Zwischen Katholizismus, Islam und BuddhismusChristoph Peters' literarische Welt

Georg Langenhorst, Professor für Didaktik des Religionsunterrichts und der Religionspädagogik an der Universität Augsburg, skizziert die interreligiöse Welt von Christoph Peters' literarischem Schaffen.

"Ich selbst kann mich an keine Zeit meines Lebens erinnern, in der mich die Frage nach Gott nicht intensiv beschäftigt hätte"1: Als sich der 1966 im niederrheinischen Kalkar geborene Christoph Peters im Jahr 2006 so charakterisiert, ist er längst ein viel gelesener und mehrfach preisgekrönter Schriftsteller. Aus heutiger Sicht lässt sich feststellen, dass es im deutschen Sprachraum keinen anderen Erzähler gibt, der in interreligiöser Perspektive2 so spannend und herausfordernd ist, wie der seit dem Jahr 2000 in Berlin lebende Autor, in dessen Werk gleich drei religiöse Stromsysteme einfließen: Katholizismus, Islam und Buddhismus.

Literarische Rückreise in den Volkskatholizismus

Aufgewachsen ist Peters in einem traditionellen, noch ganz volksreligiös bestimmten rheinischen Katholizismus. Geradezu ein "katholischer Fundamentalist" sei er als Jugendlicher gewesen, wird er später berichten. Sein im Sommer 2012 erschienener Roman "Wir in Kahlenbeck" greift in fiktionaler Verkleidung und Ausgestaltung seine jahrelangen Erfahrungen als Schüler am bischöflichen Internatsgymnasium Collegium Augustinianum Gaesdonck auf, ohne dabei eine platte "Abrechnung mit katholischer Kirche" vornehmen zu wollen, sehr wohl aber um die Spielarten von "religiösem Wahn aus katholischer Perspektive"3 in aller Ernsthaftigkeit zu thematisieren. Carl Pacher, das literarische Alter Ego des Autors, erlebt als Vierzehn- bis Sechzehnjähriger in allen Mühen der Pubertät den verspäteten Übergang eines vorkonziliaren Volkskatholizimus in die Auflösungen der Postmoderne. Erotische Verwirrungen gehen Hand in Hand mit religiösen Zweifeln, Aufbrüchen, Anfechtungen. Am Ende - nach dem Abschied von einem älteren Freund, der vergeblich versucht hatte, ihn nicht nur in eine homosexuelle Beziehung, sondern auch in ultrakonservative Kreise der katholischen Kirche hineinzuziehen - steht das eine Wort, das den Neuaufbruch kennzeichnet: "Erleichterung"4.

Wie in einem Mosaik führt uns Peters in einzelne Gespräche, Begegnungen und Gedanken seines jugendlichen Protagonisten, dessen Perspektive nie verlassen wird. Ein eindrücklicher literarischer Tauchgang in das versunkene Binnenmilieu des Katholizimus, dessen Erbspuren die Gegenwart weiter prägen! Kaum zufällig ist der Roman - aufgenommen auf die Longlist für den Deutschen Literaturpreis 2012 und in den Feuilletons mit Lob und Neugier rezensiert - im Präsens erzählt. Die literarische Auseinandersetzung mit dem ererbten Katholizismus ist bei Peters nicht neu, findet hier jedoch ihren bisherigen Höhepunkt. 1996 war eine erste Erzählung des Autors erschienen5, die jedoch kaum Beachtung fand. Ganz anders der als Debüt präsentierte Roman "Stadt Land Fluß" aus dem Jahre 1999, gleich mit großem Medienecho begrüßt und unter anderem mit dem "aspekte-Literaturpreis" ausgezeichnet. Peters nimmt hier seine umfangreichen Erfahrungen aus der Beschäftigung mit Kunst auf: Sein Protagonist, der 33-jährige arbeitslose Kunsthistoriker Thomas Walkenbach - genannt "nach dem Apostel, dem Zweifler"6 - arbeitet gleichzeitig an zwei wissenschaftlichen Projekten: an einer "Philosophie der Zentralperspektive" sowie an einem Werk über den niederrheinischen Holzschnitzer Henrick Douwermann, insbesondere im Blick auf einen von diesem gestalteten Altar in der St. Nicolai-Kirche in Kalkar. Peters verbleibt hier in der meisterhaft als Hintergrund eingespeisten niederrheinischen Heimat, deren Veränderungen auf dem Weg aus der geschlossenen Vormoderne hinein in eine zunehmend pluralistische und anonymisierende Moderne er feinfühlig nachzeichnet.

Gerade auch Religion verändert sich. In einem Katalog dessen, was in diesem Prozess "vernichtet" wurde, tauchen unter anderem auf: "der Angelus, die Sonntagsvesper, der Herzjesufreitag, die Rosenkranzandacht", aber auch ästhetische Spiegelungen von Volksreligiosität: "die nazarenischen Lithographien: Flucht nach Ägypten, Anna Selbdritt, Maria lactans, Antonius predigt dem Vieh" (54 f.). Der Rhythmus des kirchlichen Jahreskreises - angereichert mit wie selbstverständlich integrierten profanen Festanlässen - bestimmte unhinterfragt das Zeitgefühl:

"Nach Weihnachten kam Fastnacht, dann Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten, die Fronleichnamsprozession, im Herbst das Königschießen, die Kirmes. Mit dem 1. Advent begann alles von vorn." (132)

Ob er katholisch sei, wird der Protagonist gefragt und antwortet lakonisch: "In der Gegend, aus der ich stamme, hat es keine Alternative gegeben." Aber jetzt, glaube er denn immer noch? Über diese Rückfrage muss er länger nachdenken, um offen zu antworten: "Jedenfalls sitze ich oft in Kirchen." (79)

Die Beschäftigung des Autors Christoph Peters mit Religion bleibt aber nicht der binnenchristlichen Perspektive verhaftet. "Mit siebzehn" - so berichtet er im Gespräch - sei er "endgültig aus der Selbstgewissheit des katholischen Christentums herausgefallen", nur um wenig später auch eine zweite "Gewissheit" zu verlieren: "Danach ist mir auch der Glaube an die universale Gültigkeit der Aufklärung, auf die ich kurzzeitig gesetzt hatte, abhanden gekommen."7 Jenseits einer unhinterfragten Beheimatung im Katholizismus auf der einen und einer Scheinsicherheit in der Religionsüberwindung der Aufklärung auf der anderen Seite bleibt er religiös auf der Suche.

Faszinierend sind für ihn - ausgehend vom Christentum als Mitte - in gleicher Weise die beiden religiösen Gegenpole. In einem Gespräch mit "dradio" vom Januar 2011 führt Peters aus:

"Japan und der Orient sind, abgesehen vom Christentum, die beiden Kulturkreise, mit denen ich mich inzwischen seit über 20 Jahren intensiv beschäftige - auf die eine oder andere Weise, mal praktisch, mal theoretisch, mal ästhetisch, mal spirituell."

Und das heißt unter spezifisch religiöser Perspektive: "das buddhistisch-zenbuddhistische Japan auf der einen Seite und die monotheistische islamische Welt auf der anderen Seite" sind für ihn faszinierende "ganz grundsätzlich unterschiedliche Herangehensweisen an die Religionskonzepte"8. Von all dem, von Spiegelungen des Katholizismus, von Erkundungen des Islam, von Annäherungen an den Buddhismus ist in Christoph Peters’ literarischem Werk immer wieder die Rede.

Annäherungen an Japan und den Buddhismus

Blicken wir zunächst auf die Rezeption der Kultur und des Buddhismus Japans. "Mitsukos Restaurant" (2009) präsentiert sich als Roman um eine japanische Köchin, die am Niederrhein ein japanisches Spezialitätenrestaurant eröffnet. Achim Wiese, aus dessen Perspektive der Roman erzählt wird, verfällt ihrem Zauber und versucht - letztlich erfolglos - sich ihr und ihrer Kultur anzunähern. Ihre Religion, vor allem aber die dort zentrale Teezeremonie, fasziniert ihn. "Mich hat vor allem immer der Zen-Buddhismus interessiert", verrät er Mitsuko. "Für mich hängt die Seele Japans mit Zen zusammen."9 In einem zentralen Kapitel wird erzählt, wie Mitsuko Achim an einer Teezeremonie teilnehmen lässt, dem geheiligten Herzstück des Ritus, zu dem nur selten Fremde eingeladen werden. Zug um Zug wird die Zeremonie erzählerisch entfaltet, gleichzeitig jedoch ständig interreligiös gebrochen.

Für Achim Wiese, den interkulturellen "Wanderer" (362), erfolgt der Zugang in ständigen Vergleichen, Erinnerungen und Überblendungen mit der katholischen Eucharistiefeier. So sehr er sich auf die erstmalige Teilnahme an einer Teezeremonie gefreut, wie lange er auch darauf hin gearbeitet hat, letztlich erschließt sie sich ihm in ihrer spirituellen Tiefe nicht. Er bleibt ein Außenstehender. Der so speziell zubereitete Tee schmeckt ihm nicht. Wir werden Zeugen seiner vergleichenden Erinnerung:

"Ihm fiel die Enttäuschung wieder ein, als er mit acht Jahren zum ersten Mal die Kommunion empfangen hatte und mit der äußersten Ehrfurcht, die sein Kinderherz empfinden konnte, auf eine Oblate biss, die sich in nichts von denen für Mutters Weihnachtsmakronen unterschied." (230)

Trotz aller inneren Begeisterung, trotz aller jahrelangen Annäherung: Der Zugang zum Buddhismus scheitert letztlich genauso wie der Versuch der erotischen Annäherung an Mitsuko angesichts von inkompatiblen kulturellen Prägungen.

Wie sehr sich Christoph Peters gerade mit dem Geheimnis der Teezeremonie auseinander gesetzt hat, wurde ein Jahr später ein weiteres Mal deutlich. In dem von ihm zusammen mit dem Fotografen Götz Wrage gestalteten Buch "Japan beginnt an der Ostsee" (2010) schildert und dokumentiert er seine Begegnung mit dem in Cismar lebenden Töpfer und Keramiker Jan Kollwitz, der als einer der ganz wenigen Europäer in die Kunst der japanischen Keramik eingeführt wurde und seitdem befugt ist, Kultgefäße für die Teezeremonie zu brennen. Die Kunst der Herstellung dieser Tee-Keramik ist wie die Teezeremonie selbst eng eingebunden in den Zen als Versuch "des sich selbst zum Anderen gewordenen Menschen", in die "ursprüngliche Einheitlichkeit zurückzufinden"10, so Peters hier. Und genau an dieser Stelle enden die "auf der äußeren Ebene evidenten Ähnlichkeiten" von Teezeremonie und Abendmahl, so Christoph Peters im Gespräch: Zwar wird beide Male "eine Schale herumgereicht, das Gefäß ist kostbar und der Trank selbst ist es auch", und beide Male geht es um "Begegnung" und "Überschreiten der Persönlichkeit". Im Christentum aber gehe es letztlich um "Begegnung von Individuen", deren Individualität bestehen bleibt. Im Buddhismus hingegen gehe es in dieser Zeremonie darum, die "Individualität komplett auszulöschen"11. Diese Differenz ist zentral und von Westlern wie etwa dem Protagonisten Achim Wiese kaum überwindbar.

Auch in die 2011 erschienene Sammlung "Sven Hofestedt sucht Geld für Erleuchtung" werden Erzählungen aus dem Themenfeld Japan, Buddhismus und Tee-Zeremonie aufgenommen. Sven Hofestedt etwa, Protagonist der Titelerzählung, wird als einer jener Sinnsucher vorgestellt, der immer davon gesprochen habe, "nach Japan in ein Zen-Kloster" gehen zu wollen, um dort die "Erkenntnis der Leere"12 einzuüben. Sein Vorhaben scheitert letztlich genauso wie der Versuch von Ernst Liesgang, Protagonist der Erzählung "Schwierigkeiten mit Häusern", in Japan einen Meister zu finden, der ihn in die Kunst der Keramik einführt. Der Zugang auf die fremde Kultur, der auf Probe erfolgende Aufenthalt in der fremden Kultur führt letztlich nur zu Tabubrüchen und Missverständnissen. Schon mit den bislang vorliegenden Werken hat sich Christoph Peters als einer der wenigen deutschsprachigen Gegenwartsautoren etabliert, in deren Werk der Buddhismus eine zentrale Rolle spielt. Er streicht vor allem die für Westler unüberschreitbaren Fremdheitsschranken heraus, die bei aller Faszination und Empathie nicht übersprungen werden können.

Begegnungen und Auseinandersetzungen mit dem Islam

Perspektivenwechsel: Was macht für den Autor Christoph Peters den Reiz gerade des Islam aus? Wie kommt er biographisch mit dieser Religion in Berührung, wie schätzt er sie theologisch ein, wie nähert er sich ihr literarisch? Biographisch stehen am Anfang der intensiven Beschäftigung mit dem Islam zwei tiefe Verunsicherungserfahrungen, eine in Istanbul, die andere in Kairo. 1992 machte Peters "auf einer Istanbul-Reise"13 in der dortigen Süleyman-Moschee eine Erfahrung, die er im Nachhinein als "Einbruch des Unbekannten"14 beschreibt: das Gefühl, in diesem Raum fremd zu sein und doch von seiner Aura angezogen zu werden, eine Mischung aus Faszination, Ehrfurcht und Protest. Die Erfahrung vertiefte sich ein Jahr später. Die Schwester von Christoph Peters' erster Frau ist mit einem Ägypter verheiratet, konvertierte zum Islam und lebt mit ihm in Kairo. "Dadurch war ich mehrfach für längere Zeit in Ägypten" - erzählt der Autor - "und zwar eben nicht als Tourist, sondern als Angehöriger einer muslimischen Familie"15. Voll mit den üblichen religiösen Vorurteilen und kulturellen Überlegenheitsphantasien eines Westeuropäers sei er 1993 nach Ägypten gereist, um verblüfft festzustellen, wie die Menschen dort leben: "auf eine sehr freie und selbstverständliche Weise religiös bzw. fromm". Und mehr noch:

"Fast jedes Gespräch landete früher oder später bei religiösen Fragen, über die so selbstverständlich und engagiert gesprochen wurde, wie ich es in Deutschland nie erlebt hatte, und gleichzeitig so kontrovers, wie ich es bei 'den Moslems‘ nicht für möglich gehalten hätte."16

Neben diese Erfahrungen aus persönlichen Begegnungen treten kulturell-religiöse: In einem Beitrag für die "ZEIT" erinnert er sich im Jahre 2010 an prägende Momente seiner ersten Kairo-Reise im Jahr 1993. Es "zog mich" - schreibt Peters - "in die Moscheen", geführt von der "Ahnung, dass sich in diesem Typ Gotteshaus etwas findet, das zu verstehen wichtig sei". Fasziniert betrachtet er die Architektur, die geheimnisvolle Kalligraphie, das so selbstverständliche Verhalten der Gläubigen. Er erkannte:

"Wenn die Räume, die eine Religion für sich errichtet, ihr Wesen widerspiegelten, stimmte entweder mit meinen Vorstellungen vom Islam oder mit seinen Bauwerken etwas nicht."17

Beschämt muss Peters feststellen, dass Muslime erstaunlich viel über das Christentum wissen, er umgekehrt aber nur wenig über den Islam. Dieses Missverhältnis fordert ihn heraus. Seine Schwägerin schenkt ihm einen Koran in deutscher Sprache, er liest und ist verblüfft: Er spürt "einen sonderbaren Sog […], der einen nicht mehr loslässt"18. Wieder in Deutschland beschafft er sich Bücher über den Orient, "alles, was mir über die Region in die Hände fiel: Romane von Nagib Mahfuß, eine Mohammed-Biographie, eine über Mehmet, den Eroberer, Bücher zum Sufismus, religionswissenschaftliche Einführungen, politische Essays, Studien zum Harem und zur islamischen Kunst und nicht zuletzt den Koran"19. Er nimmt einige Jahre Arabisch-Unterricht, freundet sich mit Muslimen an, die ihn auch zu religiösen Feiern einladen. In einem Interview für die Zeitung "Die Welt" schildert er die mögliche Faszination, die man als Westler für den Islam empfinden kann, auch wenn man kein gläubiger Muslim ist oder wird: Es handelt sich um eine Religion von "großer Klarheit, die" - im Gegensatz zum Christentum - "ohne theologische komplizierte Spekulationen" auskommt. Sie "lässt dem einzelnen Gläubigen ein hohes Maß an intellektueller und ritueller Selbstständigkeit" und ist in ihrer klar und deutlich strukturierten Praxis "sicher sehr anziehend", zudem derzeit von "großer Vitalität"20.

Dass es Kehrseiten dieser Religion gibt, dass Fundamentalismus und Terrorismus das aktuelle Erscheinungsbild des Islam mitbestimmen, ist Peters dabei völlig bewusst. Aber wie kann man sich literarisch dieser Religion in ihrer Vielgesichtigkeit und Faszination annähern? Erneut bleibt ihm, dem aufgeklärten Christen mitteleuropäischer Prägung, ja nur ein Zugang von außen. Vor allem die kulturellen Vorprägungen dürfe man nicht unterschätzen. Es gibt für uns Westler keinen unverstellten Blick auf die exotisch aufgeladene Welt des Orients. Wir sind, schreibt Peters, "mit 'Der kleine Muck', 'Kalif Storch', 'Ali Baba und die vierzig Räuber'" genauso aufgewachsen wie mit "schemenhaften Türken vor Wien, 'Ölscheichs' und 'palästinensischen Terroristen'"21. Diese Bilder prägen untergründig jeden späteren Zugang zur Welt des Orients, diese kulturellen Raster geben Wahrnehmungsschemata vor, deren wir uns bewusst bleiben müssen. Zwar kann man als Schriftsteller "mit den Fiktionen des Authentischen und des Originalen […] jonglieren"22, es bleiben aber immer kulturell und biographisch vorgeprägte Fiktionen.

Christoph Peters’ erster Roman, der in muslimischem Kontext spielt, ist ganz auf diesen Aspekt ausgerichtet. Nichts erfahren wir direkt über den Islam, kaum etwas von dessen religiöser Lebendigkeit. Stattdessen handelt "Das Tuch aus Nacht" (2003) von westlich geprägten Erwartungen an den Orient, die erzählerisch zwar sehr kompliziert, aber dennoch "Schritt für Schritt" durchlaufen werden als "Etappen, die ein gewöhnlicher Tourist in einer so genannten orientalischen Stadt"23 dem Klischee nach abzuleisten hat. Der Ort, vielleicht nur die Kulisse der Handlung, ist Istanbul, eine Stadt, die der Autor Peters durch mehrere mehrwöchige Aufenthalte gut kennt. Erzählt wird aber ganz bewusst in einem Verfahren von Vielstimmigkeit, Multiperspektivität und Chaos, das den Eindruck, den ein Tourist von dieser Stadt gewinnen mag, in die Erzählform überträgt. Vieles bleibt unscharf, unklar, widersprüchlich, offen, in der Schwebe.

"Ein Zimmer im Haus des Krieges"

Sein darauf folgender Roman geht ganz bewusst einen Schritt weiter. In "Ein Zimmer im Haus des Krieges" (2006) wagt sich Peters an das brisante Thema "islamistischer Terrorismus" heran. Zur Anregung wurde für ihn vor allem der Fall des Deutschen Steven Smyrek, der 1997 in Tel Aviv bei der Planung einer Beteiligung an einem palästinensischen Terrorakt festgenommen wurde. Was treibt einen jungen Deutschen zum Islam? Was bringt ihn zu einer so extremen Haltung, dass er bereit ist, andere Menschen zu töten und das Risiko eingeht, selbst dabei getötet zu werden? Diese Fragen bilden die Ausgangsideen dieses Romans, der sich dann freilich völlig von diesem historischen Fall ablöst.

"Ein Zimmer im Haus des Krieges" stellt zwei Menschen einander gegenüber. Ort: Kairo. Der eine: Jochen Sawatzky, ein junger Deutscher, lange arbeitslos, drogensüchtig, dann zum Islam konvertiert und sich fortan "Abdallah" nennend, beteiligt an einem islamistischen Terrorakt, der das Ziel hatte, die weltberühmten Tempelanlagen in Luxor zu zerstören und dabei so viele Menschen wie möglich zu töten. Der andere: Claus Cismar, deutscher Botschafter in Ägypten, ein ehemaliger 68er, dann angepasst aufgegangen in einer Diplomatenkarriere; ein Grübler, ein Verstehen-Wollender, ein - wie er sich selbst nennt - "Skeptiker mit religiösen Wurzeln" 24. Der Anschlag der Terrorgruppe war von einem im Dunkeln bleibenden Mitglied verraten und Sawatzky gefangen genommen worden. Nun sitzt er im Gefängnis in Erwartung seines Prozesses, an dessen Ende nur ein Urteil stehen kann - die Todesstrafe.

Als Botschafter hat Cismar das Recht, den Gefangenen deutscher Staatsangehörigkeit im Sicherheitstrakt des Kairoer Gefängnisses zu besuchen. In insgesamt vier intensiven Vier-Augen-Gesprächen versucht er, die Motive des Terroristen zu verstehen und ihn zu einem Geständnis zu bewegen, das zumindest die harten Haftbedingungen erleichtern und vielleicht ja doch noch das Todesurteil abwenden könnte. Konfrontiert mit Sawatzky reflektiert Cismar über sein eigenes Leben und eigene vergessen geglaubte Ideale. Seine über Jahrzehnte aufgebaute bürgerliche Fassade gerät ins Wanken, er wird über den Prozess krank, muss sein Amt als Botschafter aufgeben und sich zur Behandlung nach Deutschland begeben. Dort erfährt er vom Vollzug des Todesurteils.

Das erste Kapitel des Romans wird im Stil eines Politthrillers gestaltet, als Ich- Erzähler entfaltet Jochen Sawatzky im Präsens Vorbereitung und Durchführung des Terroraktes sowie dessen Scheitern in einer Mischung von Erinnerung, Traum und Reflexion. Er ist dabei bewusst nicht als Typ, als Repräsentant eines Islamisten gezeichnet, sondern als ganz individueller, völlig eigenständiger Charakter. Eingestreut in seine Schilderungen und Gedankenströme sind kursiv gesetzte Koranverse, die ihm durch den Kopf gehen. Formal ganz anders ist der Rest des Romans: Nun übernimmt ein auktorialer Erzähler, der erneut im Präsens aber aus Cismars Sicht die Ereignisse, Begegnungen, Reflexionen schildert. Mehrfach unterbrochen und gerahmt werden diese Erzählungen durch den Einbau von Kassibern und Protokollen, die Cismar oder andere Botschaftsangehörige offiziell über den "Fall Sawatzky" verfassen. Hier werden vor allem die "faktischen Rahmendaten" dokumentiert, angereichert um immer noch offizielle, aber persönliche Einschätzungen und Ratschläge der zuständigen Beamten im Blick auf den weiteren Fortgang des Verfahrens.

Natürlich sei dies "nicht wirklich" ein pro-muslimischer Roman, versichert Peters in einem Interview mit der FAZ, gleichwohl gehe es ihm darum, wenigstens ansatzweise zu verstehen, wie diese Haltung funktioniert" aus der Sicht "größtmöglicher Differenzierung und Empathie". Der Roman versuche durchaus, "die islamische Position so aufzurüsten, dass wir als Westler unsere ganze Energie aufbringen müssen, um sie zu widerlegen"25.

Warum und wie ist Jochen Sawatzky Muslim geworden? Im Gegensatz zu den Gefährten seiner Terrorgruppe, so reflektiert er, ist er eben "nicht im Islam geboren". Gleichwohl seien sie ihm mit Respekt begegnet, "weil er danach gesucht habe": "Durch Gottes Rechtleitung wurde meine Suche beendet." (16) Er sei "am Ende gewesen. Schlicht und einfach am Ende. Körperlich, geistig, seelisch. Drogen, Kriminalität. Stoff besorgen, dahindämmern. Ich sah aus wie ein Penner, stank wie ein Penner, meine Wohnung war eine Müllkippe." (185) Dann jedoch habe er mitten in Frankfurt "jemanden getroffen", "jemanden arabischer Herkunft" (187), sei dieser Person gefolgt, wie vom Blitz getroffen, und habe beschlossen, sein Leben radikal zu ändern. Er folgte dieser Person zu einer Moschee. Zwar ist diese deutsche "Moschee im Hinterhaus" (189) in ihrer eher erbärmlichen Ärmlichkeit und Alltäglichkeit ganz anders als er sich das vorgestellt hat, aber er trifft auf Menschen, die seine Bitte - "Ich möchte etwas lernen. Über den Islam" (191) - ernst nehmen und ihn in den nächsten Wochen und Monaten einführen in Schriften, Lebensweisen und Überzeugungen des Islam.

Mehr und mehr wächst er in das Bewusstsein hinein, ein Muslim zu sein. Wie eine Werberede auf seine Religion hält er Cismar entgegen: "Der Islam ist eine einfache Religion. Sie macht es dem Menschen leicht. Er ist eine Anleitung, die es uns ermöglicht, im Einklang mit dem Willen Gottes zu leben. Daraus erwächst innerer Frieden." (194) Den Einwand seines Gegenübers, dass man ausgehend von dieser Überzeugung Andersdenkende tötet, weist Sawatzky zurück: "Wenn wir angegriffen werden, ist es uns erlaubt, uns zu verteidigen." (194) Der Botschafter erkennt, dass Sawatzky in einem in sich geschlossenen, in sich logischen Denksystem lebt, das für jede Anfrage eine Antwort kennt und sich gegen jegliche kritische Rückfrage immunisiert. Im Rahmen seines westlich-aufgeklärten Weltbildes stimmig, von Sawatzky aber weit zurückgewiesen, diagnostiziert Cismar eine "Paranoia" - "alle Religionen arbeiten damit" (242). Von dieser Diagnose aus ist jedoch ein Verstehen nicht mehr möglich - oder auch nur notwendig.

Claus Cismar, dem aufgeklärten Skeptiker mit protestantischen Wurzeln, bleibt der Islam letztlich fremd. Er liest durchaus immer wieder in einem - zweisprachigen - Koran, "um etwas von der Faszination des Buches zu spüren", welche die Muslime in diesem Roman eindrücklich bezeugen, indem sie ständig aus dem Koran zitieren oder in ihm lesen. Allein bei ihm wirkt der Sog nicht: "er spürt nichts" (121). Manches - wie Gewalt gebietende Passagen - "stößt ihn ab" (173), anderes - wie die interreligiös-soziale Aufforderung an Juden, Christen und Muslime: "Wetteifert darum miteinander im Guten, zu Gott ist euer aller Heimkehr" (174) - fasziniert ihn, ohne ihn spirituell zu ergreifen.

Der Botschafter Claus Cismar kann als Figur gelten, die den Islam durchaus von außen verstehen will, aber letztlich in diesem Versuch scheitert. Es liegt nicht an mangelndem Wissen: "Seine Kenntnisse über den Islam würden reichen, um ihn in Deutschland als Experten durchgehen zu lassen", charakterisiert Christoph Peters seinen Protagonisten. Allein:

"Begriffen hat er von dem, was er weiß, fast nichts. Seine Ratlosigkeit beruht nicht auf mangelnder Information. Womöglich gibt es zwischen einer gläubigen und einer säkularen Weltanschauung keine Schnittmenge." (172 f.)

Was für eine Absage an die Möglichkeit interreligiösen Lernens, bei dem der eine Partner eher aufgeklärt-säkular lebt und denkt! Auch dieser Roman bleibt letztlich in der Schwebe. Mit keinem der Kontrahenten wird man sich als Lesender voll identifizieren können. Die Einfühlung in ihre Denksysteme gelingt, gelangt aber stets an Grenzen, die nicht überwunden werden können. Am Ende bleibt irritierend-verstörte Fremdheit. Eine "Lösung", eine religionspolitische Perspektive, eine Weganzeige für das Miteinander von Christentum, Islam und aufgeklärt-rationaler Moderne wird nicht gegeben. "Für Lösungen fühle ich mich nicht zuständig", erklärt Christoph Peters im Gespräch mit der FAZ, "das ist nicht die Aufgabe der Literatur"26. Das Entwerfen von Lösungen - es wird als Aufgabe an uns, die Lesenden, weitergegeben.

"Vergegnung" - Interreligiöse Perspektiven

Christoph Peters spannt seinen religiös-literarischen Raum weit aus. Bleibend geprägt vom Katholizismus faszinieren ihn die weltreligiösen Gegensätze. Da stehen literarische Erkundungswege hinein in die Welt des japanischen Buddhismus Seite an Seite mit dem Versuch, der religiösen und kulturellen Vielfalt des Islam gerecht zu werden. Wie sehr Christoph Peters gerade auch von muslimischer Seite als einfühlsamer, um Verständnis bemühter und kompetenter Gesprächspartner ernstgenommen wird, zeigte sich zuletzt 2011. Gegen Thilo Sarrazins tendenziöses Pamphlet "Deutschland schafft sich ab" und mitten hinein in die dadurch verstärkte öffentliche Debatte um Ort, Stellenwert und Bedeutung, die dem Islam in Deutschland zukommt, meldeten sich zahlreiche muslimische Protagonisten aus Kultur, Gesellschaft und Medien zu Wort. In ihrem "Manifest der Vielen" unter dem programmtischen Titel "Deutschland erfindet sich neu" plädieren sie in bunter Zugehensweise und vielstimmigen Ausführungen für eine faire und vor allem differenzierte Diskussion.

Das Vorwort zu diesem Band schreibt - als einer der wenigen nichtmuslimischen Autoren - Christoph Peters. Er plädiert darin im Anschluss an Aufklärer wie Gotthold Ephraim Lessing oder Christoph Martin Wieland nicht nur für eine Wiederentdeckung des Islam als einer "hoch rationalen Religion", sondern wirbt für dieses Manifest als eindrucksvolle Dokumentation dafür, "wie vielgestaltig, geistreich, aufgeklärt, zeitgenössisch, zukunftsträchtig, analytisch, gesellschaftskonform und gesellschaftskritisch muslimische Positionen in Deutschland heute sind"27.

Insgesamt wird deutlich: Wenn sich Christoph Peters an andere Religionen heran schreibt - kenntnisreich, erfahrungsgesättigt, empathisch -, dann auf eine Art und Weise, dass "die Annäherungsversuche immer wieder an eine Grenze stoßen"28, so der Autor in einem Interview. So faszinierend die fremde Religion und Kultur auch ist, so sehr die Protagonisten versuchen, sich auf andere Menschen, Orte, Rituale und Lebensweisen einzulassen, am Ende lassen sich trotz allen ernsthaften Bemühens gerade in Sachen Religion letzte Fremdheitsschranken nicht überspringen. Die Erzählungen und Romane von Peters sind einerseits ein sehr guter Weg, um sich anderen Religionen lesend anzunähern, getragen von Empathie, Einfühlung und dem Wunsch des Verstehen-Wollens. Andererseits sind sie ein Warnschild gegen alle zu harmonistisch konzipierten interreligiösen Bemühungen. Wenn man von der Kategorie der "Begegnung" spricht, sollte man immer auch die zugleich mögliche, ja: sogar wahrscheinliche "Verfehlung" mit in Rechnung stellen. Martin Buber hat für diese Spannung den treffenden Begriff der "Vergegnung"29 geprägt.

Dass man letztlich in interreligiösen Prozessen vor allem die "bleibende Fremdheit respektieren"30 muss, wird hier nachdrücklich und eindrücklich erfahrbar. Und dass dieser Prozess "in eine existentielle Auseinandersetzung"31 verwickelt, die Menschen in aller Härte mit der eigenen religiös-weltanschaulichen Lebensgeschichte konfrontiert, dafür sind Achim Wiese in "Mitsukos Restaurant" und Claus Cismar in "Ein Zimmer im Haus des Krieges" beredte literarische Zeugen.

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