Jingle: Gemeinsam wachsen, gemeinsam lernen. Willkommen beim Podcast von Kleinskinder in Kita und Tagespflege.
Katrin Imbery: Hallo, mein Name ist Katrin Imbery. Ich bin Redakteurin bei Kleinstkinder in Kita und Tagespflege und ich begrüße heute die Erziehungswissenschaftlerin und Professorin für Kindheitspädagogik Julia Höke zum Gespräch. Liebe Frau Höke, erstmal ganz lieben Dank, dass Sie sich heute ein bisschen Zeit nehmen für diesen Podcast. Wir wollen sprechen über das Spiel der unter Dreijährigen.
Prof. Höke: Freue mich auch sehr über die Gelegenheit, dass wir heute noch mal ins Gespräch gehen.
Host: Im Fachthema neuen Kleinstkinder-Ausgabe beschreiben Sie sehr anschaulich, wie sich wichtige Entwicklungsprozesse spielerisch und auf Eigeninitiative der Kinder vollziehen oder einfacher ausgedrückt: Spiel und Entwicklung der jüngsten sind untrennbar miteinander verbunden. Ihrem Entwicklungsstand entsprechend, durchlaufen Kinder deshalb eben auch in der Regel bestimmte Spielphasen, von ersten Erkundungen eines Säuglings mit seinen Händchen bis zu komplexen Symbol- und Konstruktionsspielen im dritten Lebensjahr. Lassen Sie uns das noch ein bisschen genauer betrachten. Ich würde Sie gerne fragen, welche Rolle spielen die bereits entwickelten Fähigkeiten eines Kindes für sein Spiel oder andersrum gefragt, was können Fachkräfte durch das Spielverhalten eines Kindes über seinen Entwicklungsstand erfahren?
Prof. Höke: Wenn ich Kinder im Spiel beobachte, sehe ich zum einen sehr gut, was beschäftigt das Kind gerade, wofür interessiert es sich, welche Dinge werden aufgegriffen, für welche Materialien interessiert es sich. Und ich kann da gut erkennen, was die Interessen und Bedarfe des Kindes sind, und wie tatsächlich sein Entwicklungsstand ist. Also, was schafft das Kind schon, z.B. im Konstruktionsspiel? Baut es in die Vertikale oder in die Horizontale? Werden da schon Türme gebaut? Wird das Konstruktionsspiel auch angereichert, indem das Kind schom erste Rollenspielansätze zeigt? Also, dass es die Bausteine nicht nur stapelt, sondern da schon z. B. gewisse Wörter fallen. Ich kann also auf den Ist-Stand der Entwicklung gucken und das lässt sich dann eben auch gut verknüpfen mit dem Thema Beobachtung und Dokumentation, wo es ja darum geht, Entwicklungsstände in ganz unterschiedlichen Bereichen zu erfassen. Und gerade im Spiel ist das Schöne, dass ja sehr viele Entwicklungsbereiche angesprochen werden. Also, ich kann Sprachentwicklung sehen, ich kann aber auch motorische Entwicklung sehen, gerade die Feinmotorik. Ich kann erste soziale Verhaltensweisen des Kindes beobachten und gleichzeitig, und jetzt komme ich zu der zweiten Perspektive, setzen sich Kinder im Spiel ja auch neue Herausforderungen. Also, man kann auch gut sehen, dass Kinder sich weiterentwickeln. Sie probieren neue Dinge aus, also z.B. im Konstruktionsspiel, wenn die Kinder eben von der Vertikalen in die Horizontale bauen oder im motorischen Spiel, wenn sie sich nach dem Laufenlernen selbst Balancieraufgaben stellen.Und da kann ich quasi sehen: Was ist denn die Zone der nächsten Entwicklung? Welcher Herausforderung stellt sich das Kind jetzt für den nächsten Entwicklungsschritt.
Katrin Imbery: Sie haben gerade gesagt, dass aucherste soziale Entwicklungsschritte zu beobachten sind. Kinder unter drei spielen ja erstmal noch eher nebeneinander als mit miteinander. Wie fördert das Spiel dennoch die soziale Entwicklung?
Prof. Höke: Ich reibe mich tatsächlich persönlich immer ein bisschen an diesem Begriff des Parallelspiels. Der hat sich ja so in der Fachliteratur durchgesetzt, weil man eben feststellt, dass Kinder sich mit dem gleichen Spielmaterial beschäftigen, aber jedes Kind für sich bleibt. Und bei vielen Spielmaterialien, die es so gibt im U3 Bereich, also ich denke jetzt z.B. an Aktionstabletts oder Aktionswannen, da wird auch hervorgehoben, dass es wichtig ist, dass jedes Kind sein Material hat, damit es nicht zu Konflikten zwischen den Kindern kommt. Gleichzeitig kann man, wenn man sich darauf einlässt und Kinder dabei beobachtet, sehen, dass die Kinder durchaus auch schon in Interaktion sind, auch wenn sie nicht miteinander spielen. Dass sie sich gegenseitig beobachten, dass sie gucken, wie geht denn das andere Kind mit dem Material um, dass sie sich gegenseitig anregen, dass sie auch Blickkontakt zueinander suchen und dass das kein völlig unabhängiges Spiel voneinander ist.
Katrin Imbery: Was mich auch interessieren würde, ohne jetzt irgendwelchen Stereotypen Vorschub leisten zu wollen: Gibt es Unterschiede in der Art und Weise, wie Jungen und Mädchen spielen in dem Alter?
Prof. Höke: Also, es gibt sicherlich unterschiedliche Spielthemen und auch unterschiedliche Herangehensweisen, wie Kinder auf Materialien zugehen. Und da lässt sich das eine oder andere sicherlich auch mit dem Thema Geschlecht verkörpern, wobei ich mich schwertue, damit zu sagen, das hat jetzt wirklich eine biologische Grundlage, Es hat eher auch damit zu tun, dass Kinder natürlich sehr früh die Erfahrung machen, dass ihnen unterschiedliche Spielmaterialien angeboten werden. Und auch wenn es heute sicherlich nicht mehr so stereotyp ist, wie ich es in meiner eigenen Kindergartenzeit erlebt habe, kann man schon in Studien zeigen, dass das, was wir Kindern aktiv anbieten, häufig noch bestimmten Geschlechtsstereotypen folgt oder dass wir Kinder, wenn sie sich nicht, aus unserer Sicht quasi entsprechend, einem Spielthema zuwenden, häufig nicht so intensiv begleitet werden. Und das ist natürlich etwas, was dann auch wieder ein bestimmtes Spielverhalten bei den Kindern reproduziert. Also Kinder suchen ja im Spiel durchaus auch den Kontakt zu uns Erwachsenen über Blickkontakt, um sich rückzuversichern, ich bin in einer sicheren Umgebung. Das, was ich gerade tue, wird auch gesehen und wahrgenommen. Und da sind Kinder sehr feinfühlig und sehen, was ist denn hier auch ein erwünschtes Verhalten von mir. Sie suchen natürlich auch nach Situationen, wo sie Bestätigung bekommen.
Katrin Imbery: Welcher Ratschlag würde sich daraus schließen lassen? Ich höre es schon so implizit raus, aber was würden Sie Fachkräften da gerne mitgeben, was diese geschlechtssensible Spielbegleitung betrifft?
Prof. Höke: Also, das betrifft sicher nicht nur die geschlechtssensible, sondern generell auch eine sensible Spielbegleitung, dass ich mich eben immer wieder auch selbst reflektiere und z. B. überlege, wie habe ich mich heute in der Freispielphase positioniert, wo habe ich mich hingesetzt, mit welchen Kindern habe ich gesprochen, auf welche Spielsituation habe ich mich eingelassen und welche Spielsituation hatte ich gegebenenfalls nicht so sehr im Blick. Und wenn ich das kontinuierlich mache, dann komme ich eben auch bestimmt Mustern ein bisschen auf die Schliche. Und besonders gut ist es natürlich, wenn ich dann auch noch im kollegialen Austausch bin, dass man sich gegenseitig Feedback holt und zu schauen, wie begleiten wir tatsächlich diese Spielsituation, was ist uns da besonders wichtig und was fällt mir vielleicht auch bei anderen Kolleginnen in dieser Spielbegleitung auf? Man sieht das ja häufig schneller bei anderen als bei einem selbst.
Katrin Imbery: Was würden Sie raten, wenn in der Beobachtung des Spiels von Kleinkindern plötzlich Themen auftauchen, die Anlass zur Sorge bieten?
Prof. Höke: Also, es st natürlich immer gut, sensibel zu schauen, was thematisieren Kinder auch von sich aus im Spiel. Welche Themen greifen sie auf, was reproduzieren sie? Also, wir haben ja im Spiel auch immer diese doppelte Perspektive. Einerseits lebt das Spiel natürlich auch von Kreativität, von Fantasie. Kinder tauchen dabei in Fantasiewelten ein. Je älter sie werden, desto intensiver und desto breiter ist das auch. Und gleichzeitig ist das Spiel eben auch immer damit verknüpft, dass es eine Kompensationshandlung ist, also dass ich da unverarbeitete Erlebnisse, Erfahrung verarbeite und diese eben reproduziere. Und was sicher auch schon im U3-Bereich ein Thema sein kann, ist Gewalt im Spiel. Also, wenn ich beobachte, dass Kinder gewaltvolle Auseinandersetzungen, Krieg, Konflikte thematisieren, die sie dann eben auch entsprechend mit Gewalt lösen, wenn auch nur im Spiel. Dann kann ich mich natürlich fragen, wo kommt das her und an welchen Stellen taucht das auf. Aus unserer pädagogischen Sicht ist Gewalt im Spiel etwas, was wir nicht möchten. Wir wollen gerne die Kinder in ihrer sozialen Entwicklung unterstützen. Wir wollen möglichst früh darauf hinwirken, dass sie lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Und gleichzeitig kann es aber natürlich sein, dass Kinder auch im Spiel Themen reproduzieren, mit denen sie konfrontiert waren. Es kann sein, dass Kinder Gewalt in der Familie erleben und das dann in Spielen reproduzieren oder auch, dass Kinder gewaltvolle Szenen in Medien gesehen haben und diese dann darüber verarbeiten.
Und es ist sehr schwer da so einen pauschalen Ratschlag zu geben, wie damit umzugehen ist. Da muss man natürlich sehr genau schauen und vielleicht mir auch erstmal die Zeit nehmen, in den Austausch mit Kolleginnen zu gehen und über eine längere Zeit beobachten, ob das immer wieder vom Kind reproduziert wird. Und dann wäre es sicher gut, auch mit Elter ins Gespräch zu gehen. Ich habe selbst die Situation gehabt, dass etwas ältere Kinder mit Fluchterfahrung in einer Einrichtung gewaltvolle Auseinandersetzung nachgespielt haben, die dann das ganze Gruppengeschehen gestört haben. Die sind durch den Raum gelaufen. haben gespielt, dass sie sich gegenseitig totschießen. Da muss man natürlich gucken, was heißt das für die ganze Gruppe und letztendlich gab es da eben auch Gespräche mit den Eltern. Es wurde deutlich, dass die Kinder bestimmte Situationen erlebt haben, die sie über dieses Spiel verarbeiten und man hat dann für die Kinder einen eigenen Spielort geschaffen, wo nicht die ganze Kindergruppe durch ihr Spiel gestört wurde. Aber man wollte eben diese diesen Verarbeitungsprozess der Kinder auch nicht eingrenzen und sagen, ihr dürft es hier nicht spielen, wir wollen das nicht. Das wäre natürlich für diesen Verarbeitungsprozess nicht besonders förderlich.
Katrin Imbery: Also, der von Ihnen geschilderte Zusammenhang von Spiel und Entwicklung, der lässt sich ja pädagogisch sehr vielfältig nutzen. Ein ganz wesentlicher Bereich ist, sie haben das gerade in verschiedenen Zusammenhängen schon angesprochen, ist die Spielbegleitung. Sie schreiben in ihrem Fachthema, dass sich pädagogische Fachkräfte bezüglich der Spielbegleitung eigentlich in einem ständigen Abwägungsprozess befinden. Auf der einen Seite wollen sie den Kindern ermöglichen, sich wirklich eigenständig mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen und wir haben gehört, das ist ja auch einfach sehr wichtig. Andererseits wollen Fachkräfte aber auch Lernprozesse anregen. Und eine gute Balance zwischen beidem zu finden, ist gar nicht so einfach. Damit Fachkräfte Kleinkinder angemessen begleiten können, raten Sie Ihnen dazu, über Ihre persönliche Vorstellung von gelungenem Spiel zu reflektieren. Deswegen meine Frage an Sie; Was sind da die wesentlichen Reflexionsfragen und wie beantworten Sie diese für sich selbst?
Prof. Höke: Also, was für mich eine zentrale Herausforderung ist, dass wir eben dieses Spiel tatsächlich vor allen Dingen erstmal bei den Kindern belassen und uns nicht zu früh einmischen. Die Perspektive aktuell geht gerade mit Blick auf Bildung, auf Entwicklungsanregung schnell in die Richtung, dass ich Spielsituationen darauf analysiere, welche Bildungsanregungen stecken da jetzt drin. Und ich habe ja am Anfang gesagt, das ist beim Spiel auch das Schöne, dass das so vielfältig ist und ich da an ganz vielen Stellen anknüpfen kann. Und ich glaube, es ist wichtig, immer wieder auch zuzulassen, dass Kinder ihre Spielsituation so gestalten, wie sie das selbst erstmal möchten und dass sie nicht unbedingt immer den Erwartungen entsprechen müssen oder thematisieren müssen, was sie jetzt gerade daran besonders interessant finden. Es gibt eine Untersuchung im Kontext des Sustain Share Thinking. Das ist eine Konzeption, die quasi darauf aufbaut, dass wir mit den Kindern in einen gemeinsam geteilten Denkprozess gehen und das heißt also, dass nicht das Kind etwas einbringt und ich erweitere das dann direkt, sondern dass ich mich wirklich darum bemühe, die Perspektive des Kindes erstmal zu verstehen. Da zeigt sich eben ganz schön, dass Kinder sich selbst mit Dingen intensiv auseinandersetzen, wenn ich ihnen nicht vorschnell Dinge erkläre oder vormache, sondern sie eben möglichst lange auch selbst ausprobieren lasse. Also ein gelungenes Spiel für mich ist in erster Linie, wenn wirklich die Aktivität beim Kind verbleibt und die Aktivität des Kindes auch möglichst groß ist, also es sich mit einem Material auseinandersetzt, wo es möglichst vielfältig aktiv sein kann, wo auch durch das Spielmaterial selbst nicht zu viel vorweggenommen wird, also, z.B. das Geräusch des Polizeiautos nicht das Polizeiauto macht, weil es eine Batterie hat und den Ton herstellt, sondern wenn das Kind das eben selbst auch produzieren kann. Und ich mich dann auf diese Spielsituation so einlassen kann, dass ich eben selbst tatsächlich auch eine Rolle übernehme und nicht das Spiel des Kindes lenke, sondern tatsächlich wirklich in so einen Mitspielprozess komme.
Katrin Imbery: Ganz lieben Dank, Frau Höcke, für diese spannenden Einsichten. Ich verweise an dieser Stelle gern noch mal auf die Kleinstkinderausgabe 2/25, in der sich zwei Fachartikel von Ihnen ausführlich und praxisnah mit den Themen Spielentwicklung und -begleitung befassen. Vielen Dank.
Jingle: Gemeinsam wachsen, gemeinsam lernen. Schön, dass ihr reingehört habt. Bis bald. Umfangreiches Fachwissen für die Betreuung der Jüngsten findet ihr auf www.kleinskinder.de.