Weder bin ich ein Hellseher, noch will ich Scharlatan sein. Ich kann nicht aus Karten lesen, studiere nicht den Flug der Vögel und auch nicht ihre Innereien. Selbst mit meinen Vorhersagen für Fußballergebnisse liege ich unter dem Schnitt.
Wie kann einer in diesen Tagen über das reden, was als verschlossenes Buch noch vor uns liegt? Natürlich: Jeder kennt die wirtschaftliche Situation und wird kaum fehlgehen, wenn er Schwierigkeiten vorhersagt. Jeder kennt die gespannte Situation zwischen den Großmächten und ihren Einflussländern, populistische Großmachtallüren und Unberechenbarkeiten. Mancher kann sich sogar noch vorstellen, wozu Väter in der Lage sind, wenn ihre Kinder fast verhungern. Jeder kennt die Schäden an der Natur, die drohende Klimakatastrophe, hört die Obergrenzen der Belastungswerte und kann daraus Schlüsse ziehen.
Jeder weiß, dass wir auf einem Pulverfass sitzen. Jeder weiß, dass die schwerwiegenden Fehler der Vergangenheit keine Häme verdienen, sondern eine klare Umkehr. Jetzt. Sofort. Weltweit werden die Verteilungskämpfe neu beginnen, die Not wird neu verteilt und die Macht neu geordnet.
Links und Konservativ, Katholik und Protestant, Weiß und Schwarz sind nostalgische Unterschiede. Sie halten uns auf, und es gibt viele, die ein Interesse haben, dass wir uns an solchen Unterschieden von Gestern und Vorgestern aufhalten.
Jesus hat das auf einen absolut überzeugenden, auf den Punkt gebracht. Er sagt: „In der Welt habt ihr Angst.“
Angst ist die Ursache von allem Übel. Angst, dass mir ein anderer etwas nimmt. Angst vor Misserfolg, sinkender Anerkennung, schwindender Liebe, ausgereizter Gesundheit, begrenzter Lebenszeit, Angst vor Verlust. Angst vor dem Tod.
In vielen biblischen Erzählungen wird uns die Angst der Jünger vor Augen geführt. Die Angst vor dem Wasser, die Angst vor dem Sturm, die Angst vor Krankheiten, die Angst vor dem Militär, die Angst vor dem falschen Weg, die Angst vor dem Tod. Da ist nichts, was uns unterscheidet von ihnen. In der Welt haben wir Angst. Es wird eng. Je älter wir werden, umso bedrückender spüren wir die Enge. Wehe dem, der dann die Jahre und Tage zählt. Wehe dem, der sich in seiner Angst denen an den Hals wirft, die an ihm verdienen. Wehe dem, der in seiner Angst und Depression kein Lot mehr hat, nichts, was ihn aufrichtet, hält und orientiert. Wehe all unseren behüteten, angstfrei erzogenen und mit Gewinnen überschütteten Kindern und Jugendlichen. Was tun sie wohl, ohne Gewinne, in ihren Ängsten und ohne Obhut? Was machen wir Deutsche denn – ohne unser Geld?
Weder bin ich ein Hellseher, noch will ich Scharlatan sein. Ich kann nicht aus Karten lesen, studiere nicht den Flug der Vögel und auch nicht ihre Innereien.
Ich weiß nicht, was Ende März sein wird. Ich weiß nur, dass die lange Zeit der Passion auf Ostern zusteuert. Und dass wir an Ostern den zweiten Teil der lapidaren Aussage des johanneischen Jesus hören: „In der Welt habt ihr Angst – aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
„Angst“ ist das Thema der März-Ausgabe der PASTORALBLÄTTER. Angst ist vielfältig. In den Bausteinen finden sich an einer Stelle allein 97 „Phobien“. Die Auslegung des Monatsspruchs macht mit Greta Thunberg auf: „Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt.“ Wir kennen und teilen die Angst, zu kurz zu kommen. Die Angst, zu versagen. Die Angst, allein zu bleiben. Die Angst vor der Entblößung, die Furcht vor zu hohen Erwartungen. Die Angst, etwas zu verpassen. Die Furcht, auf der Strecke zu bleiben. Angst vor Strafe. Furcht um den Besitz.
Eine Bildpredigt greift Eduard Munchs Angst-Bild „Der Schrei“ auf, ein psychologischer Psychotherapeut und Kollege nimmt sich des Themas in „Seelsorge im Gespräch an“, auch die biblische „Generationenpredigt“ thematisiert mit Abraham und Isaak eine beängstigende Situation, die in einer exegetischen Miniatur schließlich eigens beleuchtet wird.
Die EKD sieht in der neuen Perikopenordnung für jede der Wochen in der Passionszeit eine Passionsandacht vor. Ich habe diesen Vorschlag aufgegriffen und lade ein, diesen alten Brauch der Passionsandachten als „geistliche Chance“ entweder wieder aufzugreifen oder zu intensivieren.