Die Kapelle des St. Elisabeth-Hospitals,
einer großen katholischen
Geburtsklinik in Bochum, ist bis
auf die letzte Bank gefüllt. Kinderwagen
werden hereingeschoben, junge Familien
strömen in die Kirche, manche schauen
sich etwas unsicher um. Die Kleinsten
sind bei diesem Gottesdienst die Hauptpersonen.
Babys im Alter zwischen vier
Wochen und etwa einem halben Jahr und
ihre Familien, in denen mindestens ein
Elternteil katholisch oder evangelisch
ist, haben eine persönliche Einladung zu
diesem Gottesdienst erhalten. Etwa jede zehnte Familie hat sie angenommen und
ist mit der ganzen Familie gekommen,
manche haben auch die Großeltern mitgebracht.
Insgesamt sind es in Bochum
jährlich etwa vierzig Familien mit Babys.
Gekommen sind die Familien zu einer
ökumenischen Segensfeier für Babys, die
viermal im Jahr in der Kapelle des Elisabeth-
Hospitals stattfindet, einem von mittlerweile
zehn Standorten im Ruhrgebiet,
über Bistums- und Landeskirchengrenzen
hinweg getragen von insgesamt etwa
70 haupt- und ehrenamtlich engagierten
Frauen und Männern, die den jungen Familien
in dieser besonderen Lebensphase
Gottes Segen zusprechen.
Es herrscht eine ganz besondere Stimmung
bei diesen Gottesdiensten. Das merkt
jeder, der den Raum betritt. Man hört Babys
brabbeln, einzelne schreien etwas vor sich
hin, andere machen ein kleines Nickerchen.
Es ist dieser wunderbare Gesang des
Lebens, der die Kapelle erfüllt, jenes Lob,
das sich Gott aus dem Mund der Babys erschafft
(vgl. Ps 8,3 [EÜ 1980]). Und es mischt
sich mit leichten, tänzelnden Klaviertönen,
die in den Gesang der Babys einstimmen.
Die Beschreibung des Gottesdienstes
klingt unter den derzeitigen Rahmenbedingungen
geradezu utopisch, gibt sie doch
Momentaufnahmen „vor Corona“ wieder,
in denen ein Zusammenkommen vieler
Familien in einer Krankenhauskapelle
nichts Besonderes war. Allerdings hat
auch unter Corona-Bedingungen die Nachfrage
nach den Segensfeiern und die darin
zum Ausdruck kommende Sehnsucht nach
Segen nicht abgenommen – im Gegenteil!
Elternwerden und Elternsein
als spirituelle Erfahrung
Die Geburt eines Kindes ist ein entscheidender
Wendepunkt im Leben junger Eltern
und bringt neben großer Freude auch ganz
neue Herausforderungen mit: Junge Eltern
spüren, dass sie nicht alles selbst in der
Hand haben. Bei vielen entsteht nicht nur
der Wunsch, Glück und Dankbarkeit zum
Ausdruck zu bringen und ihr neugeborenes
Kind willkommen zu heißen, sondern auch
die Sehnsucht nach Segen, nach Schutz und
Behütet-Sein.
Segensfeiern für Familien mit Babys
versuchen, in der sich radikal wandelnden
Kultur des Elternwerdens ein ökumenisches
Gottesdienstangebot zu etablieren, das Kirche
und Glauben bei jungen Eltern (wieder)
ins Gespräch bringt. Sie knüpfen an die lange
kirchliche Tradition des Muttersegens an, jedoch
in neuer Weise und ausdrücklich unter
den veränderten Bedingungen unserer Zeit,
in der Geburt nicht mehr einfach Normalität,
sondern ein „Ausnahmeprojekt“ ist. In dieses
Erfahrungsumfeld – den spirituell und emotional
angefüllten Ereigniszusammenhang
von Schwangerschaft und Geburt – lassen
die Segensfeiern insbesondere das sogenannte
Kinderevangelium des Evangelisten
Markus (Mk 10,13–16 par) hineinklingen und
sprechen den Familien den Segen Gottes zu,
der allen Menschen von Anfang an gilt.
Darüber hinaus sind Segensfeiern für Familien
mit Babys Ausdruck eines kirchlichen
Perspektivwechsels. Sie werden ausdrücklich
und konkret von der Lebenssituation
der Menschen her gedacht und gestaltet, die
eingeladen sind – Christinnen und Christen
in verschiedenen familiären Konstellationen,
die gerade Eltern geworden sind. Ein
neues behutsames Wahrnehmen dieses
Erfahrungszusammenhangs von Schwangerschaft
und Geburt hat im Rahmen des
Zukunftsbildprozesses des Bistums Essen
und auch bei den sogenannten Erprobungsräumen
der Evangelischen Kirche im Rheinland
neue Überlegungen zu einem Eltern- oder
Familiensegen im Umfeld der Geburt
angeregt, dessen Resultat die Segensfeiern
für Familien mit Babys sind. Von Anfang an
sind die Feiern – wo es möglich ist – ökumenisch
verantwortet und von einem Team aus
Haupt- und Ehrenamtlichen getragen.
Gottesdienst mit
zwei Brennpunkten
Das Zentrum der Segensfeier selbst ist die
konkrete Zusage des Segens Gottes an jedes
einzelne Baby und seine Familie. Segnende
sind dabei genauso katholische und evangelische
Amtsträger/innen wie Ehrenamtliche,
die als Väter und Mütter und selbst
als Gesegnete diesen Segen Gottes weitergeben.
Die Segnenden legen ihre Hände
auf die Schultern der Eltern, die wiederum
ihre Hände ihrem Kind auflegen. Gemeinsam
wird um den Segen Gottes gebetet. Die
Segnenden sind dabei besonders in ihrer
Authentizität und ihrem Einfühlungsvermögen
gefragt. Im Segensakt soll erfahrbar
werden, dass sich hier kein magisches Geschehen
vollzieht, sondern im sprachlichen
und berührenden Geschehen des Segens die
Möglichkeit besteht, sich in der konkreten
persönlichen Begegnung zwischen Liturginnen
bzw. Liturgen, Eltern und Kind(ern)
Gottes „Ja“ zum Leben zusagen zu lassen.
Die Segensfeiern für Neugeborene und
ihre Eltern finden ihren Ort und ihre Zielgruppe
nicht ausschließlich in den klassischen
Gemeindestrukturen. Sie wenden
sich auch an die spirituell Suchenden und
die distanzierten Sympathisanten. Daher
spielen neben der konkreten und auch erfahrbaren
Zusage des Segens emotional ansprechende
Gestaltungselemente wie z. B.
eine Atmosphäre schaffende Beleuchtung
und Musik eine große Rolle. Auch konkrete
Bedürfnisse werden bei der Planung und Vorbereitung der Segensfeiern beachtet. So
muss auf eine gute Erreichbarkeit des Ortes,
Wickel- und Stillmöglichkeiten und einen
angemessenen Zeitrahmen von höchstens
etwa einer halben Stunde geachtet werden.
Auch „liturgische Barrierefreiheit“ ist besonders
wichtig. Liedzettel mit kurzen allgemeinverständlichen
Erläuterungstexten,
dem Lesungstext und dem Text des Vaterunsers
haben sich hier bewährt.
Am Schluss des Gottesdienstes erhält
jede Familie eine kleine Erinnerung an den
Gottesdienst, die dazu einlädt, dem Segen
Gottes – seinem unbedingten Ja zu jedem
Menschen – im Alltag Raum zu geben. Sie
besteht aus einem Schutzengel als sichtbarem
Zeichen für die Begleitung Gottes
sowie einem Flyer, der die Bedeutung von
Segen erklärt und einfache Anregungen
für eine familiäre Segenspraxis bereithält.
Ein ganz alltägliches Helferlein rundet das
Give-away ab: ein Lätzchen mit dem Aufdruck
„Ich bin gesegnet, auch wenn mal
was danebengeht!“. Es erinnert im ganz
normalen Alltag daran, dass Gott jeden
Menschen gewollt und gesegnet hat und
ihn in allen Lebenslagen begleitet.
Um sich auch rituell klar von der Taufe abzugrenzen, wird beim Segensritus kein Weihwasser verwendet. Die Eltern sind eingeladen, dem Kind die Hände auf den Kopf zu legen. © Bistum Essen/Nicole Cronauge
Berührende Gottesdienste –
auch in Corona-Zeiten
Auch unter Corona-Bedingungen und damit
unter den Vorzeichen möglichst berührungsloser
gottesdienstlicher Formen,
die die Möglichkeit der physischen Distanz
ermöglichen, können solche Segensfeiern
„funktionieren“ und haben dabei – so zeigen
unsere Erfahrungen – wohl gerade wegen
der besonderen Unsicherheit und der
Herausforderungen, vor denen werdende
und junge Familien derzeit stehen, nichts
an ihrer Attraktivität einbüßt.
Die Zahl der Anmeldungen für die Segensfeier
war im Sommer 2020 sogar signifikant
höher als vorher, und so wurde ein
Pfarrgarten mit großen und alten Bäumen
zu einem Gottesdienstort, an dem man die
schöpfungstheologische Verankerung der
Segensfeiern noch einmal auf neue Weise
spüren konnte. An einem herrlichen Spätsommertag
saßen die Familien auf mitgebrachten
Picknick-Decken mit viel Luft
und Abstand dennoch beieinander, und die
Atmosphäre war zugleich lebendig und gesammelt.
Natürlich ist eine haptische Berührung
der Familien durch die Segnenden
unter Corona-Bedingungen nicht möglich.
Es musste außerdem bei der persönlichen
Segenszusage der physische Abstand gewahrt
bleiben. Aber auch das tat dem „berührenden“
Moment des Segnens keinen
Abbruch.
Als dann im November 2020 – auch
beim besten Willen – ein solcher Gottesdienst
im Außenbereich nicht mehr
möglich war und angesichts der Entwicklung
der Infektionszahlen auch
ein Präsenzgottesdienst nicht mehr verantwortbar
gewesen wäre, wurde spontan,
ad experimentum, eine digitale Segensfeier
als Videokonferenz geplant. Die
jungen Eltern haben diese Form ebenfalls
gerne angenommen. Bei der Gestaltung des
Gottesdienstes lag die Besonderheit darin,
dass der individuelle Segenszuspruch einen
Platz erhalten sollte. Dafür griff der Gottesdienst
auf sogenannte „Breakout-Sessions“
zurück, sodass nach einem gemeinsamen
Teil, der wie gewohnt aus Gebet, Schriftlesung
und Auslegung bestand, jede Familie
in einen eigenen digitalen Raum „verschoben“
wurde und die Segnenden so von
Raum zu Raum „springen“ und den Segen
persönlich zusagen konnten. Das war insofern
eine besondere Erfahrung, als nicht
mehr die Familien zum Ort der Segensfeier
kamen, sondern der oder die Segnende –
zumindest virtuell – im ganz alltäglichen
Lebensumfeld der Familie, in der Regel in
ihrem Wohnzimmer, zu Gast sein durfte.
Das normalerweise physisch überreichte
Give-away fand erst im Anschluss seinen
postalischen Weg zu den Familien. Uns
ermutigen die Erfahrungen insofern, als
wir feststellen, dass der Segen Gottes auch
unter den derzeitigen Bedingungen seinen
Weg findet und sich ereignet trotz physischer
Distanz und in digitaler Vermittlung.
Segensfeiern für
werdende Mütter und Väter
Parallel zu den Segensfeiern für Familien
mit Babys hat das Projekt auch die
Phase der Schwangerschaft und des Elternwerdens
in den Blick genommen.
Anders als viele parallele Angebote, die
Segensfeiern für Schwangere anbieten,
bezieht der Fokus der werdenden Eltern
auch die werdenden Väter mit ein.
Beide Partner sind, so unsere Erfahrungen,
ansprechbar für die Frage nach dem
Ganzen des Lebens und der Schöpfung
auch und gerade in ihrer spirituellen Dimension.
Deshalb lohnt der Versuch des
Anknüpfens an die fast ausschließlich
medizinisch geprägten Orte und Handlungsträger/innen der Schwangerschaftsbegleitung,
in der religiös-existenzielle
Erfahrungen oft keinen Raum erhalten
können.
Es ist insbesondere die Gegensätzlichkeit
der Gefühle von Schwangerschaft, Geburt
und Elternschaft, denen dabei Rechnung getragen
werden muss. Das gilt grundsätzlich
für alle Eltern, ist jedoch nach konkreten
Gegebenheiten (Risikoschwangerschaften,
finanzieller/sozialer Situation, eventueller
Vorerfahrungen mit Fehlgeburten etc.) noch
einmal sehr unterschiedlich und erfordert
beim Umgang größte Sensibilität. Segensfeiern
können werdenden Eltern Räume eröffnen,
in denen alle ihre inneren Stimmen
– gerade auch die, die in dem medizinisch
dominierten Routineablauf der Schwangerschaftsvorsorge
keine Stimme haben (dürfen) – zur Sprache kommen können.
Auch bei uns im Ruhrgebiet gibt es diese
besonderen Segensfeiern. Sie finden freilich
in einem sehr viel kleineren Rahmen statt
als die Segensfeiern für Familien mit Babys.
Vielerorts sind sie mit den Kreisssaalführungen
verknüpft, bieten werdenden Eltern im
Anschluss einen Moment des Durchatmens,
eine Besinnung auf die Freude und Sorgen
und sprechen ihnen den Segen zu. Die werdenden
Eltern erhalten in diesen Feiern im
Rahmen eines Fürbittritus ein Babybrei-
Gläschen, das außen mit einem Segensgebet
bedruckt ist und in dem die Eltern ein
Teelicht anzünden können. Zu Hause erinnert
dieses Gläschen dann in den unterschiedlichsten
Situationen von Schwangerschaft
und Geburt an die Erfahrung des
Segens. Aus Rückmeldungen werdender
Eltern lange nach den Segensfeiern wissen
wir, dass vielen dieses einfache Gläschen
zu einem wichtigen Begleiter in dieser Zeit
wird.
Informationen zu beiden Formen der ökumenischen
Segensfeier finden sich online: www.segenberuehrt.de