Wege menschlichen WachstumsKreuz und Auferstehung

Kreuz und Auferstehung stehen im Zentrum christlicher Theologie. Für den Apostel Paulus erschließt sich in Kreuz und Auferstehung das Wesen des Christen. Für Paulus ist es ein Symbol, dass der alte Mensch gekreuzigt wurde mit seinen Fehlern und Sünden.

Fazit

Die sechs Punkte, die ich hier angeführt habe – es gibt sicher noch mehr – zeigen, dass Kreuz und Auferstehung Einladung zu gelingender Menschwerdung sind. Theologie ist nie nur Aussage über das Geheimnis Gottes, sondern immer auch über das Geheimnis des Menschen, über den Weg, wie der Mensch seinem Wesen entsprechend leben kann.

Auferstehung bedeutet, dass wir als neue Menschen auferstehen. Das geschieht für Paulus in der Taufe: „Wenn wir ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein. Wir wissen doch: Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde.“ (Röm 6,5f.) Für Paulus ist die Kreuzestheologie daher immer auch Anthropologie, Lehre vom Geheimnis des Menschen. Das Kreuz ist für Paulus die Botschaft, dass wir von Gott bedingungslos angenommen sind und daher auch Ja sagen können zu uns selbst. Und es ist die Botschaft, dass die Maßstäbe dieser Welt – Anerkennung und Erfolg – durchgestrichen sind, dass wir wahrhaft frei sind. So möchte ich in einigen Punkten beschreiben, wie wir in Kreuz und Auferstehung einen Weg erkennen können für unsere eigene Menschwerdung.

Das Kreuz als Bild der Menschwerdung

Der Schweizer Psychologe C.G. Jung hat sich viele Gedanken über das Kreuz gemacht. Für ihn ist das Kreuz – ähnlich wie bei den griechischen Kirchenvätern – ein uraltes Symbol für die Einheit aller Gegensätze: Die Vertikale zeigt die Einheit von Himmel und Erde, von Licht und Dunkel, die Horizontale die Einheit von Bewusstem und Unbewusstem, von Männlichem und Weiblichem. Und für Jung ist das Kreuz ein Bild für die Menschwerdung. Denn wir werden nur ganze Menschen, wenn wir bereit sind, die Gegensätze in uns anzunehmen. Der Mensch hat immer zwei Pole: Liebe und Aggression, Verstand und Gefühl, Vertrauen und Angst, Glaube und Zweifel. Wenn er einen Pol verdrängt, gerät der in den Schatten. Doch zur Ganzwerdung des Menschen gehört es, den eigenen Schatten anzunehmen. So kann Jung schreiben: „Wer immer sich auf dem Wege zur Ganzheit befindet, kann jener eigentümlichen Suspension, welche die Kreuzigung darstellt, nicht entgehen. Denn er wird unfehlbar dem begegnen, was ihn durchkreuzt, nämlich erstens dem, was er nicht sein möchte (Schatten), zweitens dem, was nicht er, sondern der andere ist (individuelle Wirklichkeit des Du), und drittens dem, was sein psychisches Nicht-Ich, nämlich das kollektive Unbewusste ist.“ (C.G. Jung, Gesammelte Werke, Band 16, S. 280)
Eine zweite Bedeutung sieht Jung im Kreuz, wenn er es als einen Weg beschreibt, wie wir mit dem Leiden umgehen sollen. In einem Gespräch mit dem evangelischen Theologen Walter Uhsadel spricht er über den Umgang mit dem Leiden im Osten und im Westen. Er meint, der Osten versuche, das Leiden abzustreifen, indem er sich der Welt entzieht. Der abendländische Mensch versucht, das Leiden durch Drogen oder auch durch Aktivismus zu unterdrücken. Doch für Jung steht fest: „Das Leiden muss überwunden werden, und überwunden wird es nur, indem man es trägt.“ (Briefe I, S. 300) Dabei weist er auf das Kreuz, das in seinem Zimmer hängt. Und er meint, nur vom Gekreuzigten könnten wir lernen, das unausweichliche Leiden zu tragen. An der Frage, wie wir mit dem Leiden umgehen, hängt für Jung das Gelingen der Menschwerdung ab.
Wenn Jung vom Kreuztragen spricht, dann betont er immer wieder, wir sollten das eigene Kreuz tragen und uns nicht künstlich von außen her ein Kreuz aufladen. „Das Kreuz Christi wurde von ihm selber getragen und war sein eigenes. Sich unter ein fremdes und schon getragenes Kreuz zu stellen, ist sicherlich einfacher, als sein eigenes Kreuz unter dem Spott und der Verachtung seiner Umwelt zu tragen. Man bleibt ja dabei schönstens in der Tradition und wird als fromm gelobt. Das ist wohlorganisiertes Pharisäertum und äußerst unchristlich.“ (Briefe II, S. 290) Das eigene Kreuz zu tragen bedeutet, sich mit allen Gegensätzen, mit seinen Fehlern und Schwächen, mit seinem Leib, der nicht immer den Idealen der Zeit entspricht, anzunehmen.
So ist das Kreuz für Jung ein Geschenk Gottes an den Menschen. Gott zeigt uns im Kreuz, wie Menschwerdung, wie Ganzwerdung, wie Individuation gelingt. Es gelingt nur, wenn wir uns mit unseren Gegensätzen annehmen, wenn wir bereit sind, uns an dem, was uns durchkreuzt, aufbrechen zu lassen für unser wahres Selbst und für Gott.

Das Kreuz als Schauspiel bei Lukas

Der Evangelist Lukas hat sein Evangelium für griechisch gebildete Menschen geschrieben. Daher meidet er Begriffe wie Opfer und Sühne. Er beschreibt die Kreuzigung Jesu als Schauspiel. „Alle, die zu diesem Schauspiel herbeigeströmt waren und sahen, was sich ereignet hatte, schlugen sich an die Brust und gingen getroffen weg.“ (Lk 23,48) Für den griechischen Philosophen Aristoteles hat das Schauspiel die Wirkung von Katharsis, von Reinigung der Emotionen. Für Sigmund Freud war die Katharsis das Ziel der Psychoanalyse. Indem die Menschen auf das Schauspiel des Kreuzes schauen, werden sie verwandelt. Oder wie Lukas auch meint, sie werden gerecht, sie werden ausgerichtet auf Gott hin. Bei Lukas bekennt der Hauptmann: „Das war wirklich ein gerechter Mensch“; Lukas bezieht sich hier auf die Stelle aus der Politeia von Platon, der meint: Was wird mit einem wahrhaft gerechten Menschen geschehen in unserer ungerechten Zeit? Man wird ihn aus der Stadt heraustreiben, blenden und ans Kreuz hängen. Clemens von Alexandrien meint, dass Lukas mit seiner Schilderung des Kreuzestodes Jesu die Sehnsucht der Griechen nach einem wahrhaft gerechten Menschen erfüllt. Für Lukas geschieht die Rechtfertigung des Menschen durch das Schauen. Indem ich auf das Kreuz Jesu schaue, werde ich verwandelt, werde ich ausgerichtet auf Gott. Vor dem Tod Jesu spotteten die Pharisäer, die Soldaten und der linke Schächer über Jesus. Nach dem Tod spricht Lukas von allen, die auf das Kreuz schauen. Alle werden verwandelt, auch die, die vorher noch gespottet haben. Das Kreuz ist daher ein Hoffnungssymbol für alle.
So versteht Lukas auch die Vergebung der Sünden, die in der Tradition oft mit dem Tod Jesu am Kreuz verbunden wird. Jesus betet am Kreuz für seine Mörder: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34) Wenn Jesus selbst den Mördern vergibt, dann dürfen wir vertrauen, dass es nichts in uns gibt, das Gott nicht vergeben wird. Karl Rahner deutet dieses Verständnis des Kreuzes durch Lukas so: Das Kreuz bewirkt nicht die Vergebung. Denn Gott vergibt, weil er Gott ist, nicht weil Jesus gestorben ist. Aber das Kreuz vermittelt die vergebende Liebe Gottes. Der Blick auf das Kreuz löst unsere inneren Widerstände gegen die Vergebung auf. Denn Menschen, die wirklich in Schuld geraten sind, können oft nicht an die Vergebung durch Gott glauben. Das Kreuz ermöglicht es uns, an die Vergebung zu glauben.

Kreuz als Hingabe

Jesus versteht seinen Tod am Kreuz als Hingabe. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13) Jesus wurde am Kreuz gewaltsam ermordet. Doch das, was ihm von außen her widerfahren ist, verwandelt er in Hingabe. So sagt er: „Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin.“ (Joh 10,17 f.) In jeder Eucharistie feiern wir diese Hingabe Jesu, damit wir das, was uns von außen widerfährt, in Hingabe verwandeln. Meine Mutter hat ihre Krankheiten im Alter so verstanden, dass sie sie in Hingabe für ihre Kinder und Enkelkinder verwandelt. Die Krankheit widerfährt uns. Wir suchen sie uns nicht aus. Manche verwandeln ihre Krankheit in einen Vorwurf an die Verwandten, die sie besuchen. Sie werfen den Besuchern vor, dass sie sie nicht verstehen, dass sie keine Ahnung haben. Wir suchen uns das, was unser Leben durchkreuzt – Krankheit, Unfall, Verlust von lieben Menschen – nicht aus. Aber es ist unsere Aufgabe, sie in Hingabe und nicht in einen Vorwurf und in Bitterkeit zu verwandeln. Jede Eucharistiefeier ist eine Einladung, das, was uns durchkreuzt, in Hingabe zu verwandeln.

Kreuz und Auferstehung als Hoffnung auf Verwandlung

Die Tatsache, dass Jesus, der am Kreuz einen qualvollen Tod gestorben ist, von Gott auferweckt worden ist, ist das zentrale Hoffnungszeichen für uns Christen. Es schenkt uns die Hoffnung, dass es nichts in unserem Leben gibt, was Gott nicht verwandeln wird. Es gibt keine Dunkelheit, die nicht vom Licht erhellt wird. Es gibt kein Scheitern, das nicht zu einem Neuaufbruch werden kann, keine Erstarrung, die nicht aufgebrochen werden kann. Und es gibt keine Niederlage und keinen Misserfolg, die nicht in einen Sieg verwandelt werden können.
Gerade in unserer hoffnungsarmen Zeit vermitteln Kreuz und Auferstehung für unsere Zeit die Hoffnung, dass die Spaltung in unserer Gesellschaft überwunden wird, dass der Krieg in Frieden verwandelt wird, und dass die Konflikte in unserer Kirche zu einem neuen Aufbruch werden. Zur Menschwerdung braucht es die Hoffnung. Das sagt schon das deutsche Sprichwort: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Das bedeutet auch: Dort, wo keine Hoffnung ist, ist Tod und Erstarrung. Und die Lateiner wissen: „Dum spiro spero“ (Solange ich atme, hoffe ich). Die Hoffnung ist also genauso lebensnotwendig für den Menschen wie der Atem.

Die Auferstehung hier und jetzt

Wir feiern Tod und Auferstehung in jeder Eucharistiefeier nicht nur, um unsere Hoffnung auf die Auferstehung nach dem Tod zum Ausdruck zu bringen. Wir feiern die Auferstehung auch, damit wir hier und jetzt immer wieder aufstehen aus dem Grab unserer Resignation, aus dem Grab unserer Angst, und dass wir aufstehen aus unserer Opferrolle und bereit sind, Verantwortung für unser Leben zu übernehmen. Auferstehung ist die Verheißung, dass Gott den Stein von unserem Grab wegwälzt, den Stein, der uns blockiert, der uns daran hindert, ins Leben zu treten. Und Auferstehung bedeutet, dass wir die Fesseln unserer Angst und unserer inneren Zwänge abschütteln und ins Leben aufstehen. Und Auferstehung fordert uns heraus, dass wir aufstehen gegen alles, was das Leben behindert in unserer Gesellschaft, dass wir den Aufstand wagen gegenüber allen Tendenzen in unserer Gesellschaft, die dem Menschen und seiner Menschwerdung schaden.

Auferstehung als Hoffnung auf das ewige Leben

Zur Menschwerdung gehört auch, dass wir an die Auferstehung im Tod glauben. Das ist keine Vertröstung ins Jenseits, sondern Ermöglichung eines gelingenden Lebens hier und jetzt. C.G. Jung meinte einmal, als Psychologe könne er nicht beweisen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Aber als Psychologe weiß er um die Weisheit der Seele. Und die Weisheit der Seele weiß, dass der Tod nicht Ende, sondern Vollendung ist. Und für ihn als Psychologen ist es klar, dass der, der gegen die Weisheit der Seele verstößt mit noch so vielen rationalen Argumenten, wie wir sie momentan auch immer wieder hören, ruhelos, rastlos und neurotisch wird. Für C.G. Jung ist es daher für das Gelingen der Menschwerdung wichtig, an das ewige Leben zu glauben, das uns im Tod erwartet.
Und Jung macht noch eine andere Beobachtung. Er meint, ab der Lebensmitte bleibe nur der lebendig, der zu sterben bereit ist. Es braucht zwei Bedingungen, damit jemand zum Sterben bereit ist. Die eine ist, dass er in der ersten Lebenshälfte um seinen Stand im Leben kämpft. Denn wer in der ersten Lebenshälfte nicht richtig lebt und das Leben verweigert, der kann es in der zweiten Lebenshälfte nicht loslassen. Denn ungelebtes Leben kann man nicht loslassen. Die zweite Bedingung, dass man ab der Lebenshälfte zu sterben bereit ist, ist der Glaube, dass der Tod nicht einfach Ende ist, sondern die Vollendung der Verwandlung. Alles Leben wandelt sich, sonst erstarrt es. Der Tod ist die Vollendung der Verwandlung. Da werden wir in das einmalige Bild verwandelt, das Gott sich von jedem von uns gemacht hat. Da wird dieses Bild in seiner ursprünglichen Klarheit aufleuchten.

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