Frau Professorin Roper, wer die tägliche Nachrichtenlage verfolgt, kann angesichts der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche schnell das Gefühl bekommen, dass die Welt Kopf steht. Machen wir es uns zu einfach, wenn wir die Vergangenheit mit stabilen Ordnungen verbinden?
Lyndal Roper: Das ist zunächst einmal eine Frage der Perspektive. Ich bin in Australien aufgewachsen und lebe seit dem Studium in Europa. Das waren für mich Jahre der Stabilität. Natürlich bedeutete der Mauerfall 1989 eine Zeit des Umbruchs – aber eines positiven Umbruchs. Hätte ich in Ostdeutschland oder Russland gelebt, wäre mir der Umbruch womöglich mehr als Bedrohung erschienen. Die aktuelle Zeit nehme ich als Zeit einer allgemeinen großen Verunsicherung wahr. Niemand kann abschätzen, was die Folgen sein werden. Es ist leicht, alles negativ zu sehen. Wer aber allzu pessimistisch ist, der kann nicht mehr handeln. Insofern sollten wir uns den Optimismus bewahren, dass eine gute Zukunft möglich ist.
Den Optimismus bewahren – haben Sie einen Tipp, wie das funktioniert?
Roper: Da kann die Auseinandersetzung mit der Geschichte helfen. Nehmen wir etwa den Bauernkrieg, also die Zeit um 1524/25. Auch damals war auf unterschiedlichen Ebenen sehr viel im Umbruch und zugleich gab es immer Möglichkeiten des Handelns. Natürlich haben die Bauern den Aufstand massiv verloren. Trotzdem war es ihnen möglich, etwas gegen die bestehende Ordnung zu unternehmen und eine Vision von einer besseren Welt zu entwickeln. Mich haben Revolutionen immer schon mehr interessiert als die Erzählung von Kontinuitäten. Die Rede davon halte ich für problematisch, weil sie leicht die Diskontinuität aus dem Blick verliert.
Wir Menschen neigen anscheinend dazu, uns lieber eine Geschichte der Linearität als eine der Disruption oder Diskontinuität zu erzählen.
Roper: Meiner Meinung nach sind lineare Erzählungen langweilig und nicht glaubwürdig. Deswegen müssen wir sie stets hinterfragen. Sie wurden schließlich aus einem bestimmten Interesse heraus geschrieben. Aus diesem Grund habe ich auch Probleme mit den ganzen Heldennarrativen; sie sind viel zu vereinfachend und verengend. Wo kommen eigentlich die Frauen und ihre vielen Perspektiven in der Geschichte vor? Wo kommt all die Arbeit vor, die Frauen immer schon oft unbezahlt geleistet haben? Und wie würde sich unser heutiger Blick etwa auf die Wirtschaft verändern, wenn wir Frauen miteinbeziehen? Wie würden wir überhaupt verstehen lernen, wie viele unserer gesellschaftlichen Bereiche von eindimensionalen Erzählungen geprägt sind? Wir brauchen historische Erzählungen von unserer Gesellschaft, in der auch die diversen Rollen von Frauen endlich einen Platz haben.
Derzeit lässt sich weltweit ein Umbruch politischer Systeme beobachten. Was veranlasst Menschen dazu, solche Umbrüche zu gestalten?
Roper: Darauf lässt sich hinsichtlich der aktuellen Weltlage und mit Blick auf die vielfältigen Situationen in unterschiedlichen Nationen sicherlich keine allgemeingültige Antwort geben. Rückblickend auf eine konkrete Situation wie den Bauernkrieg sprechen wir von einer Zeit, in der vieles, vor allem aber die Autorität der Kirche, infrage gestellt wurde. Die neuen Medien, also die Verbreitung des Buchdrucks, waren dabei sehr wichtig, wobei längst nicht alle Menschen lesen konnten. Es hat sich damals eine neue Gesprächskultur entwickelt, die auch über Bilder vermittelt wurde. Die Menschen wollten dem Wort Gottes zuhören, aber zugleich über das Gehörte selbst diskutieren. Wirtschaftlich ging es ihnen nicht so schlecht wie zuvor, es gab sogar einen kleinen Aufschwung.
Wie genau entwickeln und verbreiten sich denn Visionen, dass ein anderes Leben erstrebenswert und möglich ist?
Roper: Man darf nicht unterschätzen, wie wirkmächtig ein einzelnes Ereignis wie der Auftritt von Martin Luther in Worms gewesen ist. Er hat 1521 auf dem Reichstag nicht nachgegeben und seine Schriften nicht widerrufen. Dieses Bild inspirierte viele Menschen. Plötzlich wird es auch für sie möglich, anders zu denken und eigene Träume zu pflegen. Ich halte es für wichtig, dass wir wirklich von Träumen und nicht von Ideologien sprechen. Das klingt mir sonst zu sehr nach den Sechziger- und Siebzigerjahren.
Braucht es dann aber nicht noch den Sprung von einer individuellen hin zu einer kollektiven Vision, um gesamtgesellschaftliche Veränderungen anzustoßen?
Roper: Ich denke, es geht vor allem um Begriffe, die eine gewisse Ambiguität zulassen, mit der wiederum jemand wie Luther in seinen Schriften auch bewusst gespielt hat. Nehmen wir den Gedanken der Freiheit. Für manche bedeutete er spirituelle Freiheit, in der damaligen Zeit war er aber natürlich auch stark verknüpft mit der Leibeigenschaft. So hat Luther ein möglichst großes Publikum erreicht. Dann aber entwickelt sich eine Eigendynamik, die sich nur schwer vorhersehen lässt, weil sie davon abhängt, wie Menschen solche Gedanken in ihrem Leben konkret umsetzen.
Können Sie Faktoren ausmachen, von denen diese Umsetzung abhängt?
Roper: Dafür ist es wichtig, den Menschen nicht isoliert von seiner Umwelt zu betrachten. Für den Bauernkrieg haben die Jahreszeiten eine entscheidende Rolle gespielt. Im Winter zettelt man keinen Aufstand an, es ist viel zu kalt und zu dunkel. Was macht man stattdessen? Man trifft sich in den Häusern und diskutiert, spricht also über Gedanken, die aufkommen. Dann kommt der Frühling und mit ihm neue Energie und auch Optimismus nach den langen Wintertagen. Jahreszeiten wirken auch mental auf die Menschen. Wenn wir auf Umbrüche schauen, müssen wir die gesamte menschliche Umgebung betrachten und dürfen etwa das Klima und die Landschaft nicht vernachlässigen.
Wenn wir auf die Vergangenheit gucken, neigen wir zur Verklärung. Sie sprachen eben davon, dass neue Ideen Eigendynamiken entwickeln, die nicht absehbar sind. Liegt darin nicht auch eine Gefahr?
Roper: Ja, große historische Bewegungen haben nie nur positive Seiten. Bei der Reformation vergessen wir zum Beispiel oft, wie stark sie mit Antisemitismus verbunden war. Die Forschung hat auch lange den Aspekt vernachlässigt, wie immens der Hass der Menschen gegen das Klosterleben war – und zu welchen Formen der Gewalt dieser Hass geführt hat. Die Bauern haben ihre Abneigung gegen den Zölibat, gegen Mönche und Nonnen und das Klosterleben allgemein mit sehr viel zerstörerischer Energie kundgetan und durch Plünderungen den Krieg finanziert.
Das heißt, es hat sich eine Art Zerstörungswut ausgebreitet?
Roper: Genau. Das geschah in einer Dynamik, die sich zunächst nicht mehr einfangen ließ und die weit über die Ablehnung eines bestimmten Lebensstils hinausging. Etwa die Hälfte der klösterlichen Institutionen auf dem Gebiet des Bauernkriegs, mögen sie noch so klein gewesen sein, wurden angegriffen, in Thüringen bis zu 70 Prozent. Das lag zum einen daran, dass man die rebellischen Bauern natürlich irgendwie versorgen musste. Die Zerstörung richtete sich aber auch gegen alles andere, was die alte Ordnung symbolisierte, vor allem Bücher. Davon waren Lehnbücher mit Verträgen und Zinsforderungen betroffen, aber auch Messbücher, um dem Klerus zu zeigen, dass seine Macht über die Religion ein Ende hat.
Sie betonen in ihrer Forschung immer wieder, dass man bei der historischen Betrachtung die sinnliche Erfahrung nicht außer Acht lassen darf. Wie sehr sind soziale Bewegungen darauf angewiesen, dass sich Gemeinschaft erleben lässt?
Roper: Ich denke, dass ein Gemeinschaftserlebnis immens wichtig ist und wir das lange nicht genug im Blick hatten. Menschen haben das Bedürfnis, sich zusammenzuschließen und Gemeinschaften zu bilden. Das gilt allemal in der Reformationszeit für die Menschen auf den Dörfern, die als Gemeinde zusammengelebt haben. Natürlich sollte man das nicht zu sehr idealisieren, auch hier gab es reichere Bauern mit größerem Einfluss. Frauen waren generell ausgeschlossen. Aber es gab eine etablierte Form von Brüderlichkeit. Wenn Menschen sich in Bewegungen zusammenschließen und ihre Dörfer verlassen, entstehen aber auch neue Erfahrungen, die gemeinschaftsstiftend und wichtig für den weiteren Fortgang sind.
Können Sie dafür einige Beispiele nennen?
Roper: Nehmen wir das gemeinsame Marschieren als eine Erfahrung. Plötzlich trifft man auf Menschen, die man sonst nie kennengelernt hätte. Sie haben womöglich einen anderen Herrn als man selbst oder stammen gar aus einem anderen Land. Da kommt es zu einem Austausch von Ideen und Erfahrungen, der zuvor nicht möglich gewesen war. Wir wissen, dass sich Bauern diesseits und jenseits des Rheins getroffen haben. Ich bin der Überzeugung, dass solche Treffen extrem wichtig gewesen sind. Man hat gemeinsam Nahrungsmittel erbeutet, sie gemeinsam am Feuer zubereitet und gegessen. Durch all das ist ein Gefühl von Gemeinschaft entstanden, das dann in Schlachten entscheidend war, weil man darin völlig aufeinander angewiesen ist.
Wie entstehen Gemeinschaften? Brauchen sie eigene Rituale, Symbole, eine eigene Form des Sprechens – und bilden sie ihre Identität dadurch, dass sie sich von anderen abgrenzen?
Roper: Ich hoffe sehr, dass Identitätsbildung nicht immer nur mit Abgrenzung einhergehen muss, aber zugleich besteht die Tendenz dazu immer. Denn es ist eine Schattenseite von Gruppenidentitäten, dass sie sich mitunter über die Diskriminierung anderer Gruppen oder über die Ablehnung von Menschen definieren, die in irgendeiner Form anders sind. Nun interessieren mich als Historikerin die Bande der Brüderlichkeit während der Reformation sehr, was mich zugleich herausfordert, weil ich immer wieder feststelle, dass Frauen davon ausgenommen waren. Das ist keine schöne Botschaft, sie gehört aber zur Wahrheit dazu. Frauen kamen zwar vereinzelt militärisch vor, aber sie waren kein Teil der Bruderschaften, sie waren in Rituale nicht eingebunden und spielten dort keine aktive Rolle. Als Feministin ist es für mich nicht einfach, damit umzugehen, auch wenn es wohl einige weibliche Zusammenschlüsse gegeben hat.
Warum faszinieren Sie die Bruderschaften als Zusammenschlüsse trotzdem?
Roper: Weil sie ein Beispiel dafür sind, wie Gemeinschaft ohne Klassendenken funktionieren kann. Natürlich kann man den Bauern Naivität vorwerfen, dass sie gedacht haben, allein durch den Schwur von Bruderschaft könnten sie gegen die Herrschenden gewinnen. Viel interessanter aber sind doch die Quellen, die zeigen, dass es den Menschen um eine gemeinsame Vision gegangen ist – um eine Welt von Einheit und von einer Art verwandtschaftlichem Miteinander. Gleichheit wäre zu viel gesagt, aber es gab da durchaus eine Offenheit. Eine Welt, in der Hierarchien keineswegs abgebaut sind, aber die von Rücksichtnahme geprägt ist – dass der Lehnsherr zusätzliche Dienste vielleicht nicht gerade zur Erntezeit verlangt.
Also bedingen sich vom Volk ausgehende Visionen von politischen Umbrüchen gar nicht immer mit der Auflösung von Hierarchien?
Roper: Auf dem Rathaus in Würzburg ist ein grüner Baum aufgemalt. Er erinnert an den einstigen Gemeindeplatz. Während des Bauernkriegs haben sich die Menschen dort tatsächlich versammelt und öffentlich beraten. Das leitet sich aus den dörflichen Vorstellungen von Demokratie ab, wie man gemeinsam zu einer Meinung kommt. Wenn jemand seitens der Herren zu den Debatten geschickt wurde, musste er vom Pferd steigen, um mit den Bauern auf einer Stufe zu stehen. Es ging nicht darum, dass es keinerlei Hierarchien mehr geben sollte, sondern darum, dass man Macht nicht willkürlich ausübte, sondern verhandelte. Natürlich wird in solchen Momenten auch die Macht, die von einer Gruppe gegenüber einem Einzelnen ausgeht, symbolisiert.
Sie haben betont, wie wichtig Visionen sind, wenn man in Umbrüchen steht. Auch heute brechen sich Forderungen Bahn, dass unsere Gesellschaft eine neue große Erzählung brauche – die gerade auch unter Mitwirkung der Kirchen entstehen solle. Wenn Sie zurückschauen: Welche Rolle hat die Theologie für die Bauern gespielt, als es darum ging, von einer besseren Zukunft zu träumen?
Roper: Die Ideen, die die Bauern beflügelt haben, haben sich vor allem aus den frühen Ideen Luthers entwickelt. Das zeigt sich zum Beispiel an der Messe, die ich in dem Zusammenhang für sehr wichtig halte. Christus hat uns mit seinem Blut freigekauft – was heißt das? Die Bauern haben das auf die Leibeigenschaft übertragen und zudem festgestellt, dass sie zwar diejenigen sind, die den Wein anbauen, der in der Messe zum Blut Christi gewandelt wird, sie ihn in der Messe aber nicht gereicht bekommen. Der Wein bleibt dem Klerus vorbehalten. Wenn man darüber nachdenkt, versteht man die Wut der Bauern noch etwas besser. Sie hatten das Gefühl, die Kirche stehle ihnen genau das, womit doch eigentlich ihre Freiheit erkauft wurde.
Das heißt, die Religion wurde einerseits als unterdrückerisch wahrgenommen, andererseits enthielt sie aber auch ein befreiendes Element?
Roper: Ja, das ist die Spannung, in der man sich befunden hat. Es ist allerdings schwer, dazu eine allgemeine Regel aufzustellen. In dieser Phase des 16. Jahrhunderts war die Kernerfahrung von Religion sicherlich die, dass der Klerus etwas fundamental falsch verstanden habe. Daraus entwickelten sich weitere Forderungen, die wiederum mit Luther zusammenhängen: Da ist das enorme Verlangen nach dem Empfang der Kommunion unter beiderlei Gestalt und das Einfordern des Rechts, dass eine Gemeinde selbst ihren Prediger bestimmen kann. Aber auch der Gedanke der Schöpfung spielt eine wichtige Rolle, wenn es um die Verbindung von Kirche und Politik geht.
Inwiefern kommt die Schöpfung dabei ins Spiel?
Roper: Wer bekennt, dass Gott die Welt geschaffen hat, der bekennt auch, dass er sie für alle Menschen geschaffen hat. Warum also sollten einzelne Personen Besitzansprüche äußern können, die sich auf große Flächen von Wäldern, Feldern und Flüssen beziehen? Das Gegenteil müsste der Fall sein. Wenn Gott die Welt für alle geschaffen hat, dann sind auch Luft und Wasser frei – und jeder soll Vögel fangen und Fische fischen dürfen, wie er sie zum eigenen Leben braucht. Diese Einsicht beinhaltet auch einen sorgsamen Umgang mit den Ressourcen der Natur, schließlich sollen sie für alle Menschen, auch für die nachfolgenden Generationen, reichen.
Obwohl für die Bauern Luthers Ideen so wichtig waren, hat Luther sich gegen die Bauern gerichtet; er hat auch die Gewalt gegen sie befürwortet. Wie konnte es dazu kommen, dass theologisches Werk und Person auseinanderzugehen scheinen?
Roper: Natürlich kann Luther sagen, dass er bestimmte Entwicklungen nicht gewollt oder eine Idee so nicht gemeint habe. Aber in einer Aufbruchsphase kann man nicht bestimmen, wo die eigenen Ideen stoppen und wie sie sich entwickeln. Eine Idee besitzt man nicht, wenn sie einmal in der Welt ist. Luther war, im Geiste der augustinischen Lehre von den zwei Reichen, davon überzeugt, dass man sich nicht gegen Autoritäten auflehnen soll. Er hat den Aufruhr der Bauern verurteilt. In seinem theologischen Denken ist das durchaus konsistent. Thomas Müntzer hingegen kam zu anderen Urteilen und unterstützte die Bauern in ihrem Aufstand, wenngleich auch er zwei Seiten und durchaus demagogische Züge hatte. Man sieht also, dass man aus einer Grundidee ganz unterschiedliche Konsequenzen ableiten kann.
Wie kommt es eigentlich, dass wir rückblickend die Reformation vor allem mit Luther in Verbindung bringen und viel seltener über all die anderen Theologen reden, die manche vielleicht gar als die besseren Theologen als Luther betrachten?
Roper: Ich plädiere dafür, dass wir die Reformation breiter verstehen, als wir es derzeit tun. Wenn wir die Reformation nur als Auslöser für die Konfessionalisierung betrachten, verengen wir ihre Breite und spitzen sie auf einzelne Personen zu. Wir verlieren so viel, wenn wir die Geschichte nur auf Luther fokussieren. Was ist mit all den anderen Theologen, etwa mit Müntzer und Philipp Melanchthon – und haben wir auch die ganz normalen Menschen im Blick? Auch sie können ihre eigene Form von Theologie und Spiritualität entfalten. Wenn wir all das vergessen, dann entgeht uns das Spektrum an Ideen, das es gegeben hat. Und uns entgehen auch all die anderen Möglichkeiten, wie die Geschichte hätte verlaufen können. Wir müssen unsere eingefahrene Sicht, die sich so sehr auf Luther konzentriert, aufbrechen. Wenn man zurückschaut, hat Luther doch eigentlich eine Propagandakampagne geführt – insbesondere gegen Müntzer.
Wieso ausgerechnet gegen ihn?
Roper: Es gab von vornherein Menschen, die in den Ideen Luthers die Möglichkeit für einen Aufstand der Bauern gesehen haben. Indem Luther nun Müntzer verantwortlich machte für eine gewisse theologische Ausdeutung, zog er sich selbst aus der Verantwortung. Er blieb in der Gunst der Fürsten und hat nicht nur sich selbst, sondern auch seine Ideen retten können. Man kann nur spekulieren, ob die Reformation das andernfalls überlebt hätte.
Wie geht man mit dem Scheitern einer Vision um? Die Bauernaufstände wurden schließlich blutig niedergeschlagen.
Roper: Die Frage beinhaltet erst einmal eine ganz konkrete Dimension. Wie ist man mit dieser entsetzlichen Menge an Leichenbergen umgegangen? Das sind doch Bilder, die kein Mensch je wieder vergisst. Seitens der Autoritäten ist man nach dem ersten Aufstand natürlich hellhörig geworden, wann immer es Gerüchte über neue Aufstände oder Ideen gab, die die bestehende Ordnung infrage stellten. Aber zu sagen, dass Repressionen wirklich im Sinne der Mächtigen funktioniert hätten, damit bin ich vorsichtig. Zumindest im sich ausprägenden Luthertum haben Repressionen zur Herausbildung eines eigenen Standes des Klerus mit eigener Kultur, Sprache und so weiter geführt. Das ist eine fragwürdige Entwicklung, die es im Protestantismus zu hinterfragen gilt.
Wurden denn mit den vielen getöteten Bauern auch all ihre Träume von einer anderen Zukunft begraben?
Roper: Wir wissen, dass es auch später noch Versuche zu Aufständen gegeben hat und dass es kleinere Gruppierungen und Bruderschaften gegeben hat, die eben nicht aufgegeben haben, sondern ihre Visionen weiterverfolgt haben. Ich bin der Überzeugung, dass dahinter mehr Personen standen als gemeinhin angenommen. Ich blicke mit Interesse darauf, wie in diesem Jahr in Deutschland des Bauernkriegs gedacht wird, und frage mich, ob dieses Gedenken den unterschiedlichen Perspektiven in Ost und West wirklich gerecht wird – oder ob nicht auch hier eindimensional dazu tendiert wird, den Bauernkrieg nur als Geschichte der aufkommenden Menschenrechte zu sehen. Übrigens hat es schon in der damaligen Gesellschaft eine Art Erinnerungskultur gegeben. Es sind zum Beispiel immer wieder Menschen zum Todesort Müntzers gepilgert. Luther hat das gar nicht gefallen.