"Schön machen" oder "beschönigen"?

Der Mai ist der Monat, an dem die Menschen wohl am häufigsten davon reden, es sei „schön“: das Leben, die Natur, die Liebe. Die Fröste sind vorbei, spätestens nach den „Eisheiligen“. Die Schöpfung ist nicht mehr nur „aufbruchsbereit“, sie bricht auf. Oft habe ich gesagt, es sei eine zentrale homiletische Aufgabe, Gott „schön zu machen“. Mir ist keine bessere Formulierung eingefallen. Ich habe dafür biblische Gründe: In der Weisheit Salomos 13 lesen wir: „Es wird an der Größe und Schönheit der Geschöpfe ihr Schöpfer wie in einem Bild erkannt.“ Und weiter: „Denn der aller Schönheit Meister ist, hat das alles geschaffen.“ - „Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich“, beginnt der Psalm 104 sein Schöpferlob. Und fährt fort: Gott, „du bist schön und prächtig geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast.“ In der Berufungsvision des Jesaja (Jesaja 6,1-4) finden wir ähnliche Gedanken, so auch in der Vision des Johannes (Offenbarung 4,1-6): Staunen über die „Wucht“ der Schönheit Gottes.
Die Dichter unserer Kirchenlieder ließen sich anstecken von solchen Gedanken: Was wird in Hoffmann von Fallerslebens „Schönster Herr Jesu“ (EG 403) alles aufgeboten an Schönheit: die Wälder, die Felder, die Frühlingszeit, junge Menschen, Blumen, Mond und Sterne. Doch alles Schöne verblasst oder wird überboten von der Schönheit Jesu.
Philipp Spitta dichtet (EG 510):
„Freuet euch der schönen Erde,
denn sie ist wohl wert der Freud.
O was hat für Herrlichkeiten
unser Gott da ausgestreut.
Und doch ist sie seiner Füße
reich geschmückter Schemel nur,
ist nur eine schön begabte,
wunderreiche Kreatur. …
Wenn am Schemel seiner Füße
und am Thron schon solcher Schein,
o was muss an seinem Herzen
erst für Glanz und Wonne sein.“
Kann ein Mensch überhaupt „Gott schön machen“? Da tut sich ein Feld auf, das protestantischen Theologinnen und Theologen, geimpft mit der kopflastigen „Schultheologie“, höchst suspekt ist. Haben wir doch unsere Gefühle unter dem Talar verborgen. Wenn ich es recht erinnere, dann hat nur Rudolf Bohren in seiner erfrischenden Art die Schönheit Gottes in den Titel eines theologischen Werkes übernommen: „Dass Gott schön werde - Praktische Theologie als theologische Ästhetik“.
Ähnlich nun auch Albrecht Grözinger in seinem Beitrag „Reden von Gott in der Predigt …“ in dieser Ausgabe der PASTORALBLÄTTER (S. 393): „Gott ist der große Luxus des menschlichen Lebens“, wobei Grözinger diesen Satz nicht ästhetisch begründet. Mir waren vor drei Jahrzehnten solche Gedanken fremd. 1968 half ich mit, alles bisher „Schöne“ aus unserem Studentenwohnheim zu verbannen und durch Diskussionen zu ersetzen. Keiner von uns - auch wenn Habermas und Marcuse gedanklich viele Schritte weiter waren - hatte „Schönheit“ im Blick. Ästhetik war für uns „68er“ kein Thema. Zu sehr wehrten wir uns dagegen, dass etwas „beschönigt“ wird. Heute weiß ich: Ich möchte Gottes Schönheit erfahrbar machen als Seelsorger, weil die wunden Seelen sich nach der Schönheit Gottes sehnen. Ich will dabei nicht das Elend „beschönigen“, will keinem etwas vormachen.
Als ich diese Gedanken schreibe, lenken mich die schrecklichen Bilder aus der Ukraine von den schönen Bildern der Olympischen Winterspiele massiv ab. So ist es bei jeder Reise, bei manchem Film oder bei Nachrichten und Talkrunden: Ich spüre den Verdacht der „Beschönigung“. Da wird etwas „schön geredet“, was tatsächlich hässlich oder „unrecht“ ist. Heute weiß ich ein Zweites: Meine „ästhetischen Kriterien“ sind „übergänglich“. Als kritischer Deutscher hätte ich damals nicht nur wissen müssen, dass die Generation der Eltern ganz anderen Kriterien aufgesessen war als die Generation der Großeltern. Auch dass wir selbst uns nur von „Vorläufigkeiten“ leiten lassen. Unsere Kinder, erst recht unsere Enkel werden anders sehen, anders hören und anderes „schön“ finden als wir.

„Schön machen“ ist nichts anderes als lieben. Liebe will eins sein. Liebe lebt vom Einklang. Lieben ist die kreativste Gabe, die uns geschenkt ist.
Rabbi Aaron von Karlin gab folgenden Rat:
„Wenn die Chassidim zusammenkommen, sollten sie den Sohar studieren, denn darin sind die Geheimnisse der Schöpfung und der Endzeit verborgen. Wenn sie dazu nicht fähig sind, mögen sie den Talmud aufschlagen und sich gemeinsam eine Seite vornehmen; auf diese Weise gelangen sie bis zu den Weisen und den Richtern. Wenn auch das zu schwierig für sie ist, sollten sie die Thora lesen, die Quelle aller Wahrheiten. Wenn sie die heilige Sprache nur schlecht verstehen, sollen sie sich chassidische Geschichten erzählen. Und wenn sie sich an sie nicht erinnern können, wenn sie sie nicht zu erzählen wissen oder nicht imstande sind zuzuhören, wohlan, dann sollen sie einander lieben.“ (Eli Wiesel, Geschichten gegen die Melancholie, Freiburg 1994, S. 8)
Wir lieben es als Erwachsene, die Dinge aus der Distanz zu betrachten und nicht wie ein Kind, das noch alle Sinne aufbietet, mit Händen greift, mit dem Mund probiert, mit der Nase riecht und mit den Augen staunt. Das ist uns zu nahe. Und wir fühlen uns überlegen, wenn wir die Welt in Töne und Bilder und Zahlen zerlegt haben. Dabei sind wir ein Teil ihrer Schönheit. Die Auferstehung Jesu ist meine Auferstehung. Der Aufgang der Sonne bedeutet auch für mich den Tag. Augen, die mich anlachen, machen mich schöner.
Natürlich kann ich über die Schönheit Gottes nicht anders singen als in menschlichen Bildern. Franziskus besingt die Sonne, das Wasser, das Feuer. Sollen wir schweigen von Gottes Schönheit, nur weil wir keine passenden Worte finden?
Wenn ein „schöner Gottesdienst“ gefeiert oder ein „schönes Lied“ gesungen wird, entfaltet sich mir die Schönheit dann ganz besonders, wenn ich einstimmen kann. Das ist auch das für unsere Seele so Wichtige an der Schönheit Gottes: Sie überträgt sich, so wie Lachen ansteckt und Freude einlädt.

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