"Öffentlich glauben" – Anrufbeantworter – gutes Gewissen

Manche werden denken: Das geht nicht zusammen - Anrufbeantworter und gutes Gewissen. Doch das Problem reicht tiefer …
Als ich meinen Dienst als Gemeindepfarrer beendete, da fiel erst einmal eine große Last von mir ab. Denn ich habe den eigenen Anspruch schon sehr ernst genommen. Und ich war ziemlich leer. Und dann gab es innerhalb der Kirche ungute Strukturdiskussionen. Aber nicht einen einzigen echten - für mich glaubwürdigen - Austausch über den Glauben.
Ich habe im Kirchengemeinderat eine Gebetsgemeinschaft angeregt. Die Anregung verlief im Sand. Ich habe unter den drei oder vier Kollegen in Wiesloch alle vier Wochen eine morgendliche gemeinsame Andacht angeregt. Das ist gelungen und wäre noch ausbaufähig.

Es waren nach dem Umzug nur wenige Tage, dann wurde mir klar, was mir fehlt. Mir fehlten die Menschen.
Ich hatte genug zu tun. Ich arbeitete an den PASTORALBLÄTTERN, an Büchern, saß an meinem Schreibtisch, hatte gelegentlich Zeit, einen halben Tag nichts zu tun - aber ich bekam neu Angst um meinen Glauben.

Das hatte mit einem zu tun: Mein Glaube entwickelt, formt sich und nährt sich in und aus der Begegnung mit Menschen. Ich kann sagen: Predigend entsteht und wächst mein Glaube. In der Seelsorge tröstend entsteht und wächst mein Glaube.

Ich schließe von mir auf andere: Die wesentlichste Kompetenz eines Menschen, der professionell andere Menschen ein Stück Wegs auf deren Heimweg begleiten soll oder darf, die wesentlichste Kompetenz ist die Offenheit für Begegnungen, die Offenheit für den Ernst des Zweifels und des Glaubens anderer. Das ist für mich das Zentrum des dritten Glaubensartikels.
Matthew Fox, der amerikanische katholische Theologe, schrieb 1991:
„In diesen letzten Tagen des zwanzigsten Jahrhunderts kommen mir vier Bilder der Kirche. Das erste stammt von einer Frau, die jahrelang unter den Prostituierten in den Straßen von Chicago gearbeitet hat. Sie wurde gefragt, ob sie bei ihrer Sorge für diese Frauen kirchliche Unterstützung erhalten hätte. ,Nein, niemals‘, antwortete sie. ,Was halten Sie von der Kirche?‘, wurde sie dann gefragt. Ihre Antwort war: ,Ich sehe die Kirche als eine sehr, sehr alte Großmutter, die nicht mehr so gut sieht, nicht mehr so gut hört und nicht mehr oft aufsteht. Sie hängt zu sehr am Leben. Auch wenn wir sie sehr liebhaben, sollten wir sie doch sterben lassen.‘“ (Vision vom kosmischen Christus, Stuttgart 1991, S. 47)
Was ist das Großmütterliche an dieser Kirche?
Sie ist geplagt von dogmatischen Richtigkeiten, sie ist negativ bestimmt durch Rechthaberei und Schlamperei. Durch endlose Strukturdiskussionen. Durch eine permanente Nabelschau. Durch Stellenkürzungen und Sprachlosigkeit.
Da ist keine Kraft mehr, den spirituellen Aufgaben gewachsen zu sein.
Wo gibt es Situationen Herz an Herz, Seele an Seele? Wie oft sitzen wir unter Kolleginnen und Kollegen beieinander, gleichen nicht unsere Zweifel oder unseren Glauben ab, sondern unsere Terminkalender. Warum eigentlich? Wir treffen uns, wir haben einen gemeinsamen Termin - aber wir begegnen uns nicht.

Warum brauche ich ei­gentlich den Glauben an Gott?
Weil ich mich gut genug kenne. Ich möchte vermeiden, dass ich mich eines Tages wiederfinde, wie ich kleine Steine in den Teich hinter unserem Haus werfe und träume, das sei das Meer.
Der Glaube an Gott nimmt mir die Illusion über mich und gibt mir dafür eine Utopie, die jetzt schon Kreise zieht und hier und dort etwas bewegt. Und es ist sehr er­mutigend, hier und dort auf Menschen zu treffen, die sich auch nicht mit Gartenteichen zufriedengeben, sondern die Horizontlinie im Auge haben.

Sören Kierkegaard betet:
„Herr, gib uns blöde Augen
für die, die nichts taugen,
und Augen voller Klarheit
für alle deine Wahrheit.“

Ich habe den gleichen Spruch schon von Nikolaus von Zinzendorf gelesen, von einem katholischen Theologen des 19. Jh., Johann Michael Sailer, ich habe auch gelesen, er sei spätmittelalterlich.

Ich habe eine riesige Hochachtung vor aller menschlichen Erfahrung mit Sinn und Gott. Das erfordert eine andere Kirche als bisher.
Kirche sitzt nicht mehr thronend auf der spirituellen Kompetenz.
Sie ist eine von vielen, die von Erfahrungen mit Gott erzählt.
Mehr können wir nicht.
Kirche ist nicht mehr der „Tempel“. Kirche ist das „Zelt“.
Kirche ist nicht mehr das „Ziel“. Kirche ist der „Weg“. Besser noch: „Kirche als Herberge auf Zeit“. Kirche ist der „Weg zu …“.
Kirche als eine „Gemeinschaft, die zwischen den Milieus unterwegs ist“. Die Nachfragen provoziert und eine geistliche Dimension offen hält, die für viele nicht mehr existiert.

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