Tines praktische TheorieIm Regel-Regen

Ein Drucker druckt verschiedene Zettel mit Regeln wie ‚Zuerst Hände waschen!‘ aus. Weitere Zettel liegen auf dem Boden, und ein Kind steht darauf und zeigt auf eine der Regeln.
© Marén Gröschel

Kennt ihr das? Ihr springt (mal wieder) in einer anderen Gruppe oder sogar einem anderen Haus eures Trägers ein und müsst euch erst mal einen Überblick verschaffen.
Der Klassiker unter den ersten „Springer“-Fragen des Tages: „Was sind denn bei euch die Regeln für den Morgenkreis?“
Wenn es schlecht läuft, hast du eine Kollegin an deiner Seite, die auch erst seit Anfang der Woche über die Zeitarbeits  rma da ist. Und dann passiert es: In dem Moment, als du zum Morgenkreis rufst, motzt dich die kleine Zoé von der Seite an und sagt: „Wir müssen aber erst Hände waschen!“ Ich frage: „Vor dem Morgenkreis? Warum?“ Zoé: „Weiß ich nicht. Das sagt Frau Meyer immer zu uns!“
Wenn es allerdings super läuft, kommst du in eine Gruppe, in der ein Kinderparlament oder daran angelehnte Strukturen herrschen, in denen die Kinder in die Regeln ihrer Gruppe einbezogen werden. Dann geht es plötzlich ganz schnell: Du sitzt im Morgenkreis und Isabell sieht an deinem fragenden Gesicht, dass du nicht weißt, wo das Körbchen mit den Liedern steht (oder dass es überhaupt eins gibt), und holt es dir. Du blätterst kurz durch die laminierten Kärtchen und ziehst die „Liebe, liebe Sonne“-Karte heraus, da weist dich Amed freundlich, aber bestimmt darauf hin, dass heute Tylor den Morgenkreis macht und du ihm bitte (  ott) das Körbchen rübergeben sollst. Du hast ab diesem Moment ungefähr drei Minuten Zeit, um dir die Namen der Kinder zu merken, aber du hast auch die Chance, Kinder dabei zu beobachten, wie sie demokratische Strukturen ganz aus sich selbst heraus gestalten und bewahren. Und das ist der große Einsatz, den wir als pädagogische Fachkräfte leisten. Die süßen Früchte unserer Arbeit ernten wir dann, wenn die Kinder uns nicht brauchen.
Was sich im Morgenkreis im Kleinen zeigt, kommt beim Essen schon mal ins Wanken und wird im Freispiel dann zur Königsdisziplin: Gibt es Regeln? Wer stellt sie auf? Und wer achtet darauf, dass sie eingehalten werden? Am besten alle gleichberechtigt. Hier braucht es Fachkräfte, die zuhören und moderieren können. Die loslassen und vertrauen können. Die Fehler zulassen. Auch die eigenen. Es braucht Mut und Durchhaltevermögen, wenn es anfangs ruckelt. Es braucht Absprachen mit den Kolleg:innen und ein gutes Laminiergerät.
Und es braucht die Fähigkeit, die Ohren auf Durchzug zu stellen, wenn mal wieder von außen jemand motzt, dass die Kinder ja dann machen, was sie wollen. Denn genau das ist das Ziel: dass Kinder nicht nur sollen, sondern auch wollen dürfen.

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