Pier Giorgio Frassati als GlaubensvorbildEin Heiliger auf Skiern

In nur 24 Lebensjahren bezeugte Pier Giorgio Frassati (1901–1925) seinen Glauben so, dass er seliggesprochen wurde. Wie dieser Laiendominikaner lebte und welche Impulse er gerade für junge Menschen gibt, beantwortet der Postulator seiner Seligsprechung in einem fiktiven Interview.

Fazit

Pier Giorgio Frassati überzeugt mit seiner alltäglichen Hilfsbereitschaft und regelmäßigem Gebet. Der junge Mann engagiert sich für die Kriegsopfer und Armen Turins. So zeigt der junge Laiendominikaner uns heute, wie der Glaube konkret gelebt werden kann.

Inwiefern hat Frassati ein vorbildliches Leben geführt?

Er war ein Jugendlicher, der mit „großem Eifer ein einfaches und überzeugendes Glaubenszeugnis gab“ – so hat es Papst Benedikt XVI. später ausgedrückt. Ein vertrauter Freund beschrieb ihn so: „Pier Giorgio hat nichts Außergewöhnliches getan, oder besser gesagt: er hat das Außergewöhnlichste vollbracht; er hat die Vollkommenheit erreicht auf dem Weg, auf den Gott ihn gestellt hat, da war kein augenfälliges Heldentum, da fand man keine Bußgewänder, keine übertriebenen Abtötungen, sondern einen freien heiteren Blick, einen Menschen, der immer bereit war zu geben und zu helfen. Es ist ihm gelungen, das gerade Gegenteil vom klassischen Typ des Betbruders zu werden, weil er eine große Zahl von wirklichen Tugenden besaß.“

Welche Tugenden haben ihn ausgezeichnet?

Lassen Sie mich zwei Beispiele dafür erzählen: Nach dem ersten Weltkrieg war Pier Giorgios Vater italienischer Botschafter in Berlin. Eines Nachts, bei einer Temperatur von minus 12 Grad, waren beide zu Fuß unterwegs und Pier gab einem armen alten Mann, der vor Kälte zitterte, seinen Mantel. Sein Vater, der nicht an Gott glaubte, tadelte ihn deshalb, und Pier Giorgio antwortete tapfer und klug zugleich: „Aber du siehst ja, es war kalt.“ Faszinierend ist auch für Jugendliche heute, dass er trotz des väterlichen Widerspruches nicht aufhörte, seinen Weg zu gehen und dem Frierenden zu helfen.
Zu einer Winterwanderung der katholischen Jugendgruppe war ein Gast aus dem wärmeren Süditalien angereist, der keinen Mantel dabei hatte. Piers Freunde fragten ihn, ob er einen organisieren könnte. Er versprach es und brachte einen. Am nächsten Tag wanderte der Sizilianer mit Mantel und Giorgio ohne und behauptete, so warm angezogen zu sein, dass er keinen Mantel nötig habe.
Das sind zwei einzelne Ereignisse. Wie zeigt sich in seinem ganzen Leben, dass Pier Giorgio als Christ außerordentlich tugendhaft lebte?
Von seiner Familie zunächst unbemerkt kümmerte Frassati sich während seiner Schul- und Studienzeit um die Armen in den Elendsvierteln seiner Heimatstadt Turin. Als Schüler gab er Armen sein Busgeld und rannte selbst nach Hause, um pünktlich zur Mahlzeit da zu sein. Er verzichtete oft auf Ferien im Sommerhaus seiner Familie nahe Turin. Gegenüber seinen Freunden begründete er dies mit der Rückfrage: „Wer wird sich um die Armen kümmern, wenn alle Turin verlassen?“
In den Armen sah er Jesus, denen er selbstlos diente. „Denk immer daran, dass es Jesus ist, zu dem du gehst: Ich sehe ein besonderes Licht, das wir nicht haben, das die Kranken, die Armen, die Unglücklichen umgibt“, antwortete er einem Freund, der wissen wollte, wie er sich überwinden kann, regelmäßig freitags die übelriechenden und schmutzigen Häuser der Armen zu betreten.
17-jährig schloss Pier sich der „Vinzenz-Konferenz“ Turins an und sorgte sich außerdem um mittellose Kranke, Waisenkinder, Bettler und Soldaten, die aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrten. Er sammelte regelmäßig Geld für Bedürftige vor Kinos und bei Haussammlungen; er verkaufte Eintrittskarten für Wohltätigkeitsveranstaltungen, löste im Pfandhaus Kleidungsstücke aus, die er den Armen zurückbrachte.
Pier Frassati opferte ihnen sein Geld, seine Zeit und seine Kleidung, weil er sich als Besitzender gegenüber Notleidenden verpflichtet fühlte. Er lebte die Gemeinwohlverpflichtung von Eigentum. Er war darin offensichtlich so überzeugend, dass die Mailänder Sozialistische Zeitung „Die Gerechtigkeit“ nach seinem Tod schrieb: Was man von ihm liest, ist so neu und ungewöhnlich, dass es auch jene mit ehrfürchtigem Staunen erfüllt, die seinen Glauben nicht teilen. Obwohl jung und reich, hat er sich doch der Arbeit und einem Sozialismus der Tat zugewandt. Dieser junge Katholik setzte seine religiöse Überzeugung um in lebendige Taten menschlicher Güte, in unaufhörliche Werke der Liebe … dieser junge Ingenieur war wirklich ein Mensch, der sich als Bruder der andern, besonders der Ärmsten und Unglücklichsten, fühlte. Ein solcher Christ ist wahrhaft ein Vorbild, das allem etwas lehren kann“.
Er entschied sich bei seiner Berufswahl bewusst, nicht Priester oder Ordensmann zu werden, sondern wollte Jesus als Laie „unter den Bergleuten dienen“. Er entschied sich deshalb, Bergbauingenieur zu werden, und studierte Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Bergbau an der Turiner Königlichen Polytechnischen Universität. 1919 trat er dem Katholischen Studentenbund bei. Damit kam zum sozialen Apostolat das politische hinzu. 1921 organisierte er maßgeblich die erste Versammlung einer globalen Vereinigung aller katholischen Studenten, der Pax Romana, in Ravenna mit, dessen Anliegen es war, den Frieden zu fördern. Als eine Tagung der katholischen Jugend 1921 in Rom von einigen bewaffneten Randalierern gestört wurde, legte er ihnen ruhig das Anliegen der Veranstaltung dar; als eine Pistole auf ihn gerichtet wurde, forderte er die Störer furchtlos auf weiterzugehen.
Zudem war er in der Organisation der Katholischen Arbeiter, mit der er den Katholischen Studentenbund vereinigen wollte. Der junge Student Pier Giorgio suchte die Bekanntschaft mit jungen Arbeitern und befreundete sich mit ihnen. Denn er war klug genug zu wissen, dass direkte Nächstenliebe von Angesicht zu Angesicht zwar wichtig ist, sie aber in einer modernen Gesellschaft ohne soziale Sicherungssysteme nicht genügt. Er sagte, es bräuchte eine Gesellschaftsreform für mehr Gerechtigkeit. Damit griff er Gedanken der päpstlichen Sozialverkündigung auf, wie Papst Leo XIII. sie in der Enzyklika „Rerum Novarum“ (1890) niedergelegt hat. Diese Forderungen unterstützte auch die italienische Volkspartei, deren aktives Mitglied er wurde. In diesem Rahmen beteiligte er sich auch an Demonstrationen, in denen er sich staatlicher Gewalt gegen Mitdemonstranten durch die königlichen Garden entgegenstellte. Er war überzeugter Gegner des sich ausbreitenden Faschismus und stand zu seiner politischen Überzeugung. Infolgedessen beteiligte er sich tapfer an Straßenkämpfen mit ihnen. Als bewaffnete Randalierer im Juni 1924 beim Mittagstisch in sein Elternhaus eindrangen und Inventar zertrümmerten, entwand er einem von ihnen mutig den Gummiknüppel und hinderte ihn an weiteren Zerstörungen. Die Einbrecher flohen, er ließ sie laufen und setzte seine Mahlzeit fort.

Nun haben wir einen Einblick in sein caritativ-soziales und politisches Engagement; aus welchen Quellen speiste sich Frassatis Lebenszeugnis?

Wenn Sie nach seiner Frömmigkeit fragen, so lebte er aus einer tiefen Beziehung zu Jesus und seiner Mutter Maria. Seine tägliche Begegnung mit Christus in der Eucharistie sowie die geistliche Schriftlesung waren tragende Säulen seines aktiven Lebens. Er meditierte die Schriften der dominikanisch geprägten Mantellantin Katharina von Siena und die Predigten von Girolamo Savonarola  OP. Seinen Namen (Hieronymus) wählte er, als er 1923 die Profess als Terziar im Laienzweig des Predigerordens ablegte, in den er am 28. Mai 1922 vom späteren Ordensmeister Martin Stanislaus Gillet OP aufgenommen worden war. „Ich bin ein glühender Verehrer dieses Mönches, der als ein Heiliger auf dem Scheiterhaufen starb“, schrieb er einem Freund. Seine Devise war: „Wahrhaft leben und sich nicht nur recht und schlecht durchschlagen“. Ohne Glauben, ohne ein Erbe, das es zu verteidigen gilt, ohne beständigen Kampf für die Wahrheit zu leben, das heißt nicht leben, das ist bloß ‚zurecht kommen‘. Wir dürfen nie einfach nur ‚zurecht kommen‘.“

Welche Impulse gibt er Jugendlichen?

Er ist für Jugendliche nicht nur wegen der Gleichaltrigkeit ansprechend, sondern auch, weil er aus der Perspektive seiner jugendlichen Zeitgenossen auf‘s Erste und von außen betrachtet ein ganz normales Leben führte – vor allem, was das Sportliche angeht: Wie viele andere spielte er Fußball, fuhr weite Strecken mit dem Rad, ritt, schwamm liebend gern im Meer, segelte, ruderte und veranstaltete sogar Ringkämpfe mit seinen Freunden. Vor allem war er von den Bergen angetan: Er wanderte, bestieg Berge, kletterte und fuhr für sein Leben gern Ski. Er war kein Held – beeindruckend war vielmehr, wie er das Alltägliche getan hat.
Auf Ausflügen begann er Gespräche mit seinen Freunden über den Glauben, las mit ihnen gemeinsam in der Bibel und motivierte sie zum Besuch des Gottesdienstes als sei dies das Natürlichste der Welt. Bei Übernachtungen und eigenen Speisen war er stets maßvoll – er wollte kein geheiztes Zimmer, gab anderen seine Decken und beanspruchte keinen Luxus bei den Mahlzeiten. Gleichzeitig bot er wie selbstverständlich seinen eigenen Proviant den Mitwandernden an. Hilfsbereit putzte er die Bergschuhe seiner Kameraden. Wegen dieses Apostolates nennt man ihn auch den „Heiligen auf Skiern“. Er ist Patron der Wanderwege Italiens. In den italienischen Alpen erinnert die Bezeichnung eines Wegenetzes, das vor allem Kindern und Jugendlichen den Zugang zur Natur in den Bergen öffnen soll: „Die Pfade Frassatis“.
Er lud ferner seine Freunde zu sich ein und bekochte sie bestens – vor allem, wenn er im Sommer allein im Elternhaus lebte. Zudem ertrug er tapfer Schmerzen, als er etwa versehentlich mit einem Ruder am Kopf getroffen wurde und genäht werden musste oder als vier Tage vor seinem Tod plötzlich Schmerzen an Nieren und Beinen auftraten.
Zudem war Pier reiselustig innerhalb Italiens; er fuhr nach Deutschland und Österreich, auch um sein Deutsch zu verbessern. Pier Frassati las Dante, Shakespeare und Schiller, liebte Besuche im Theater, in der Oper und in Museen. Es ist sehr bewundernswert, mit welcher Energie und in welcher inneren Haltung er anderen half und selbst zurücksteckte.
Weil er kein Freund der Traurigkeit war, schrieb er: „Man braucht niemals traurig zu sein; betrübt kann man zuweilen sein, aber traurig nie.“ Er strahlte Heiterkeit und Lebensfreude aus – ein „Heiliger mit tollen Streichen“. Insofern kann er Vorbild sein, im Alltag seinen Glauben froh zu leben und andere Menschen in schwierigen Situationen konkret zu unterstützen.

Hat er sein Leben aus religiösen Motiven für andere geopfert?

Pier Frassati scheute nicht das Risiko, sich bei den kranken Armen anzustecken. Kurz vor Abschluss seines Studiums infizierte er sich mit dem Polio-Virus und erkrankte an Kinderlähmung, seine Eltern waren mit Sterben und Tod seiner Großmutter beschäftigt. Auf dem Sterbebett liegend erteilte er seiner Schwester den Auftrag, Armen die vorgesehene medizinische und finanzielle Hilfe zukommen zu lassen. Er sorgte sich, seine Eltern durch seinen Tod im Stich zu lassen. Pier Frassati verstarb am 4. Juli 1925 im Alter von 24 Jahren im Ruf der Heiligkeit.
Karl Rahner erinnerte sich aufgrund von Frassatis Besuchen bei seiner Familie 1921 und 1923 an ihn als einen jungen Mann, der „vergnügt und munter und nett und bescheiden in unserer Familie“ lebte, „ein lustiger, fröhlicher Mann, der mit den übrigen Studenten in der lebhaftesten und wildesten Weise lebte“ und zugleich „fast jeden Tag zur Feier der Eucharistie morgens in die Kirche ging“ und eine „außerordentliche Tätigkeit … gesellschaftlicher Art in Bezug auf die Armen entfaltete“.
Pier Frassati hat seinen Glauben in Hoffnung und tätiger Liebe klug, tapfer, maßvoll und mit Sinn für Gerechtigkeit gelebt. Deshalb hat Papst Johannes Paul II. ihn bei der Feier seiner Seligsprechung am 20. Mai 1990 als einen „Mann der acht Seligpreisungen“ genannt, er sei „von prophetischer apostolischer Modernität“. Darum wählten mehrere Päpste ihn zum Patron verschiedener Weltjugendtage und als Vorbild für die Laien. In der Campus-Kirche der Universität von Toronto, Kanadas größter Universität, erscheint sein Bild in einer Reihe von Buntglasfenstern als ein Beispiel für heutige Glaubenszeugen.

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