Jingle: Gemeinsam wachsen, gemeinsam lernen. Willkommen beim Podcast von Kleinstkinder in Kita und Tagespflege.
Katrin Imbery: Hallo, mein Name ist Katrin Imbery. Ich bin Redakteurin bei Kleinstkinder in Kita und Tagespflege und ich freue mich sehr, dass wir für unseren neuen Kleinstkinder Podcast Dr. Gabriele Haug-Schnabel gewinnen konnten. Mit ihr möchte ich heute über die Wut von Kleinstkindern sprechen. Ganz herzlich willkommen, Frau Haug-Schnabel.
Gabriele Haug-Schnabel: Ich freue mich auch, weil es wirklich ein sehr spannendes Thema ist.
Katrin Imbery: Gerne würde ich Sie jenen, die Sie eventuell noch nicht kennen, ganz kurz vorstellen, wobei das bei ihren zahlreichen Funktionen gar nicht so einfach ist. Als Verhaltensbiologin mit Schwerpunkt auf kindlichem Verhalten und Entwicklungsforschung sind sie unter anderem international tätig als Fachbuchautorin und als Referentin. Vor allem aber untersuchen Sie mit ihrer eigenen Forschungsgruppe Aspekte kindlichen Verhaltens und erarbeiten darauf aufbauend praxisnahe Lösungsansätze, unter anderem auch für Kitas. Und in der neuesten Kleinstkinder-Ausgabe schreiben Sie über einen herausfordernden Aspekt kleinkindlichen Verhaltens, nämlich die Wut in all ihren Facetten. Wut ist ja ein großes Thema in der U3-Betreuung und Kinder werden schnell und aus den verschiedensten Gründen wütend, z.B. weil sie sich benachteiligt fühlen oder weil sie schlicht von einer stressigen Übergangssituation überfordert sind. Sie schreiben, dass es nicht in jedem Fall Aufgabe der pädagogischen Fachkraft sein sollte, kindliche Wut zu verhindern. Warum nicht, frage ich Sie. Die Wut ist doch nicht nur für das Kind anstrengend, sondern auch für alle anderen.
Gabriele Haug-Schnabel: Also, darauf kann ich ganz klar antworten. Wenn wir nicht diese Kraft hätten, die eine Wut mit sich bringt, würden wir eigentlich nichts verändern. Man muss schon daran denken, dass Wut etwas ist, was alle Menschen weiterbringt: Ich will es versuchen! Ich will es heute tatsächlich hinbekommen! Und das ist etwas, was tatsächlich auch für Kleinstkinder eine Rolle spielt.
Katrin Imbery: Wut setzt also auch schon bei Kleinstkindern produktive Kräfte frei. Sie ist aber vor allem auch eine sehr schwierige Emotion, aus der Kinder in diesem Alter noch nicht allein herausfinden können, da sie die Fähigkeit zur Selbstregulation noch nicht entwickelt haben. Wie können sich Fachkräfte verhalten, damit ein Kind sich in dramatischen Situationen aufgefangen und wirklich verstanden fühlt?
Gabriele Haug-Schnabel: Allein der Satz: “Ich spüre, du hast eine ganz starke Wut” kann die Wut schon etwas runterbremsen, weil das Kind merkt: Aha, sie oder er hat festgestellt, es geht mir nicht gut, es muss etwas verändert werden.
Jetzt braucht es in diesem Alter den Erwachsenen, der dem Kind zeigt, dass die Situation überlebbar ist und sich nicht aufregt: “Möchtest du auf meinen Schoß kommen? Soll ich neben dich stehen? Möchte möchtest du vielleicht mit Sophie ins Außengelände gehen?” Es sind genau die Momente, wo die Kinder stark eingebremst sind durch sich selbst. Die Erwachsenen muss sie dabei unterstützen, aus dieser Falle wieder rauszukommen.
Katrin Imbery: Manchmal richtet sich die Wut eines Kindes ja gegen die pädagogische Fachkraft. Manchmal richtet sich die Wut eines Kindes aber auch einfach gegen es selbst, weil irgendwas nicht gelingt, was es unbedingt selbst schaffen möchte. Und oft kommt Wut aber auch auf, wenn Kinder zusammen im Spiel sind. Ab welchem Punkt denken Sie, sollten sich Fachkräfte in solche Konflikte zwischen Kindern einmischen und in welcher Form?
Gabriele Haug-Schnabel: Wenn ich jetzt sage, so spät wie möglich, werde ich hoffentlich richtig verstanden. Also, ich würde immer raten zunächst zu gucken, welche Kinder miteinander im Streit sind. Sind es welche, die sehr viel zusammen machen, immer mal wieder aber ein bisschen gegenseitigen Wettbewerb haben, dann würde ich in der Nähe bleiben, mich aber noch zurückhalten. Wenn es aber Kinder sind, von denen ich genau weiß, da ist es mit der Impulskontrolle noch sehr schwierig oder sie sie brechen zusammen, wenn etwas nicht funktioniert, da würde ich meine Hilfe anbieten: “Vielleicht machst du das mit dem Sebastian und der der Frieda zusammen, dann macht's vielleicht mehr Spaß und ihr habt mehr Hände, die jetzt die Baulötze halten können.” Also, es ist mir ganz wichtig, an dieser Stelle zu sagen, es gibt kein immer klappendes Rezept. Man muss sehen, in welcher Tagesform die Kinder sind und wie sie auf unsere Vorschläge reagieren.
Katrin Imbery: Ein schwieriges Thema ist, dass Kinder ja durchaus in ihrer Hilflosigkeit und in ihrer Überforderung aggressiv werden können und manchmal auch andere Kinder oder sogar erwachsene Bezugspersonen körperlich angreifen. Wie können Fachkräfte in solchen Momenten professionell reagieren, um sich und die betroffenen Kinder zu schützen?
Gabriele Haug-Schnabel: Das ist sicher der schwierigste Punkt. Ganz klar: ein lautes, klar abweisendes “Nein” oder “Stopp”. Diese beiden Worte, also wirklich ganz kurz, die spielen eine große Rolle und die dürfen durchaus auch laut sein.
Und eben keine großen Erzählungen wie “Habe ich dir nicht schon hundertmal gesagt, das war doch gestern genauso” und so ähnlich. Das regt die Kinder noch viel mehr auf. Das Wichtige ist das klare Nein, das abweisende, das abweisende Nein. Und dann muss die Fachkraft aber auch zur Beruhigung zur Verfügung stehen. Das heißt dann also: nicht weglaufen, sondern in aller Ruhe zur Beruhigung zur Verfügung stehen. Es gibt Kinder, die kurz auf den Schoß wollen in diesem Alter und dann von allein wieder runtergehen. Das sind maximal drei Minuten. Und dann könnte die Fachkraft vielleicht fragen: “Geht's dir wieder besser? Guck mal da, da steht der Lastwagen, den kann man mit Steinen füllen.” Dieses sich selbst zur Beruhigung zur Verfügung stellen, das ist sicher einer der wichtigsten Punkte, die für diese Altersgruppe zu beachten sind.
Katrin Imbery: Was können denn Einrichtungen darüber hinaus strukturell noch tun, um Stressfallen für Kinder zu vermeiden? Stressfallen, die Kinder auch wütend werden lassen?
Gabriele Haug-Schnabel: Das hängt vom Fachkraftschlüssel ab. Dann hängt es von den Räumlichkeiten ab, die zur Verfügung stehen. Und es hängt natürlich auch davon ab, inwieweit ein Team wirklich in der Lage ist, möglichst alle Räumlichkeiten, wenn es auch nur mit einer Person, besetzt zu halten. Denn sobald mehr Platz ist, gerade bei den Kleinstkindern, also Sachen umfallen und wieder aufgebaut werden können, und niemand fährt mit dem Dreirad durch - geht die die Rate der der Momente, in denen die Kinder ausflippen, deutlich zurück.
Katrin Imbery: Vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre interessanten Antworten, Frau Haug-Schnabel. Jingle: Gemeinsam wachsen. Gemeinsam lernen. Schön, dass ihr reingehört habt. Bis bald. Umfangreiches Fachwissen für die Betreuung der Jüngsten findet ihr auf www.kleinstkinder.de.