B. oft das Lebensmuster: „Ich gebe alles für die Gemeinde, damit sie meine Heimat wird.“ Viele Priester betrachten die Gemeinde wie eine Mutter, die ihnen Heimat schenkt. Sie tun alles für sie. Aber die Gemeinde ist weder Mutter noch Heimat. Wenn dann Konflikte auftreten oder Enttäuschungen, dann brechen diese Priester innerlich zusammen. Da ist wichtig, das Lebensmuster in Frage zu stellen und mit der klaren Quelle des Heiligen Geistes in Berührung zu kommen. 

Nicht dem eigenen Bild, sondern den Erwartungen der andern gerecht werden 

Jeder Mensch ist ein einmaliges Bild, das Gott sich von ihm gemacht hat. Wenn wir in Berührung sind mit diesem inneren Bild, dann strömt die Arbeit, ohne uns zu erschöpfen. Aber viele leben nicht ihr einmaliges Bild, sondern die Bilder, die andere ihnen übergestülpt haben, etwa die Eltern oder die Gemeinde. Oft sind es auch Bilder des eigenen Ehrgeizes, die zu große für sie sind, oder aber auch Bilder der Selbstentwertung, dass sie sich selbst nichts zutrauen. Die Depressionen, die heute überhand nehmen, sind ja oft ein Hilfeschrei der Seele gegen maßlose Bilder, die wir in uns tragen, etwa gegen das Bild: Ich müsse immer perfekt sein, immer cool sein, immer erfolgreich, immer alles im Griff haben. Wir sollen unser Bild entdecken, das für uns stimmt. Dieses Bild können wir nicht beschreiben. Aber wenn wir uns hinsetzen und uns fragen: Stimmt mein Leben, ist es in Fluss?, dann erkennen wir, ob wir mit dem inneren Bild im Einklang sind oder nicht. Ein anderer Weg ist, sich zu fragen: Wo konnte ich als Kind stundenlang und voller Begeisterung spielen oder mich beschäftigen, ohne müde zu werden? Ein Priester, der müde geworden war in seinem Dienst, hatte folgendes Bild: „Ich stehe auf einer Sanddüne und strample mich ab. Doch der Sand rinnt unter meinen Füßen weg.“ Das ist ein deprimierendes Bild, das uns alle Energie raubt. Als ich ihm die Aufgabe stellte, in der Kindheit nach seinem Bild zu suchen, kam ihm sofort die Erinnerung, dass er voller Begeisterung kleine Bäche durch Staudämme anstaute. Schon als er das erzählte, war er voller Lebendigkeit. Es geht nicht darum, das nun als Priester zu tun. Aber im Gespräch wurde ihm klar, dass das ein gutes Bild für seine Arbeit als Priester sein könnte. Als Priester wollte er den Lebensfluss von Menschen, der in die falsche Richtung läuft, in die richtige Richtung lenken. Oder aber er wollte den Fluss, der bei vielen ins Stocken geraten ist, wieder zum Fließen bringen. Dieses Bild hat ihn motiviert. 

Wenn ich aus dem eigenen Bild lebe, dann strömt das Leben. Viele sind jedoch zu sehr darauf aus, die Erwartungen der anderen zu erfüllen. Die Erwartungen der andern werden zu einem Druck, der auf mir lastet. Sie überfordern mich. Bei vielen Pfarrern erlebe ich, dass sie sich von den widersprüchlichen Erwartungen der verschiedenen Gemeinden zerrissen fühlen. Jede Gemeinde hat andere Erwartungen. Die verschiedenen Gruppierungen in der Gemeinde haben ihre Erwartungen, die aber nicht miteinander kompatibel sind. Diese verschiedenen Erwartungen kann man unmöglich erfüllen. So fühlt man sich überfordert und zerrissen. Denn man kommt nicht los von dem inneren Druck, die Erwartungen zu erfüllen. Ich bin nur wertvoll, wenn ich möglichst viele Erwartungen erfülle. 

Zuviel Energie für die Fassade verwenden 

Viele verbrauchen zuviel Energie, um an ihrer Fassade zu bauen. Diese Energie fehlt ihnen bei der Arbeit. Eine Frau sagte mir: „Ich kann nicht in die Stille gehen. Da geht ein Vulkan in mir hoch.“ Ich antwortete ihr: „Wenn Sie mit diesem Bild leben, verbrauchen Sie zuviel Energie, um den Vulkan ständig unter Verschluss zu halten. Und Sie leben dennoch ständig in der Angst, der Vulkan könne doch irgendwann einmal hochgehen.“ Es ist also letztlich ein pessimistisches Selbstbild, das diese Frau dazu geführt hat, ihre Energie in die Fassade zu stecken. Der heilende Weg wäre, mich selbst in aller Demut anzunehmen, wie ich bin. Dann verbrauche ich nicht soviel Energie, um nach außen hin möglichst gut und fehlerlos und perfekt zu erscheinen. Die Demut ist der Mut, hinabzusteigen in meine eigenen Tiefen. Aber zugleich befähigt mich die Demut, mit beiden Füßen auf der Erde (humilitas kommt von humus) zu stehen. 

Die Müdigkeit überspringen 

Wenn wir viel gearbeitet haben, werden wir müde. Müdigkeit ist ein gutes Gefühl, wenn ich es zulasse. Wenn ich abends müde vom Büro in meine Klosterzelle komme, lege ich mich 15 Minuten aufs Bett und genieße die Schwere der Müdigkeit. Ich habe für Gott und für die Menschen gearbeitet. Das ist ein gutes Gefühl. Und ich gönne mir jetzt in diesem Augenblick, gar nichts tun zu müssen. Die Müdigkeit ist die Einladung, sich zu erholen, sich das zu holen, was ich gerade brauche: Schlaf oder einen Spaziergang oder einen Konzertbesuch oder sonst etwas, das mir Freude bereitet. 

Es gibt aber nicht nur die Müdigkeit nach viel Arbeit, sondern Dinge, die mich müde machen. Ich bin es müde, im Pfarrgemeinderat ständig gegen den Widerstand zu kämpfen. Ich bin es müde, mit dem oder jenem zu sprechen und ständig Konflikte lösen zu müssen. Diese Müdigkeit ist eine Einladung, sich zu hinterfragen, ob all das, was ich tue, notwendig und sinnvoll ist. Oft zeigt die Müdigkeit, dass etwas nicht stimmt. Wenn ich z.B. im Gespräch mit einem Ratsuchenden müde werde, zeigt mir die Müdigkeit, dass der andere nicht am Thema ist, sondern irgendetwas bespricht, was aber nicht sein eigentliches Problem ist. Wenn ich bei einer Sitzung müde werde, ist es oft ein Zeichen, dass wir die falschen Probleme besprechen. Um diese Fragen geht es gar nicht. Die Müdigkeit lädt mich ein, mich zu fragen, was wir denn eigentlich in der Pfarrei tun und bewegen möchten. 

Viele geraten in den Burn-out, weil sie die Müdigkeit überspringen. Entweder wollen sie sich selbst oder andern beweisen, dass sie unbegrenzt belastbar sind. Dann überspringen sie die Müdigkeit mit Aufputschmitteln, mit Kaffee oder stärkeren Mitteln. Oder aber sie wollen nicht wahrhaben, dass etwas schief läuft, dass sie am eigentlichen Thema vorbei leben, sowohl im persönlichen Bereich als auch in der Pfarrei. Die Müdigkeit ist eine Einladung zu reagieren. Als Elija sich der eigenen Müdigkeit überließ und seine Ohnmacht zuließ, selber etwas verändern zu können, wurde er in ganz neue Bereiche hineingeführt, wurde er offen, Gottes Gegenwart im stillen Säuseln des Windes zu vernehmen. Es gibt eine Müdigkeit, die uns für Gott öffnet, weil sie uns vom eigenen Ego befreit. Wer die Müdigkeit überspringt oder bekämpft, der hält an seinem Ego fest. Und irgendwann bricht er dann zusammen, weil er nicht auf die Stimme Gottes in seiner Müdigkeit gehört hat. 

Systemische Ursachen 

Erst die fünfte Ursache von Burnout liegt in äußeren Verhältnissen, entweder in einer ungesunden Pfarreistruktur oder in Konflikten im Leitungsteam oder in der neuen Rolle, die wir als Seelsorger und Seelsorgerinnen in einer Pfarreiengemeinschaft einnehmen. Und hier liegt natürlich auch die Verantwortung der Diözesen für ihre Seelsorger und Seelsorgerinnen. Die Diözese darf für sie nicht Arbeitsverhältnisse schaffen, die in sich den Burn-out fördern, weil die Arbeit unüberschaubar wird, weil die persönliche Beziehung zu den Menschen fehlt und weil die Arbeit ihre Kreativität verliert. Andere Ursachen sind die Konflikte zwischen den Mitarbeitern im Leitungsteam. Manche fühlen sich gemobbt oder zu wenig gesehen. Betriebswirtschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass in Firmen häufig die mangelnde Führungskultur am Burn-out schuld ist. Das ist auch eine Frage an die Führungskultur in der Kirche, sowohl auf der Pfarreiebene als auch auf der diözesanen Ebene. 

Burn-out einen Sinn geben 

Nur wenn ich die Ursachen von Burn-out kenne, kann ich dagegen steuern. Burn-out hat immer einen Sinn. Er lädt mich ein, mein Leben neu zu strukturieren und vor allem meine innere Einstellung zum Leben und zur Arbeit zu ändern. Aber wenn ich um die Gründe weiß, soll ich es nicht dahin kommen lassen. Es ist eine spirituelle Herausforderung, mit mir selbst ehrlich umzugehen und meine inneren Quellen und Motive und Bilder genauer anzuschauen. Und ich soll mir dann Bilder suchen, die meinem Wesen entsprechen. Geistliches Leben heißt letztlich, Wege zu finden, die mich zur inneren Quelle führen. Diese Wege können Stille, Gebet, Meditation sein, aber auch das Wandern oder die Musik oder das Gespräch. Jeder von uns hat in sich eine Quelle, die nie versiegt. Aber wir sind oft abgeschnitten von dieser Quelle. Der spirituelle Weg möchte uns wieder in Berührung bringen mit dieser inneren Quelle. Daher ist für mich Burn-out nicht in erster Linie ein Problem der Arbeit, sondern eine Frage der eigenen gesunden Spiritualität. 

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