Der Mann, der Bäume pflanzte

Einer, so erzählt man, habe in den entwaldeten, kahlen Bergen die wenigen Früchte der Kastanien und Eichen gesammelt.
Habe geschwiegen, weil keiner ihn fragte.
Habe in Zeiten des Elends unbeirrt gepflanzt auf kargen Höhen.
Eicheln und Kastanien, handverlesen, habe er in die trockene Erde gelegt zu Zeiten, in denen man Krieg führte.
Während der Kriege hätten die Früchte Wurzeln geschlagen. Und nach den Kriegen hätten die Schösslinge Blüten getrieben und Frucht getragen.
Heute, nach 80 Jahren, spielen dort Kinder, entspringen Flüsse, nisten die Vögel.
(Jean Giono/Quint Buchholz, Der Mann, der die Bäume pflanzte, München 2006)

Ich bin oft ein ungeduldiger Mensch. Ich leide dann selbst unter meiner Ungeduld und bekümmere meine Umgebung. Wahrscheinlich noch nie habe ich, wenn ich etwas bastelte, den Leim so lange trocknen lassen, wie es auf der Anweisung steht. Und wahrscheinlich noch nie blieb ich bei einer Krankheit so lange im Bett, wie der Arzt es meinte. Wenn mir etwas zum Glauben fehlt, dann die Geduld. Ist nicht die Geduld die Basis für Hoffnung? Ich erinnere an Tomas Haliks großartiges Buch „Geduld mit Gott“.

Was ist Geduld?
Das alte deutsche Wort Geduld oder dulden ist niemals nur ausdauern oder dauern. Dulden ist ertragen und getragen werden – wer Latein kann, kennt eben die Vielstimmigkeit von tollere und tolerare, das denselben Wortstamm hat: tollo – dulde. Geduld ist währen und bewahrt werden. Dulden ist leiden und gelitten sein. Es macht keinen Sinn, wenn jemand Geduld aufbringt ohne ein Ziel.
Die sogenannte Einheitsübersetzung der Bibel ersetzt oft den alten Begriff Geduld durch Ausdauer. Was soll Ausdauer? Ausdauer streckt einfach die Zeit in eine unbestimmte Länge. Heute kann ich 30 Minuten laufen, in drei Wochen vielleicht 40 Minuten, in einem halben Jahr eine gute Stunde. Ausdauertraining. Aber was soll das ganz Ausdauertraining, wenn ich mich immer im Kreis drehe, wenn ich nicht vorwärtskomme?
Geduld hat ein Ziel. Geduld ist getragen von der Gewissheit: Da ist ein anderer, der mich duldet, der auf mich wartet, der mich braucht oder sucht.
Geduld ist der Weg im Vertrauen darauf, dass dieser Weg ein Ziel hat. Ab und zu blitzt am Horizont das Ersehnte auf, so wie – wenn wir am Meer stehen – ein Schiff am Horizont auftaucht und dann wieder verschwindet.

Aus dieser Tiefe schrieb einst Papst Johannes XXIII:
Nur für heute werde ich mich bemühen, den Tag zu erleben, ohne das Problem meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.
Nur für heute werde ich etwas tun, wozu ich eigentlich keine Lust habe.
Nur für heute werde ich mich vor zwei Übeln hüten: vor der Hetze und der Unentschlossenheit.
Nur für heute werde ich glauben – selbst, wenn die Umstände das Gegenteil zeigen sollten –, dass Gott für mich da ist.
Ich will mich nicht entmutigen lassen durch den Gedanken, ich müsste dies alles mein ganzes Leben lang durchhalten.

Im Tiefsten geht es nicht um meine Ausdauer, es geht um Gottes Geduld mit mir. Ich bin geduldet, ich bin getragen und ertragen, ich bin auf Zukunft hin von Gott gedacht. Weggetragen ist, was mich an den Augenblick bindet, mich schwer macht.

Straßburg, Ulm, Freiburg, Köln – du stehst vor den großen Kathedralen und Münstern und staunst. Die kundige Führerin erzählt dir alles Wissenswerte. Beschreibt die einzelnen Baustile und Epochen, nennt vielleicht die Bischöfe und weist dich auf Besonderheiten hin.
Mag sein, dass das Alltägliche dieser Bauwerke darüber verloren geht. Und doch ist das Alltägliche gleichwohl das Erstaunlichste: Tausende Handwerker, Gesellen und Tagelöhner, Hunderte Meister, unzählige Hände, Zimmermänner, Steinmetze, Maurer, Maler, – sie sind eingegangen mit ihrer Arbeit in Rosetten und Fenster, in Stützpfeiler und Bögen, in Decken, Wände, Treppen und Böden. Sie alle haben nur für die Zukunft gearbeitet, für dich und für andere, die mit dir heute staunend vor diesen Wundern stehen.
Kaum einer von ihnen hat den fertigen Dom betreten, hat die Glocken läuten, die Orgel spielen gehört. Der Steinmetz hat Monate an einer Lilie gearbeitet, die heute oben in 70 Metern höher nur mit dem Fernglas zu erkennen ist. Das war seine Lilie, sein Lebenswerk, seine Zeit.

So ist es mit den meisten Wundern. Sie fallen nicht vom Himmel. Sie sind Ergebnis großen Vertrauens, langer Arbeit und großer Geduld. Sie entstehen daraus, dass du dich mit Deinem bescheidest und das Deine denen hinterlässt, die nach dir kommen. Das ist unser herzlicher Anteil am Reich Gottes. Oder unser Bäumchen in kargem Land. Die Organisatoren mögen mir verzeihen: Den Planern in unseren Kirchenleitungen fehlt nicht nur das Geld, fehlen erst recht nicht die Ideen. Es fehlt die Geduld.
In diesen Tagen (Ende Januar 23) wird der deutsche Bundeskanzler immer wieder kritisiert, weil er sein Kriegsziel in Bezug auf die Ukraine nicht nennt. Die christliche geprägte Opposition erwartet einen Satz wie: Die Ukraine muss siegen. Das ist so hanebüchen wie der Satz: Das Wetter muss besser werden. / Die Kirche muss überleben.
Hier wie dort möchte ich sagen: Freunde! Zwei Schritte zurück, in den Archiven blättern, wieder zwei Schritte zurück, lange nachdenken. Zwei Schritte vor, austauschen. Zwei Schritte nach links und rechts, austauschen. Lange nachdenken.
Summe: Hoffnung ohne Geduld ist wie ein Baum ohne Wasser. Keiner, der auf seine Früchte wartet.

Gerhard Engelsberger

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