Die Vielfalt ist ein Hinweis, achtsam zu sein

In den Tagen Ende Oktober, in denen ich die Februar-Nummer der PASTORALBLÄTTER zusammenstelle, das Editorial schreibe und mich freue, wie inspirierend junge und ältere Autorinnen und Autoren schreiben und wie vielseitig und praxisrelevant deshalb unsere Zeitschrift auch im 156. Jahrgang ist, scheint mir unser Land ziemlich diffus.

Einem muslimischen Freund habe ich geschrieben: „Gott hat uns unterschiedliche Sprachen und gelegentlich auch Hautfarben gegeben. Ich denke, das war Absicht, nicht Zufall. Er wollte, dass wir einer auf den anderen achthaben. Das geht bei uns begrenzten Menschen wohl nur mit unterschiedlicher Hautfarbe, unterschiedlichen Sitten, auch unterschiedlichen Religionen. Also ist die unterschiedliche Grammatik, Sprache und Religion vielleicht nur ein Hinweis darauf, achtsam zu sein ...“
Begegnung der Kulturen? Eine kleine Episode: Yang, unser häufiger, gewiefter, geschäftstüchtiger und kundiger Reiseleiter, versucht nach einem evangelischen Gottesdienst in Peking im Gespräch mit der chinesischen Pfarrerin und Gemeindevertretern unsere Fragen nach Finanzierung, Konfirmandenunterricht, diakonischem Handeln und Gemeindekreisen zu übersetzen.
An zentraler Stelle will das nicht gelingen.
Ein Teilnehmer fragt, auf welche Weise sie das Abendmahl feiern.
„Ach, Sie meinen, was sie beim Abendessen essen?“
„Nein, Abendmahl. Feier in der Kirche. Mit Brot und Wein.“
Es gibt keine Verständigung.
Er sucht nach Analogien, z. B. Mahlzeiten für Bettler.
Auch das ist nicht das Richtige.
„Nein, wenn es ganz festlich ist in der Kirche, beim Gottesdienst, dann essen die Christen etwas Brot und trinken etwas Wein. Das ist eine ganz wichtige Feier.“
Plötzlich geht ein Strahlen über Yangs Gesicht. Er hat verstanden.
„Ah“, sagt er, „ich verstehe, Sie meinen ein feierliches Bankett in der Kirche!!“

Ich weiß nicht, wie unser Land im Februar „aufgestellt“ ist. Jedenfalls in den Tagen Ende Oktober, in denen ich die Februar-Nummer der PASTORALBLÄTTER zusammenstelle, das Editorial schreibe und mich freue, wie inspirierend junge und ältere Autorinnen und Autoren schreiben und wie vielseitig und praxisrelevant deshalb unsere Zeitschrift auch im 156. Jahrgang ist, scheint mir unser Land ziemlich diffus.
Selbst die Medien bringen kein Licht ins Dunkel der sogenannten „Flüchtlingskrise“, eher sorgen sie noch für die eine oder andere Nebelkerze.
Die Kirchen - so hoffe ich - tun ihren Dienst. Die Medien berichten darüber nicht oder nur am Rand.
Schon als junger Vikar las ich irgendwo eines der geflügelten rabbinischen Worte, ich weiß nicht mehr wo:
Es kam einmal ein Schüler zum Rabbi. Kundig der Bücher, gelehrt in den Schriften, doch verzweifelt an Gott: „Rabbi, wie sehr ich mich auch mühe, Gott zu finden - allein, ich finde ihn nicht.“ Der Rabbi schaute ihn lange an und sprach dann: „Wenn du Gott suchst, musst du dich tief bücken.“

Was unseren Gott von den vielen anderen Göttern unterschei­det: seine Leidenschaft, seine Leidensbereitschaft. Andere Götter schleudern Blitze aus der sicheren Distanz des Unbeteiligten, erlas­sen wohlklingende, in Verse gefasste Befehle aus irgendwelchen Höhen, und verkünden Weisheiten aus dem Thronsaal des Unange­fochtenen.
Unser Gott ist angefochten. Bei olympischen Götterspielen wird unser Gott nicht siegen. Er hält sich nicht an die Spielregeln. Er mischt sich vor dem Anpfiff unter die Verlierer. Unser Gott erscheint auf der Siegerliste unter „ferner liefen“. Weil er sich dort aufhält, wo die Namenlosen laufen, die, die das Fernsehen nicht mehr zeigt, weil längst abgedreht ist. Bei denen, die sich zwischen die Stühle setzen, die sich den Mund ver­brennen, die unter die Räder kommen, manchmal auch unter Pan­zerketten, manchmal unter die Wölfe.

Er hat eine Misbaha in der Hand, trägt immer noch ein weißes Gewand. Bleibt sitzen, wenn man ihn aufruft, und betet, wenn man ihn anspricht.
Er sitzt auf der glatten Bank in irgendeinem Wartezimmer. Hat die Nummer nach mir gezogen. Und ich komme nicht einmal dazu, zu fragen, wie es ihm ging. Er hatte ja die Nummer nach mir, irgendwas nach 450.
Sie lehnt am Zaun und sagt: Ich gehe mit dem Kind keinen Schritt weiter. Er sagt: Sie müssen weitergehen. Erst da vorne werden Sie registriert. - Registriert? - Sie erhalten eine Nummer. - Ich will keine Nummer. Ich will auch keine Nummer für mein Kind! - Er sagt: Bitte! - Sie sagt: No! - Er sagt: Bitte! - Sie reißt sich weg. Kein Blick zurück. Nur ein Tuch im Wegdrehen. Vielleicht ein Fluch, ein elendes Stöhnen. Sie wendet sich weg. No!

Ob Gott nur die Sprache der Opfer spricht? Und wo stehen/bleiben dann wir?
Ob Gott nicht die verschiedenen Sprachen, Kulturen und Religionen geschaffen hat, damit wir achtsam werden und uns besser verstehen?
Gott ist kein Unbeteiligter. Gott ist - in Jesus Christus - ein Opfer. Ob Gott nicht die verschiedenen Sprachen, Kulturen und Religionen geschaffen hat, damit wir achtsam werden und uns besser verstehen?

Der mir liebste italienische Schriftsteller Erri de Luca schreibt: „Ich glaube nicht an die Schriftsteller, aber ich glaube an ihre Geschichten.“ (Der Himmel im Süden, Reinbek 2002, S. 54) Ich wünschte, ein solcher Satz würde in unserer Kirche mehrheitsfähig.

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