Wege menschlichen WachstumsZukunft hat der Mensch des Friedens (Ps 37, 37b)

Das Leitwort des 103. Deutschen Katholikentages ist ein Zitat aus Psalm 37. Es erinnert daran, dass Frieden gerade angesichts der vielfältigen Bedrohungen durch Kriege, Klimawandel und (kirchen-)politische Spannungen eine zentrale Herausforderung für die Menschheit ist. Der Psalmist formuliert eine Zusage: Der Mensch hat Zukunft. Diese Zukunft kann jedoch nur eine friedliche sein.

Fazit

Das Leitwort des 103. Deutschen Katholikentages „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ zitiert Psalm 37,37b. Es formuliert eine große Zusage: Der Mensch des Friedens hat Zukunft. Ein Mensch zu sein, der auf dem Weg des Friedens geht, das braucht aktives Engagement. Und unser Engagement ist mit Blick auf die Zukunftsprognosen mehr als gefragt. Wir sind nicht ohnmächtig. Das Leitwort fordert uns heraus, den Krisenphänomenen unserer Zeit, den vielfältigen Bedrohungen durch Kriege, Klimawandel, Artensterben, soziale Verwerfungen, Spannungen, Fluchtbewegungen und (kirchen-)politische Krisen, mit Hoffnung und Engagement entgegenzutreten. Es kommt auf jede und jeden Einzelnen von uns an. Als Christen und Christinnen dürfen wir uns dabei getragen wissen von der Zusage Gottes, der uns Zukunft schenken will.

Zukunft hat der Mensch des Friedens. Stellt man diese Zusage in den Kontext des gesamten Verses 37, wird deutlich, dass sie begründet, warum das angesprochene „Du“ auf den Lauteren achten und auf den Redlichen sehen soll: „denn Zukunft hat der Mensch des Friedens“.
Frieden, im hebräischen Schalom, meint im biblischen Kontext weit mehr als die Abwesenheit von Krieg oder eine politisch befriedete Situation. Der Begriff Schalom bezeichnet vielmehr auch einen tiefen inneren Frieden, Unversehrtheit und Gesundheit. Es ist ein Zustand gemeint, der keine unerfüllten Sehnsüchte offenlässt und mit Glück einhergeht.
Bezieht man die erste Hälfte des Verses mit ein, so wird deutlich, dass der Mensch des Friedens zugleich lauter und redlich ist. Die hebräischen Begriffe können auch mit „gerade“, „aufrecht“ oder „integer“ im Deutschen wiedergegeben werden. Es geht um eine innere Haltung, die von Offenheit und Aufrichtigkeit gekennzeichnet ist.
Die Zukunft, die zugesprochen wird, ist nicht abstrakt. Der hebräische Begriff kann auch mit „Nachkommenschaft“ ins Deutsche übertragen werden. Es geht also konkret um die Zukunft für die kommenden Menschheitsgenerationen.
Der auf das zitierte Leitwort folgende Vers 38 zeichnet das Gegenbild und spricht von den Abtrünnigen, die vernichtet sind. Parallel zum Leitwort des Katholikentages ist dort formuliert: „die Zukunft der Frevler ist ausgetilgt“.
Diese für uns heute schwer verständliche Gegenüberstellung von zwei Menschengruppen, von denen die eine als Frevler identifiziert und sehr negativ gezeichnet wird, findet sich in den biblischen Texten, die, wie Psalm 37, der Weisheitstradition zugeordnet werden, häufig, und prägt Psalm 37 insgesamt.
Dabei greift der Psalm eine Fragestellung auf, die in den weisheitlich geprägten Texten immer wieder verhandelt wird und auch uns heute nicht fremd ist: Wie kann es sein, dass der Frevler, der ungerecht handelnde Mensch, Wohlstand und Erfolg hat, während der redliche, aufrichtige Mensch, der den Frieden sucht, leidet und wenig Erfolg hat? Die im Psalm angesprochene Person empfindet das als ungerecht und ärgert sich. Gleich im ersten Vers wird sie angesprochen mit den Worten: Ereifere dich nicht. Reg dich nicht auf über die, die Schlechtes tun. Sie haben keine Zukunft. Immer wieder wird diese Person im Psalm darin bestärkt, auf Gott zu vertrauen, auf ihn die Hoffnung zu setzen und unbeirrt auf dem Weg des Friedens weiterzugehen.
Dabei will der Psalm ein Text sein, der ermutigt. Ein glückliches und gelingendes Leben ist letztlich nur auf dem Weg des Friedens zu erreichen. Der Weg des Frevlers ist keine Alternative. Er ist ein Weg ohne Ziel, ohne Zukunft, der ins Nichts führt. Erfolg und Wohlstand sind fragil, Frieden im umfassenden Sinn, Schalom ist nicht käuflich.
Und: Wichtig ist, dass alle Aussagen über die Vernichtung und den Untergang des Frevlers im Psalm passiv formuliert sind. Dabei wird Gott sehr wohl als aktiv Handelnder beschrieben: Er rettet den Menschen des Friedens, hilft ihm, sieht ihn, hört ihn, festigt seine Schritte … Es ist vielmehr der Frevler selbst, der seine Zukunft verspielt und sich ins Verderben stürzt. Dies wird ganz deutlich in Vers 15: „Ihr [der Frevler] Schwert [das sie gegen den Mensch des Friedens richten] wird in ihr eigenes Herz dringen […].“
Der einzelne Mensch steht in der Entscheidungssituation. Der Psalm ist eine Einladung, die darum wirbt, unbeirrt an eine friedliche Zukunft zu glauben und diese als Mensch des Friedens mitzugestalten.

Zukunft – Mensch – Friede

Das Leitwort wird von den drei programmatischen Nomen „Zukunft“, „Mensch“ und „Frieden“ inhaltlich bestimmt.

Zukunft: Zukunft wird dem Menschen des Friedens im Ps 37,37b zugesprochen, Zukunft im konkreten Sinne für die nachfolgenden Generationen. Wir leben in einer Situation, in der diese Zukunft durch verschiedene Faktoren massiv bedroht ist: Klimawandel und Artensterben, soziale Verwerfungen und Spannungen, Fluchtbewegungen, die dadurch ausgelöst werden. – Unsere Zukunftsperspektiven lassen, nüchtern betrachtet, wenig Raum für Optimismus.
Im Blick auf den Psalm fällt auf: Da werden durchaus Anforderungen an den Menschen des Friedens gestellt: Er soll sich nicht ereifern, soll vertrauen, beharrlich weiter auf dem Weg des Friedens gehen, sich an lautere und integre Menschen halten und auf Gott vertrauen. Ein Mensch zu sein, der auf dem Weg des Friedens geht, das braucht aktives Engagement. Und unser Engagement ist mit Blick auf die Zukunftsprognosen mehr als gefragt. Wir sind nicht ohnmächtig. Den eigenen Lebenswandel, Ressourcenverbrauch und das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen, das ist von jeder/jedem Einzelnen gefordert. Sich politisch für die nötigen Rahmenbedingungen, die das Einhalten der Klimaziele und den Artenschutz in den Mittelpunkt des Handelns stellen, einzusetzen, ist dringend erforderlich. Es kommt auf jede und jeden Einzelnen von uns an. Als Christen und Christinnen dürfen wir uns dabei getragen wissen von der Zusage Gottes, der uns Zukunft schenken will. Das schützt uns vor der Resignation: Es kommt auf uns an, aber es hängt nicht von uns ab.

Mensch: Der Mensch des Friedens ist, so wird es in Ps 37,37 beschrieben, aufrichtig und integer, geprägt von einer inneren Haltung der Offenheit und der Geradlinigkeit. Im Jiddischen meint das Wort „Mentsch“ mehr als eine Sammelbezeichnung für die menschliche Spezies. Ein wirklicher „Mentsch“ hat einen Charakter, der durch Rechtschaffenheit, Redlichkeit und Aufrichtigkeit geprägt ist. Das ist jemand, den man sich in der Not als Freund an seiner Seite wünscht. Jemanden als einen echten „Mentsch“ zu bezeichnen, ist ein Ausdruck von hohem Respekt gegenüber dieser Person. Dabei geht es nicht um Macht, Erfolg oder Reichtum, sondern um die innere Haltung, die sich im Handeln dieser Person ausdrückt. Ein „Mentsch“ handelt gut, nicht, weil er schaut, was ihm das bringt, sondern weil er von Aufrichtigkeit geleitet ist. Er/ sie behandelt jede Person mit Respekt und urteilt nicht über andere. Er/sie ist verständnisvoll und setzt sich mit Mut seinen Werten entsprechend ein, auch wenn das für ihn/sie nachteilig ist. Dabei ist die Würde ALLER Menschen im Blick.

Frieden: Nach „Suche Frieden“, Leitwort des Katholikentages 2018 in Münster, greift das Erfurter Leitwort den Begriff „Frieden“ wieder auf. Der Krieg in der Ukraine hat uns schmerzlich bewusst gemacht, wie sehr der Friede auch in unserem direkten Umfeld bedroht ist. Der terroristische Angriff der Hamas auf Israel hat eine massive Eskalation in der Region ausgelöst. Wege zu einem friedlichen Zusammenleben von Israelis und Palästinenser/-innen scheinen in weite Ferne gerückt. Zugleich sind Menschen in vielen anderen Ländern und Regionen der Welt durch Kriege und bewaffnete Konflikte existenziell bedroht. Der Schrei nach Frieden darf nicht verstummen und das zivile Engagement in der Friedenssicherung und Konfliktlösung ist nötiger denn je. Zugleich sind wir durch friedensethische Debatten, etwa in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine, herausgefordert.
Der Kampf um die Ressourcen, heute schon vielfach Ursache von Kriegen und Konflikten, muss dazu führen, dass wir unser eigenes Konsumverhalten in Frage stellen. Es braucht ein stetiges Bemühen um globale Gerechtigkeit, die zu einer dauerhaften Friedenssicherung weltweit beiträgt.
Die Auswirkungen sind nicht nur global, sondern auch national spürbar: Die Energiekrise verstärkt die sozialen Schieflagen in unserem Land. Zugleich ist der gesellschaftliche Frieden durch das Erstarken von Antisemitismus, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zunehmend bedroht. Es braucht an allen Orten Menschen des Friedens, die sich leidenschaftlich für die Zukunft aller Menschen einsetzen.

Der Katholikentag als Diskursraum und Lernfeld

Die Frage nach einer guten, friedlichen Zukunft hat eine hohe Aktualität. Erfurt bietet vielfältige Anknüpfungspunkte und Impulse, die im Kontext des Leitwortes beim Katholikentag aufgegriffen werden.
Es war eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung, die die friedliche Revolution 1989 in Erfurt getragen hat, an der auch die Kirchen beteiligt waren: In der katholischen Lorenzkirche und der evangelischen Predigerkirche fanden seit Dezember 1978 regelmäßig Friedensgebete statt. Der Katholikentag knüpft in den drängenden Fragen nach einer friedlichen Zukunft an diesen Erfahrungen an und öffnet ein gemeinsames Lernfeld. Fragen nach dem Zusammenleben in der pluralen Gesellschaft, den Debatten zwischen Ost- und Westdeutschland oder der Bedrohung der Demokratie durch extremistische Bewegungen und Parteien werden in verschiedenen Veranstaltungen und Formaten erörtert.
Angesichts der Diasporasituation prägt die ökumenische Zusammenarbeit das Christsein in Erfurt und Thüringen im Alltag. Die gelebte Ökumene wird beim Katholiken tag nicht nur in der Feier der Gottesdienste, sondern auch im gesellschaftlichen Diskurs sichtbar.
Das Jüdisch-Mittelalterliche Erbe in Erfurt wurde 2023 in das UNESCO-Welterbe der Menschheit aufgenommen. Der jüdisch- christliche Dialog – und davon ausgehend der Dialog mit den anderen Religionen –, der traditionell ein Programmsegment bei den Katholikentagen bildet, kann sich von der wechselhaften Geschichte der Erfurter Juden inspirieren lassen.
Das gottesdienstliche Konzept am Hochfest Fronleichnam, reagiert auf die Gegebenheit, dass in Thüringen Fronleichnam kein gesetzlicher Feiertag ist. Die Eucharistie wird deshalb am Abend gefeiert, so dass auch die Katholiken und Katholikinnen aus Erfurt und Thüringen die Möglichkeit haben, daran teilzunehmen. Am Vormittag findet auf den Domstufen ein Wortgottesdienst statt, der das Leitwort „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ als zentrales Motiv aufgreift.
Erfurt ist eine säkular geprägte Stadt. Das Psalmwort, in dem „Gott“ nicht genannt wird, eröffnet mit der grundlegend angesprochenen Frage nach einer friedlichen Zukunft für die Menschen einen Diskursraum, in dem sich auch Agnostiker/-innen und Zweifelnde, zivilgesellschaftlich und politisch Engagierte beteiligen können. In den großen Herausforderungen unserer Zeit sind wir auf die Zusammenarbeit mit den „Menschen guten Willens“ dringend angewiesen.
Das Leitwort ist eine positive Aussage, geprägt von einem positiven Menschenbild: Die Menschen des Friedens werden eine Zukunft haben. Diese visionäre Aussage kann gerade angesichts der vielfältigen Krisenphänomene unserer Zeit eine Hoffnungsperspektive eröffnen. Wir dürfen uns als Christen und Christinnen von einem Menschen bild getragen wissen, das den Menschen etwas zutraut und sie zugleich in die Verantwortung nimmt.

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