Katholischer Medienpreis"Masterplan"

Laudatio von Michel Friedman auf Volker Heises Film „Masterplan. Das Potsdamer Treffen und die Folgen“ über die Recherchen von „Correctiv“, der mit dem Katholischen Medienpreis 2025 ausgezeichnet wurde.

Hauptpreisträger Volker Heise, Kardinal Reinhard Marx und Michel Friedman, Laudator für Volker Heise, bei der Verleihung des Katholischen Medienpreises
© Deutsche Bischofskonferenz / Robert Kiderle

Kann ich Ihnen, können Sie mir, können wir uns garantieren, dass in fünf bis zehn Jahren unser Land noch demokratisch ist? Haben Sie sich diese Frage schon mal gestellt? Und wenn nicht: Wie konnte es sein, dass sie sich nicht gestellt haben? Was muss denn passieren, dass man sich als Bürger, als Mensch in diesem Land mit einem bisschen politischem Bewusstsein und etwas Schulwissen, diese Frage nicht stellt?

Mein großer Respekt gilt den Kollegen und Kolleginnen der Investigativ-Redaktion von „Correctiv“. Das war großartiger Journalismus, freier, mutiger und unbequemer Journalismus – eigentlich Journalismus! Viele Kolleginnen und Kollegen von verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften haben über die Ergebnisse der Recherche von „Correctiv“ berichtet. Aber es passierte danach kaum was. Man las es, man diskutierte es. Aber es war ruhig im Land, obwohl man etwas lesen konnte, das wir nun zum ersten Mal eindeutig eine geschichtliche Parallele zu den Dreißigerjahren im 20. Jahrhundert hatte. Der Begriff „Remigration“ setzt nämlich etwas voraus, was wir – so haben wir uns versprochen – in der Bundesrepublik Deutschland nie wieder zulassen wollten: dass Menschen darüber bestimmen, ob andere Menschen Menschen sind. Trotz dieser Aufmerksamkeit war die Vergessenheit am Ende groß.

Zwar hat das Berliner Ensemble das, was „Correcitv“ recherchiert hatte, auf die Bühne gebracht. Die Veranstaltung wurde gestreamt und daraus entstand eine Bewegung mit vielen Demonstrationen in Deutschland, wie es sie vorher nicht gab. Es wurde viel demonstriert und oft hintereinander. Das war großartig, wie durch diese Bewegung in einer Welle von Demonstrationen sichtbar wurde, dass sehr viele bei einem solchen Vorgehen nicht mitmachen wollen. Diese Bilder beeindrucken heute noch. Jeder und jede, die dabei waren, verdienen dafür großen Respekt. Aber dann war es wieder vorbei.

Reicht es nicht, dass diejenigen, die die Demokratie zerstören wollen, nur einmal oder auch zwei-, dreimal zusammenkommen? Hierin liegt die große Leistung des Films von Volker Heise. Dieser Film mit seinen Bildern ist ein weiteres Mal die Chance der Materialisierung dieser Realität. Es gibt diese Menschen und sie sind unter uns. Es wird nicht nur dank dieses Films eines Tages nicht mehr möglich sein, dass wir, die wir jetzt die Zeugen unserer Zeit sind, sagen können, wir hätten es nicht bewusst. Es wird unmöglich sein, sich die Hände in Unschuld zu waschen. Und wir wissen auch dank solcher großartiger Filme wie „Masterplan. Das Potsdamer Treffen und seine Folgen“, dass es eine Partei des Hasses gibt.

Hass ist hungrig, Hass wird nie satt. Hass ist keine Meinung, sondern pure Gewalt. Wenn man den Film anschaut, sieht man, mit welcher Selbstverständlichkeit es zur verbalen Gewalt kommt. Als ob sich die Selbstverständlichkeit des Hasses und seiner Banalität ein paar Jahrzehnte später wieder bei Menschen, so wie Sie und ich, wiederfindet. Es sind keine Monster und waren nie Monster. Und es werden auch nie Monster sein, die in der Lage sind, solche Dinge fortzusetzen.

Auf der einen Seite erleben wir, dass immer mehr Menschen diese Partei des Hasses wählen. Und wir wissen mittlerweile auch, dass ein nicht unbedeutender Teil sich mit den Kernaussagen, von denen wir auch in diesem Film hören, identifizieren. Sie sind eben nicht nur Protestwähler und Protestwählerinnen. Wie können wir angesichts dieser Situation wieder den nächsten Urlaub planen und über unseren materiellen Wohlstand reden?

Es scheint so zu sein, dass es in Deutschland 20 bis 25 Prozent an Wählerinnen und Wählern gibt, die Demokratie hassen. Natürlich schaffen wir es in einer Demokratie nicht, immer umzusetzen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Aber wenn wir es nicht schaffen, negieren wir damit nicht unseren Kompass: dass wir das grundsätzlich wollen. Jeder ist jemand. Gleichzeitig müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es hier eine Partei gibt, die sagt: Nein, einige sind niemand. Sie machen das mit leuchtenden Augen. Ihre Anhänger sind motiviert und mobilisiert.

Bei der Bekämpfung dieser Partei fühle ich mich heute weniger allein. Aber was mich deutlich beunruhigt, ist die Frage, ob die restlichen 75 Prozent mit ihren leuchtenden Augen für die Demokratie und für die Freiheit eintreten. Man muss sich doch nur selbst fragen: Wie lebe ich lieber? Frei oder unfrei? Dieser banalen Frage muss man sich stellen. Wie will ich, dass meine Kinder leben? Wir müssen hier wie Handelsvertreter der Freiheit werden. Ich bin wirklich gerne ein solcher Handelsvertreter, der jeden Tag unterwegs ist, weil ich ein Produkt zu verkaufen habe, eines der schönsten Bücher, das ich kenne: nämlich das Grundgesetz.

Wo sind die Menschen, die so leidenschaftlich sind, wie jene, die die Demokratie abschaffen wollen, aber für die Demokratie werben? Oder kann es sein, dass unter den 75 Prozent zu viele gelangweilte, vielleicht sogar dekadente Demokraten sind, die diese wie mit Blick auf materielle Güter konsumieren, aber nichts für sie geben wollen? Kann es sein, dass es unter diesen 75 Prozent furchtbar verunsicherte Demokraten gibt, weil wir darüber 20 oder gar 30 Jahre zu wenig gesprochen haben? In diesem Zeitraum sind Millionen Menschen zu uns gekommen. Viele Millionen sind gestorben, viele wurden aber auch geboren. Wir sind eine Gesellschaft, die dynamisch ist. Haben wir in den vergangenen 25 Jahren genug miteinander über Demokratie nachgedacht, gerungen und auch gestritten? Oder haben wir sie mehr zur Kenntnis genommen und merken heute, dass unser „Ja“ klein ist und unser „Aber“ groß?

Aber selbst dann bleiben ja immer noch Millionen Menschen, die jeden Tag für die Demokratie nicht nur werben, sondern sie leben: wie etwa diejenigen, die ehrenamtlich unterwegs sind, auch im Politischen. Wie gehen wir mit ihnen um? Welche Verachtung haben wir zugelassen für Menschen, die sich politisch engagieren? Ich unterstelle, ja ich bestehe darauf, dass die meisten Menschen, die ehrenamtlich politische Ämter übernehmen, Idealisten sind. Kaum eine Staatsform ist anstrengender. Das möchte ich auch denen zurufen, die sagen, man können nicht mehr sagen, was man sagen will. Hören wir sie an! Sollen sie sagen, was sie sagen wollen. Aber auch ich will sagen können, was ich sagen will. In der Demokratie nennt man das Widerspruch. Das macht eine gute Streitkultur aus. Sie ist freilich auch ein Risiko.

Auch das zeigt dieser Film. Und er zeigt, wie das Problem im Alltag angekommen ist. Manche wollen nicht über das Große und Ganze reden, weil sie das überfordert. Aber wann haben Sie das letzte Mal in der Familie, im Verein oder im Job jemanden reden gehört, bei dem Sie eindeutig das Gefühl hatten, dass da etwas nicht stimmt, weil irgendjemand in seiner Würde verletzt wird? Jeder Widerspruch ist ein Risiko und es kann sein, dass man nicht mehr willkommen ist. Aber wer will Mitglied eines Vereins sein, wenn der Vereinsvorsitzende Menschen hasst? Den Widerstand müssen wir täglich neu einüben.

„Masterplan. Das Potsdamer Treffen und seine Folgen“ ist ein Film, der uns wieder einmal bewusst macht, dass der Gang durch die Institutionen eine reale Gefahr ist. Es gehört zur Realität, dass die Demokratie nicht mehr nur angegriffen wird, sondern am Zerbröseln ist. Dazu gehören auch die Folgen der sozialen Medien. Auch angesichts von Diktatoren, die über TikTok Propaganda verbreiten, haben wir viel zu lange zugeschaut und zugelassen, dass Kinder in diesem Land und anderen demokratischen Ländern mit ihr überschüttet werden. Wir dürfen hier nicht so tun, als sei das freie Meinungsäußerung – und im Übrigen könne man so etwas nicht regulieren. Ich bestehe darauf, dass wir als Demokraten ganz im Sinne des Grundgesetzes hier regulieren sollten, wenn unsere Kinder voller Hass vollgestopft werden. Wir haben das bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), wenn wir festlegen, dass Filme erst in einem Alter von 12 oder ab 16 oder 18 Jahren gesehen werden dürfen. Was wir beim Kino konnten, scheinen wir bei den sozialen Media nicht zu können. Das ist armselig.

Meine Frage ist auch vor diesem Hintergrund: Sind wir überzeugte Demokraten? Wissen wir, wenn wir angegriffen werden, wofür wir stehen? Sind wir uns bewusst, dass Freiheit Verantwortung bedeutet. War das nicht die Idee der Aufklärung, der Emanzipation, selbstbestimmt zu leben und nicht mehr fremdbestimmt – weder von der Kirche noch von einem Rabbiner? Das ist es doch, was die Freiheit bedeutet. Wir können gläubig sein, aber wir müssen nicht. Und wenn wir es nicht sind, werden wir nicht bestraft. Wir können jede Partei wählen, die wir wollen, aber wir müssen es nicht. Und wenn wir eine wählen, werden wir auch nicht bestraft. Das gilt übrigens auch für die Wähler und Wählerinnen der AfD, die Partei des Hasses. Allen Nörglern sage, dass sie demokratisch wählen sollen, weil sie nur dann gut schlafen, am Morgen aufstehen und wieder nörgeln können. In Russland ist das so nicht mehr möglich.

Der Film von Volker Heise ist nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil er authentisch ist und die Menschen sprechen lässt – und wir hören sie. Im Grunde muss er der Impuls dafür sein, am nächsten Wochenende in die Innenstadt von wo auch immer zu gehen, um sich mit Menschen darüber zu unterhalten, wie ist es denn so ist mit der Demokratie. Aber dann muss ich natürlich schon auch ein bisschen etwas darüber wissen und erklären können, warum sie so toll ist. Ich muss sie verteidigen können.

Aber in jedem Fall können wir darüber reden. Tut man das auch genügend? Und wie lange glauben wir, können wir das noch tun, ohne dass der Moment eintritt, dass wir, wenn wir etwas tun wollen, es nicht mehr können. Gibt es nicht schon genug Länder, die beweisen, wie schnell es geht – etwa in Ungarn? Das gilt selbst für die USA, in der der Rechtsstaat und die freie Presse schnell zurückgebaut werden und Kulturinstitutionen nicht mehr eigenständig sind.

Ich will Ihnen ganz deutlich sagen, dass ich all das nicht sage, weil ich ein jüdischer Mensch bin, sondern weil ich Mensch bin. Glaubt irgendjemand, dass beim Thema Remigration nur Menschen ohne deutschen Pass gemeint sind? Es geht auch um schwarze Menschen, Homosexuelle oder Roma und Sinti, auch Frauen. Der Mensch als solcher ist gemeint. Wir sind alle gemeint. Wann begreifen wir endlich, dass es nicht nur um Minderheiten geht? Der Film beweist, dass es in diesem Land wieder Menschen gibt, die anderen Menschen das Menschsein absprechen und an die Macht kommen wollen. Können Sie mir garantieren, dass in fünf bis zehn Jahren unser Land demokratisch ist? Schauen Sie sich diesen Film in jedem Fall doch einmal an.

Anzeige: Menschenrechte nach der Zeitenwende. Gründe für mehr Selbstbewusstsein. Von Heiner Bielefeldt und Daniel Bogner
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