Im Gespräch mit Lea WedewardtWörterzauber statt Sprachgewalt

„Nie hilfst du beim Aufräumen!" Wie wir mit Kleinkindern sprechen, prägt ihr Selbstbild nachhaltig. Oft sind es vermeintlich kleine Sprachnuancen, die den Jüngsten ein schlechtes oder gutes Gefühl zu ihrer eigenen Person, aber auch zu ihrem Platz in der Welt vermitteln. Wie können pädagogische Fachkräfte Kinder durch Sprache stärken, statt sie durch unbedachte Aussagen zu schwächen - und was lernen sie dabei über sich selbst? Das erläutert Kindheitspädagogin und Autorin Lea Wedewardt im Kleinstkinder-Titelthema 7/23 - und ergänzend im Gespräch mit Katrin Imbery.

Auf einem orangenen Kreis steht in orangener Schrift Kleinstkinderpodcast und die Grafik eines Lautsprechers ist darüber

Wörterzauber statt Sprachgewalt

Jingle: Gemeinsam wachsen, gemeinsam lernen. Willkommen beim Podcast von Kleinstkinder in Kita und Tagespflege.

Katrin Imbery: Hallo, mein Name ist Katrin Imbery. Ich bin Redakteurin bei Kleinstkinder in Kita und Tagespflege und unterhalte mich heute mit der Kindheitspädagogin und Autorin Lea Wedewardt über ein sehr wichtiges Thema: Sprache im U3 Alltag. Hallo Frau Wedewardt und vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Wollen Sie sich vielleicht selbst noch ein bisschen näher vorstellen?

Lea Wedwardt: Ja, gerne. Vielen Dank für die Einladung. Ich bin Lea Wedewardt. Ich bin Kindheitspädagogin, Podcasterin und in allem, was ich tue, setze ich mich für eine bedürfnisorientierte Pädagogik ein und gebe dazu Weiterbildungen, Beratungen und schreibe Bücher.

Katrin Imbery: Vielen Dank. Die Beziehungsqualität zwischen Fachkräften und Kindern ist ja ein Schwerpunkt ihrer Arbeit. Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, hier den Fokus vor allem auf Sprache zu richten?

Lea Wedewardt: Weil Sprache einfach eine ganz, ganz große Wirkung hat. Sprache macht viel mit uns, Sprache macht viel mit den Kindern und insbesondere, weil Kinder noch so prägsam sind und ihr Gehirn noch so sehr im Aufbau ist. Und besonders im Krippenalter macht Sprache sehr viel hinsichtlich des Selbstbildes, also was ich von mir selbst halte, wie ich mich selbst sehe und was ich vor allem innerlich für einen Dialog aufbaue mit mir selbst. Das heißt, was zu mir gesagt wird als Krippenkind, ist später auch das, was ich im inneren Dialog zu mir sagen werde. Das ist auch ganz unmittelbar verknüpft mit dem Selbstwert, und auch der Frage, wie, wie wichtig bin ich für die Welt? Wie habe ich da einen Platz? Kann ich da was bewirken und welchen Wert spreche ich mir selbst zu? Das heißt, Sprache hat da eine große Macht.

Katrin Imbery: Ihr Fachartikel in der aktuellen Ausgabe  von Kleinstkinder ist betitelt mit „Wörterzauber statt Sprachgewalt“ so wie auch ihr Buch zu diesem Thema. Sprachgewalt ist ja ein heftiger Ausdruck, der wirklich aufhorchen lässt. Inwiefern kann Sprache gegenüber Kleinkindern tatsächlich gewalttätig sein?

Lea Wedewardt: Ja, genau, der Titel lässt aufhorchen. Das ist natürlich eine Polarität, die da dargestellt werden soll, zwischen der Sprachgewalt und dem Wörterzauber. Und man muss sagen, nicht alles, was in dem Buch beschrieben ist, ist sofort als Sprachgewalt zu bezeichnen. Wenn wir uns mit einer achtsamen Sprache beschäftigen wollen, geht's darum, genauer auf Worte zu achten, bis hin eben zu dem Punkt, dass Worte wirklich verletzen können. Und typische Sätze oder Worte, die verletzen, sind wirklich Drohungen zum Beispiel die klassischen Sätze: „Wenn du jetzt nicht das machst, dann…“ und „Ich zähle dann bis drei“. Das heißt, alles, was Kindern Angst macht. Aber auch Stigmatisierungen, zum Beispiel sowas wie „Du Angsthase“. Was immer noch ganz viel verwendet wird, sind grenzüberschreitende Worte wie „Schätzchen” oder „ Mäuschen“. Gestern habe ich erst wieder gehört, wie zu einem Kind gesagt wurde: „Du Göre.“ Also da gibt es Betitelungen, Bezeichnungen und auch, ja, manchmal auch Kosenamen, die wir Erwachsene vielleicht nett meinen, die Kinder aber gar nicht so gerne mögen. Und um da eben in so eine achtsame Sprache zu kommen, ist es so wichtig, genau hinzuschauen.

Katrin Imbery: Sie sagen ja, dass der Ursprung solcher Aussagen oft unbewusste Glaubenssätze aus unserer eigenen Kindheit sind, die wir weitertragen, ohne uns der Konsequenzen bewusst zu sein. Das sind ja vermutlich oft Sätze, die vielen von uns geläufig sind, beziehungsweise die wir selbst verinnerlicht haben. Können Sie uns da vielleicht ein, zwei Beispiele nennen, damit wir eine Vorstellung davon bekommen, was Sie unter Glaubenssätzen verstehen?

Lea Wedewardt: Also, bei der Sprachgewalt bin ich überzeugt, dass wir an vielen Stellen unbewusst eine Kultur der Sprachgewalt leben. Insbesondere mit Kindern scheint es normal zu sein, verletzende Worte zu nutzen. Und genau, es passiert eben oft unbewusst, weil wir oft auch selbst das nicht anders gehört haben. Und wir kennen das bei uns: Wenn wir gestresst sind, dann sagen wir vielleicht genau den Satz, den damals die Mutter zu uns gesagt hat. Und das ist dann oft keine Böswilligkeit, sondern einfach ein Nicht-darüber-nachdenken und Nicht-reflektieren. Glaubenssätze, das ist der innere Dialog, den wir selbst mal aufgebaut haben. Also das, was zu uns gesagt wurde, manchmal vielleicht auch ohne Worte, das ist das, was wir selbst an innerem Dialog in uns tragen. Ein typisches Beispiel: Was sage ichh innerlich zu mir, wenn mir etwas umfällt bzw. kapputtgeht. Sage ich dann zu mir: „Oh Mann, bist du ein Dussel, schon wieder schüttest du was um“? Oder sage ich zu mir: „Ach ja, passiert, macht nichts, wir wischen es einfach auf“? So oder so: Das ist genau das, was eben zu mir gesagt wurde. Und als Glaubenssätze können sich auch allgemeine Sätze verinnerlichen, die meistens am Ende der Kette stehen, sowas wie: „Ich bin nichts wert, ich bin nicht wichtig, ich bin nur gut, wenn ...“. Und das sind Sätze, die in emotnialen Situationen hochkommen. Ein Kind ist sehr wütend und dann kommt sofort der innere Glaubenssatz: „Wut darf nicht sein, Wut ist gefährlich“. Und dieser innere Dialog bewirkt auch, wie ich dann mit dem Kind spreche.

Katrin Imbery: Das hat es jetzt sehr veranschaulicht, warum es wichtig ist, eben darauf zu achten, keine verletzende Sprache zu nutzen. Deswegen kommen wir jetzt zum Wörterzauber, wie Sie es nennen. Denn genauso wie Sprache verletzend sein kann, kann sie andersherum Kleinkinder auch stärken. Durch was zeichnet sich solch eine achtsame Sprache in erster Linie aus?

Lea Wedewardt: Ja, viele denken, achtsame Sprache und Wörterzauber bedeutet, ich spreche nur noch in einer ganz leisen, säuseligen, bittenden Sprache, die vermeintlich ganz liebevoll ist. Das ist aber nicht damit gemeint. Das Entscheidende ist, dass die Erwachsenen die Verantwortung für sich selbst übernehmen und für die eigenen Gefühle, für die eigenen Bedürfnisse, für die eigenen Grenzen. Da sind wir auch ganz nah verbunden mit der Bedürfnisorientierten Pädagogik. Das bedeutet, es geht um eine authentische Sprache, es geht um eine verantwortungsbewusste Sprache. Also, wenn ich sage: „Du bringst mich an meine Grenzen“, dann übertrage ich die Verantwortung direkt aufs Kind. Anders hingegen, wenn ich aber sage: „Ich komme an meine Grenzen“. Und es is schon ein Unterschied, ob ich sage: „, Ich werde jetzt gerade wütend und ich weiß gar nicht, wo das herkommt. Ich kümmere mich um mich“ oder ob ich sage: „Du bist hier so wild und wegen dir werde ich wütend“. Das ist ganz wichtig. Wörterzauber ist auch eine sehr klare Sprache, indem ich dem Kind eben sehr klar sagen kann, was ich von ihm möchte. Und das klar kommunizieren kann, indem ich zum Beispiel negative Sprache vermeide, die oft für Kleinkinder sehr schlecht umsetzbar ist, wie zum Beispiel: „Nicht hauen, nicht beißen, nicht kratzen“. Die Kinder wissen nicht, was sie stattdessen wann machen sollen.
Die Erwachsenen müssen bedürfnisorientiert kommunizieren: “Okay, du möchtest mitspielen, du kannst fragen gehen.” Also, das wäre dann sozusagen die direkte Übersetzung für das, was das Kind tun kann. Für diese authentische Form der Kommunikation, braucht sehr viel Reflexionsarbeit von Fachkräften. Sie müssen genau herauszufinden: Was will ich eigentlich, was will ich nicht? Was fühle ich eigentlich? Welcheedürfnisse habe ich eigentlich?

Katrin Imbery: Diese Reflexionsarbeit besprechen Sie in Ihrem Kleinstkinder-Artikel sehr ausführlich. Und tatsächlich gewinnt man ja den Eindruck, dass von so einem selbstreflexiven Prozess schlussendlich nicht nur die betreuten Kinder profitieren, sondern auch die Fachkraft selbst.

Lea Wedwardt: Ganz genau.  Wenn die Fachkräfte sich mit sich selbst auseinandersetzen, um in eine achtsame Sprache zu kommen, bedeutet das ja auch, dass ich mit mir selbst achtsamer spreche in diesem inneren Dialog. Und ich sage auch immer, es ist nichts gewonnen, wenn wir so achtsam wie möglich mit den Kindern sprechen und uns innerlich dabei selbst geißeln.  Dann würde ich ja mit mir sehr hart ins Gericht gehen und würde innerlich mit mir selbst in Sprachgewalt sprechen.  ich kann auch meinen inneren Dialog immer wieder beobachten und letztlich kann Wörterzauber dazu führen, dass ich selbst viel besser mit mir in Kontakt bin und dadurch vielleicht auch zufriedener und gesünder.

Katrin Imbery: Und da haben Sie jetzt auch was angesprochen, dass aufrichtig zu sich selbst bleiben. Ich meine, jeder hat ja so seine eigene Art, sich auszudrücken. Wie kann man sich denn eine achtsame Sprache angewöhnen und dabei dennoch individuell bei seinem Ausdruck bleiben? Damit Kommunikation authentisch bleibt und nicht wie aus dem Lehrbuch klingt?

Lea Wedewardt: Ja, das stimmt. Also, es gibt auch viele, die eben zum Beispiel die gewaltfreie Kommunikation als sehr starr und künstlich empfinden. Und das kann schon sein, dass ich das erstmal so empfinde und erstmal gewisse Satzstrukturen lernen muss. Und wenn unser Gehirn jetzt eine andere Sprache lernen soll, ist das erstmal wie eine Fremdsprache zu lernen. Und tatsächlich brauche ich da schon auch Vokabeln und ich brauche schon auch Grammatik und bestimmte Arten, was ich da sagen kann. Und man kann schon sehr deutlich andere Sätze üben und die können dann auch erstmal vielleicht unauthentisch anhören. Und erst wenn ich das dann geübt habe und mit mir selbst in Kontakt gekommen bin und reflektiert habe – dann entwickeln sich daraus auch individuelle Worte. DFas heißt, es kann schon sein, dass sich das erstmal komisch anfühlt, weil das Hirn das einfach nicht kennt. Trotzdem kann da jeder, wenn er es erstmal verinnerlicht ist, seine eigene Sprache finden.

Katrin Imbery: Frau Wedewardt, Sie haben es ja eben schon mal angesprochen. Sie haben gesagt, dass die Fachkräfte mit sich selbst nicht zu streng sein sollten und auch Sie gehen in ihren Texten gar nicht streng ins Gericht mit Fachkräften. Sie sind, im Gegenteil, sehr verständnisvoll und rufen sogar auf zum „Mut zur Lücke“, weil es keinem von uns gelänge, achtsame Sprache zu jeder Zeit zu nutzen. Gerade in der aktuellen Situation, in der das Kita-Personal häufig unter unzumutbaren Bedingungen arbeiten muss, denke ich, steigt das Risiko übergriffiger Sprache gegenüber Kleinkindern. Wie sehen Sie das?

Lea Wedewardt: Ja, das stimmt auf jeden Fall. Das Risiko steigt unter Personalmangel und Stress. Gleichzeitig ist es so, wenn ich das verinnerlicht habe und Wörterzauber überwiegend nutze, lerne ich relativ schnell, dass wenn ich im Wörterzauber bleiben kann, alles eigentlich einfacher ist. Weil Kinder eher kooperieren, wenn sie sich verstanden fühlen und sie da auch gesehen werden in ihren Gefühlen, in ihren Bedürfnissen und in ihren Grenzen.  Das heißt, Wörterzauber macht es eigentlich einfacher, weil ich in gute Beziehung gehen kann. Doch auch wenn mir ein sprachlicher Übergriff passiert, habe ich immer noch die Möglichkeit zum Kind zu gehen und zu sagen: “Weißt du, vorhin, da habe ich gedroht. Dann habe ich gesagt, wenn du jetzt dich nicht anziehst, dann musst du drinbleiben. Und ich habe da jetzt noch mal drüber nachgedacht und i eigentlich möchte ich nicht drohen, ich möchte dir keine Angst machen und ich weiß, dass ich damit über deine Grenze gegangen bin. Wie siehst du denn das?” Man könnte jetzt sagen, im Krippenalter ist das zu viel gesagt, aber nein, auf keinen Fall. Die Kinder spüren die Qualität, die spüren, was ich sagen möchte, die spüren die Versöhnung und dann ist es gar nicht so relevant, dass dann der sprachliche Übergriff davor passiert ist.

Katrin Imbery  Und kann sich denn in so einem Fall auch das Kita-Team gegenseitig regulieren beziehungsweise unterstützen?

Lea Wededwart: Ja, sehr gut. Das ist auch oft das Ziel der Fortbildung „Wörterzauber statt Sprachgewalt“, dass wir wirklich sagen: Hey, wir nutzen alle Sprachgewalt, das passiert einfach und wir nehmen uns damit an. Und gleichzeitig achten wir aufeinander und tippen uns vielleicht an der Schulter an oder überlegen uns ein Codewort, indem wir dem anderen mitteilen: “Oh, guck mal” oder “Vorhin hast du das und das gesagt. Vielleicht wäre es besser, das so und so zu sagen”.  Wichtig ist, das wirklich als eine Fehlerkultur zu verstehen, indem nicht der eine dem anderen sagt, wie es besser geht, sondern eher in dem man sich als Team, als eine Lerngemeinschaft versteht, die sich gemeinsam weiterentwickeln will.

Katrin Imbery: Ganz herzlichen Dank, Frau Wedewardt, für ihre sehr interessanten Ausführungen. Mehr Hintergrundinfos zu verletzender Sprache in der Kita, vor allem aber hin zum Wörterzauber finden Sie in der Kleinstkinder-Ausgabe 7/23.

Lea Wedwart: Danke schön.

Jingle: Gemeinsam wachsen, gemeinsam lernen. Schön, dass ihr reingehört habt. Bis bald. Umfangreiches Fachwissen für die Betreuung der Jüngsten findet ihr auf www.kleinstkinder.de.

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