Trauer und Verlust verarbeiten: Wege aus der Trauer

Zunächst ist es ein Schock: Einen geliebten Menschen zu verlieren wird immer schmerzen – doch die Trauer verändert sich und verabschiedet sich mit der Zeit. Trauer ist wichtig und hilft uns, Abschied zu nehmen. Erfahren Sie mehr über den Prozess des Trauerns und wie man ihn wirksam unterstützt.

Trauer verarbeiten
Trauernde brauchen einen Ort, an dem sie ihren verstorbenen Menschen wissen: Hier ist er aufgehoben und bewahrt.© Pixabay

Der Tod eines geliebten Menschen ist schrecklich und lässt uns mit der Frage allein, wie wir unsere Trauer ausdrücken können. Hier finden Sie Anregungen und Impulse aus der Psychologie, wie Sie den Prozess des Trauerns und die Liebe zum Verstorbenen gestalten.

Orte der Trauer und Erinnerung

Viele Trauernde brauchen einen Ort, an dem sie ihren verstorbenen Menschen wissen. Das menschliche Denken findet in räumlichen Dimensionen statt. „Der sichere Ort garantiert die Existenz des geliebten Menschen in unserem Fühlen, Denken und Imaginieren“, betont der Psychotherapeut Roland Kachler in seinem Sammelband Meine Liebe findet Dich. „Deshalb ist das Finden eines sicheren Ortes – meist ist dies das Grab- für die Trauerarbeit so entscheidend.“ Es gilt nicht, die Trauer so schnell wie möglich loszulassen und abzuladen, sondern sich darauf einzulassen und sie Schritt für Schritt zu verarbeiten.

Das Grab: Kommunikation und Konfrontation mit dem Toten

Das Grab ist das erste und wohl älteste Bild des sicheren Ortes, an dem der Verstorbene bewahrt ist. Der Stein hat die Funktion des „Grabwächters”, er schützt die Unverletzlichkeit des besonderen Ortes und sichert mit seiner Schwere die Ruhe des Toten, der in diesem Grab schläft.

Roland Kachler weiß, warum es viele Hinterbliebene immer wieder zu diesem besonderen Ort zieht: „Es ist ein von der übrigen Welt abgegrenzter Raum, in dem für die Angehörigen nicht mehr die physikalischen Gesetze von Raum und Zeit gelten“, so der Trauerspezialist. „Hier bleibt die Zeit stehen, und hier kann der Raum in andere Welten geöffnet und durchschritten werden.“

Seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte war das Grab Durchgangsort für den Verstorbenen und damit Tür zu einer anderen Welt – es handelt sich um einen Ort, an dem Grenzen überschritten und transzendiert werden und deshalb unterscheidet sich das Grab von allen anderen Orten im Leben des Hinterbliebenen. Viele Angehörige machen die Erfahrung, dass am Grab die Kommunikation zwischen den Welten der Lebenden und Toten möglich ist.

Gleichzeitig konfrontiert das Grab die Hinterbliebenen mit dem tatsächlichen Tod des geliebten Menschen: Die über dem Sarg liegende Erde und später der schwere Grabstein machen unerbittlich deutlich, dass der geliebte Mensch wirklich tot ist. Somit fügt jeder Friedhofsbesuch den Hinterbliebenen erneut den Schmerz des Verlustes zu und hilft ihm bei der Verarbeitung der Trauer.

Am Grab hat die Trauer Platz

Roland Kachler hat selbst eine schwere Verlusterfahrung gemacht, als sein Sohn bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. „Wenn ich zum Grab meines Sohnes gehe, bricht meine Trauer heraus, dann weine ich dort“, beschreibt der Psychotherapeut. „Ich spüre: Das ist ein besonderer Ort der Trauer. Ich weine hier in unmittelbarer Nähe zu meinem Sohn. Und ich weiß dann auch, diese Trauer gehört dorthin, und diese Tränen müssen genau an diesem Ort vergossen werden“.

Das Grab wird somit für die Hinterbliebenen zu einem Ort, an dem sie ihrem geliebten Menschen ihre Trauer zeigen und ihre Liebe zu ihm ausdrücken können.

Viele Hinterbliebene berichten, dass sie sich nach einem Grabbesuch erleichtert fühlen: Sie können ihre Trauer dort am Grab lassen und müssen sie nicht ständig als gegenwärtiges Gefühl mit sich herumtragen. Somit bekommt die Trauer ihren eigenen Platz.

„Diese Differenzierung hilft, im Alltag zunehmend auch Zeiten und Situationen ohne Trauer zu erleben, weil man weiß, dass man dem Verstorbenen seine Trauer ganz ausdrücklich am Grab zeigen kann. Sie hat mehr und mehr dort ihren Platz, weil sie ihn dort findet“, so Roland Kachler.

Orte der Erinnerung an den Verstorbenen

Natürlich können die Hinterbliebenen den Verstorbenen nicht nur am Grab nahe sein, sondern auch an vielen anderen konkreten Orten. Auch diese zeichnen sich durch die doppelte Erfahrung aus: einerseits das schmerzliche Bewusstsein über den Verlust des geliebten Menschen und andererseits die intensiv erlebte Nähe. Besondere Orte des gemeinsamen Zusammenseins können beispielsweise sein:

  • das Zimmer des geliebten Menschen
  • sein Platz am Esstisch
  • Landschaften
  • eine bestimmte Gegend
  • ein bestimmter Spazierweg
  • ein Ferienhaus
  • ein Ferienort

Wenn der Verstorbene durch einen Unfall sein Leben verlor, kann für viele Hinterbliebene auch der Unfallort wichtiger sein als das Grab – es ist der Ort, an dem der geliebte Mensch seine letzten Augenblicke gelebt hat.

In manchen Fällen bleiben diese Orte ein Leben lang für die Hinterbliebenen wichtig, in andern Fällen hingegen lösen sich die Beziehungserfahrungen von den konkreten Orten ab. „Die äußeren Orte werden allmählich im inneren Raum der Seele als Erinnerung repräsentiert. Es genügt dann die Erinnerung an diesen Ort, um in die Beziehung zum Verstorbenen zu gehen“, so Roland Kachler.

Trost in der Natur finden: Zwischen Diesseits und Jenseits

Die Sonne, das Meer, das Gebirge: Die Natur verbindet die Welt der Lebenden und die der Toten. Transzendierende Nähe-Erfahrungen spenden Hinterbliebenen tiefen Trost.

„Asche zu Asche, Erde zu Erde“: Hinter dieser uralten Bestattungsformel steckt das Bild vom Übergang in die Weite und die Tiefe der Natur. Der Verstorbene ist eins mit der Natur geworden, er lebt in ihr weiter. Diese Vorstellung spendet Trauernden Trost und Kraft, denn so können sie in der Natur mit dem geliebten Menschen verbunden sein.

Nähe spüren in der Natur

Manche Hinterbliebene erleben, dass die ganze Natur für Augenblicke den Verstorbenen abbildet und repräsentiert. „Der sichere Ort für den Verstorbenen ist in diesen Erfahrungen nun nicht mehr der konkrete Platz des Grabes, sondern die Natur selbst“, erklärt der Psychotherapeut und Trauerspezialist Roland Kachler.

Natur kann Erinnerungen an gemeinsame Erfahrungen und die Nähe zum Verstorbenen hervorrufen. Die Sonne, das Meer, das Gebirge und andere Eindrücke. Die Hinterbliebenen erleben bestimmte Naturphänomene als Hinweise auf die ganz andere Welt, in der der Verstorbene weilt. Gleichzeitig verbindet die Natur die Welt der Lebenden und die der Toten. Solche transzendierenden Nähe-Erfahrungen spenden Hinterbliebenen tiefen Trost.

Himmel, Meer, Erde, Licht: An der Grenze zwischen Diesseits und Jenseits

Roland Kachler weiß, welche Orte Trauernde immer wieder für ihre Verstorbenen auswählen: den Himmel, die Sterne, das Meer, die Mutter Erde, den Sonnenuntergang oder das Licht. Es handelt sich um sichtbare und greifbare Orte, die aber zugleich unendlich weit entfernt oder ungreifbar sind. So machen sie für den Hinterbliebenen auch die schmerzliche Ferne des Verstorbenen deutlich.

Die Ferne dieser Orte zeigt auch, dass sie an der Grenze zwischen unserer und der ganz anderen Welt, einer jenseitigen und transzendenten liegen. Auch in religiösen und mythischen Traditionen verweisen Naturphänomene immer schon symbolisch auf eine Welt jenseits der objektiven Natur. Sie sind nicht nur objektive Naturereignisse, sondern zugleich archetypische Bilder aus dem Unbewussten unserer Seele.

Alles ist mit allem verbunden

Der Verstorbene als Stellvertreter der Natur? Das können sich manche Hinterbliebene hingegen nicht vorstellen – ihr naturwissenschaftliches Weltbild lässt dies einfach nicht zu.

Hier können Gedanken aus der modernen Physik weiterhelfen: Alle Materie ist Energie, die in den Elementarteilchen bis hin zu den Strings schwingt. Unsere Realität ist also nichts anderes als ein vielfach verwobenes Muster von Energiezuständen, in das auch wir verwoben sind. Alles ist mit allem verbunden, und alles hat auf alles eine Wirkung. „Auch der Verstorbene hat mit seiner Energie, mit seinem Leben, mit seinen Gedanken und Gefühlen Spuren im Energiemuster des Universums hinterlassen. Er ist somit aufgehoben im Energiemuster des Universums und ist unauslöschlich Teil des Ganzen, mit dem wir als Hinterbliebene ebenfalls verbunden sind“, so Roland Kachler.

Trauer mit Hilfe von Kreativität verarbeiten

Eva Terhorst beschreit in ihrem Buch Das Erste Trauerjahr, wie hilfreich kreatives Arbeiten im Trauerprozess sein kann. Ein paar Tipps von der Expertin:

  • Konkretes Verarbeiten des Erlebten mit therapeutischer Begleitung. Zum Beispiel Malen, Schreiben, Bildhauern
  • Für sich allein kreativ werden
  • Collagen oder Patchwork-Decken erstellen aus persönlichen Dingen wie Fotos oder Kleidung des Verstorbenen
  • Erinnerungsstücke anfertigen lassen von anderen (zum Beispiel ein Schmuckstück)
  • Kreativkurse zu neutralen Themen besuchen – so kann man unter Leuten sein, die nichts vom Trauerhintergrund wissen und einen nicht mit Samthandschuhen anfassen.

Die Trauer loslassen

Einen geliebten Menschen zu verlieren wird im Leben der Hinterbliebenen immer schmerzen - doch die Trauer verändert sich und verabschiedet sich mit der Zeit.

Mit der Zeit wird die Trauer leichter und milder: Gegen Ende des zweiten, oft aber auch erst zum Beginn des dritten Trauerjahres wird es Augenblicke geben, in denen die Trauer zurücktritt. Die Hinterbliebenen können sie mit der Zeit loslassen und bleiben in einer liebenden Beziehung zum Verstorbenen. „Anfangs ist die Trauer eine Form der Liebe“, so Roland Kachler. „Auf Dauer aber ist es die Liebe selbst, die die bleibende Beziehung zum Verstorbenen bewahrt, nicht mehr die Trauer an sich“.

Die „Erlaubnis“ ohne Trauer zu leben

Bevor Angehörige jedoch bereit sind, ihre Trauer loszulassen, brauchen sie die Gewissheit, dass der Verstorbene es ihnen „erlaubt“. Dies erfordert einen inneren Prozess: Trauernde gehen in das innere Gespräch mit ihrem geliebten Menschen und fragen ihn, ob sie nun von ihm aus ihre Trauer loslassen können. Außerdem brauchen sie das Wissen, dass es dem Verstorbenen an einem sichern Ort gut geht. Erst wenn sie diese Sicherheit haben, können sie ihre Trauer gehen lassen. Auf diese Weise haben sie die „Erlaubnis“ ohne Trauer leben zu dürfen, da der geliebte Mensch auf seine Weise an seinem Ort glücklich ist.

Rebellion gegen die Trauer

Irgendwann im Trauerprozess entsteht eine innere Schranke – die Angehörigen trotzen der Trauer und rebellieren gegen sie und sagen sich: „Ich will nicht mehr trauern!“ Manche erschrecken zunächst über diesen heftigen Impuls. Doch er zeigt, dass in den Trauernden nun die Seite wieder stärker wird, die leben will, und zwar leicht und unbeschwert, und das ist ein berechtigter Wunsch. „Es ist der Wunsch, den Verstorbenen ohne Trauer zu lieben“, so Psychotherapeut Roland Kachler.

Die Hinterbliebenen treten ihrer Trauer jetzt entgegen, sind stärker als sie und bieten ihr energischen Einhalt. Diese Erfahrung ist ein wichtiger Wendepunkt im Trauerprozess: Die Betroffenen können ihrer Trauer zunehmend Grenzen setzen und spüren wieder die Kraft des Lebens in sich.

Die Trauer tritt zurück, die Liebe bleibt

Je mehr die Trauer ihre Arbeit in der Verlustsituation getan hat, desto mehr nimmt sie sich zurück. Anfangs geschieht das zeitweise, dann verlängern sich die Phasen.

  • Trauernde wenden sich immer öfter alltäglichen Pflichten und Dingen zu
  • kleine Erfolgs- oder Freudeerlebnisse werden häufiger
  • Der Trauernde lächelt oder lacht vielleicht wieder
  • Der Trauernde erzählt ohne Trauer vom Verstorbenen
  • die Kleidung wird wieder heller

All dies sind kleine Handlungen, die für den Trauernden meist unbemerkt bleiben, doch sie zeigen, dass die Trauer zurücktritt.

Das eigene Leben wieder annehmen

Jetzt kann die Liebe zum Verstorbenen leichter und lebendiger werden, denn sie besteht nun ohne die Schwere oder das Dunkle der Trauer. „Gegen Ende des Trauerweges ist es sinnvoll, sich noch einmal bewusst für das jetzige Leben und das eigene Leben zu entscheiden“, rät Roland Kachler. Genau diese Entscheidung würde der geliebte Mensch seinen Hinterbliebenen auch wünschen. Wenn sich Trauernde für diesen Weg entscheiden, leben sie ihr Leben für sich und für den geliebten Menschen, indem sie zum Beispiel etwas von ihm als Vermächtnis und als Aufgabe weiterleben.

Der Hinterbliebene kann das eigene Leben allmählich wieder leben und doch mit dem geliebten Menschen verbunden bleiben.

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