Der Monatsspruch im November 2019

Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt.
Hiob 19,25

„Ich weiß, dass ich nichts weiß“ soll ein geflügeltes Wort in der Antike gewesen sein. Manche schreiben es Platon oder Sokrates zu. Wer es im Mund führt, auch heute noch, macht deutlich, wie begrenzt sein Wissen ist. Angesichts dessen, was es zu wissen gibt, bleibt das Wissen eines Menschen doch verschwindend gering. Schließlich entwickelt sich mit dem Menschsein auch das Wissen immer weiter, und das weltweite Netz eröffnet noch mehr Möglichkeiten an Wissen und lässt noch leichter einstimmen in den Satz: „Ich weiß, dass ich nichts weiß, weil die Fülle täglich wächst.“ Was beim Wissen so ist, ist erst recht bei den technischen Geräten der Fall. Wer glaubt, ein neues Gerät erworben zu haben, wird morgen feststellen, dass es veraltet ist, ohne jemals alle seine Finessen gewusst oder gar angewendet zu haben.
Bei allem begrenzten Wissen weiß der Mensch doch aber eines: „Ich muss sterben.“ Oder anders ausgedrückt: „Nicht nur mein Wissen ist begrenzt, sondern auch meine Lebenszeit.“ Mag es der Mensch auch manches Mal verdrängen oder eben wissen, dass alle sterben müssen, nur die eigene Person scheint doch der Sterblichkeit enthoben. „Alle sind sterblich, nur ich nicht.“ Dabei weiß doch ein jedes Kind, dass der Tod zum Leben dazugehört. Das Kind mit seinem spielerischen Umgang ist vor allem wohl neugierig, wenn es ein totes Tier am Wegesrand sieht oder auch mal einen Käfer tötet, um zu sehen, wie das ist. Erwachsene Menschen vergessen, was sie von Kindesbeinen an wissen. Sie lernen es aber wieder, weil sie sich von Menschen verabschieden müssen, die ihnen am Herzen liegen, die ihnen fehlen, deren Grab sie aufsuchen – auch im Wissen, dass der Verstorbene dort gar nicht mehr ist. „Ich brauche den Gang zum Grab, auch wenn mein Mann dort gar nicht ist, es hilft mir trotzdem.“
Wirkliches Wissen gründet auf Erfahrung. Der Mensch sieht, dass Menschen sterblich sind, dass der Tod schmerzhafte Wunden ins Leben schlägt und es, weil ja jeder Mensch sterblich ist, eines Tages auch Abschied vom eigenen Leben zu nehmen gilt. Mag der Tod einen Menschen erlösen, ein Leiden beenden, alle aufatmen lassen oder zur Unzeit kommen, es ist sicher, dass er kommt und Leben beendet.
Hiob ist das alles offensichtlich klar. Kinder verloren, Besitz verloren, mit schmerzhafter Krankheit geschlagen, gleicht er nur noch fratzenhaft der Person, die er mal war. Am Ende des Lebens angekommen, weiß er, dass das Leid, der Schmerz, der Tod zum Leben dazugehören, weil er es an Leib und Seele erfahren hat. Er könnte angesichts seines Wissens mit allem abschließen, tatsächlich wie das Häuflein Elend, das er ist, seinem Tod entgegentreten. Doch Hiob weiß mehr. Glaubenswissen trägt er in der Seele mit sich herum, das zwei Quellen hat. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“, heißt sein Wissenssatz, der sich zum einen aus der Geschichte seines Volkes nährt.
Gott ist der lebendige Gott, der sich mit dem Volk auf den Weg in die Freiheit macht, durch die Wüste hindurch. Der Gott, der lebt und selbst das Leben ist und das Leben will, wie er es gleich zum Beginn kundtut. Das weiß Hiob, weil er es von Kindesbeinen an gesagt, vorgelebt, erzählt bekommen hat. Es wäre aber leeres Wissen, wenn nicht ein Zweites hinzugekommen wäre. Glaubenserfahrung, die dann in so einem Satz gipfelt: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ In seinem Leben mit allen leidvollen Erfahrungen muss er Begegnungen mit Gott erlebt haben, die ihn den Satz sprechen lassen und vermutlich auch sein Verhältnis zum Tod verändert haben. Erfahrungen, die ihm deutlich machen: Gott lebt über meinen Tod hinaus. So wie er mir im Leben begegnet, so wird er mir im und nach dem Tod begegnen. Als Erlöser. Als derjenige, wie es das hebräische Wort goel nahelegt, der das geschehene Unrecht wieder in Ordnung bringt und mit mir verbunden bleibt.
Ich bin dein Gott und ich bin für dich da, das ist die Selbstvorstellung Gottes. Sie gilt im Leben und erst recht übers Leben hinaus. Vielleicht lässt sich ja in dem Wissen, das sich auch aus dem Blick ins eigene Leben nähren kann, mit anderen Schritten im November an die Gräber der Lieben gehen, und vielleicht leuchtet so ja auch die eigene Sterblichkeit in einem anderen Licht. „Ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ich weiß doch, dass mein Erlöser lebt. Mehr geht nicht.“

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