Die Periode von Ostern bis Pfingsten gehört zusammen mit der Fasten- sowie der Advents- und Weihnachtszeit zu den Geprägten Zeiten, deren liturgische Texte ganz auf die heilsgeschichtlich zentralen Ereignisse im Leben Jesu Christi ausgerichtet sind. Dementsprechend führen die sonntäglichen Evangeliumslesungen in der Osterzeit anschaulich und daher für die Gläubigen leicht nachvollziehbar die Freude über die Auferstehung Jesu vor Augen. Immer wieder ist Jesus in der Verkündigung präsent, immer wieder zeigt er sich, immer wieder sichert er seine Gegenwart, seine Begleitung und die Verheißung auf das ewige Leben zu. „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20), um nur ein Beispiel zu nennen. Ja, man kann sich als Gottesdienstteilnehmer darauf freuen, in den Evangeliumstexten diese mitreißenden Erzählungen voller Lebendigkeit, Kraft und Frische zu hören, die Geschehnisse so bildhaft vor Augen geführt zu bekommen und die kraftvolle Zusicherung des Heiligen Geistes als Beistand zu erfahren.
Und die Erste und Zweite Lesung? Sind sie angesichts dieser überbordenden Ereignisse überhaupt wichtig und hörenswert? Oder werden sie nur aus Gewohnheit gelesen, und könnte man nicht wenigstens auf eine davon verzichten? Es darf nicht vergessen werden: Alle Lesungstexte nehmen Jesu Tod und Auferstehung in den Blick. Die Lektorinnen und Lektoren sensibilisieren dafür. Die Lesungen bereiten darauf vor, sich der Botschaft des Evangeliums auch wirklich zu öffnen. Sie stets beide zu lesen, zieht die weitverbreitete Befürchtung nach sich, so viel Text, so viele Worte zu Gehör zu bringen, könne die Hörenden überfordern und überlasten. Fragen wir einmal umgekehrt: Worauf verzichten wir, wenn eine der Lesungen fehlt? Und welche wäre verzichtbar?
In der Ersten Lesung hören wir durchgehend die Apostelgeschichte, in der zweiten Lesung im diesjährigen Lesejahr A Ausschnitte aus dem Ersten Petrusbrief. So sehr beide auf die Botschaft des Evangeliums hinführen, sind sie in ihrem Stil doch außerordentlich verschieden.
Texte für Herz und Verstand
Die Apostelgeschichte gibt auf sehr anschauliche Weise Einblick in die Lebenswelt der Jüngerinnen und Jünger nach dem Tod Jesu. Das Geschehen in dieser Erzählweise zum Ausdruck zu bringen, könnte spannender nicht sein. Der Text sprüht vor Begeisterung, Freude und Emotionalität, die in mitreißender Leidenschaft vorgetragen werden sollte und auf diese Weise für Lektoren geradezu zu einem Genuss werden kann. Als Lektor bzw. Lektorin steht man immer vor der Herausforderung, sich einen Text so weit zu eigen zu machen, dass die Botschaft für die Hörenden verständlich wird. Die literarische Gattung der Erzählung macht es dem Lesenden leicht: Es gibt eine Handlung, einen Ort, wo sich das Geschehen abspielt, Personen, die handeln und miteinander sprechen, Begegnungen, einen Handlungsfortgang oder einen Ortswechsel. Die Szene erscheint wie ein Bühnenbild, in das der Hörer eintreten kann. Er oder sie wird mitgenommen und durch die Szene geführt. Was geschieht, lässt sich sofort erfassen, und man tritt in Beziehung dazu. Leicht lässt man sich als Lesender berühren und kann dies auf die Hörenden übertragen, auch wenn das nicht das primäre Ziel sein muss. Vorlesende müssen meist gar nicht viel tun, weil der Text für sich spricht. Wenn man als Lektor ein lebendiges Lesen üben will, ist die Apostelgeschichte eine überaus dankbare Textgattung.
Dagegen der Petrusbrief: Schon auf den ersten Blick erscheint er nüchterner, weil er weniger Bilder zu bieten hat; zudem zeichnet er sich durch lange Sätze aus, die es einzuteilen gilt. Und damit handelt es sich um einen Lesungstext, wie er Lektoren häufig begegnet. Er beginnt mit einem Lobpreis am Zweiten Sonntag der Osterzeit: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns in seinem großen Erbarmen neu gezeugt zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten (…)“ (1 Petr 1,3). Klingt das nicht merkwürdig vertraut aus den Paulusbriefen? Wortwahl und Satzbau verlangen eine wirkliche Auseinandersetzung, um die Information zu erfassen und die Botschaft zu verstehen: „… zu einem unzerstörbaren, makellosen und unvergänglichen Erbe, das im Himmel für euch aufbewahrt ist“ (ebd.). Wie so oft auch in Paulusbriefen erschließt sich der Inhalt nur durch weiteres Wissen, das teilweise durch die Worte des Autors selbst dargelegt und erläutert wird. Das Heil am Ende der Zeit, die Offenbarung Jesu Christi sind das durchgängige Thema. Der Grund dafür ist die Auferstehung Jesu Christi. Was der Autor von den Adressaten fordert und zugleich voraussetzt, ist der bedingungslose Glaube, der so gefestigt sein muss wie Gold, das im Feuer geprüft wurde und doch vergänglich ist (vgl. V. 7)! So sieht der Verfasser auch die Freude und den Jubel über das bevorstehende und aufgrund des Glaubens sicher unverrückbare Heil, auch wenn – zumindest für kurze Zeit – noch „mancherlei Prüfungen“ durchzustehen sind (V. 6). Einziges Bild in diesem Text ist das im Feuer geprüfte Gold, das als Vergleich zur Festigkeit des Glaubens fungiert. Dieses Bild hat nicht die präsente Kraft einer Handlung wie in einer Erzählung (Bsp.: „Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl (…)“, Apg 2,46), sondern hat die Funktion eines Vergleichs, um die Sichtweise des Verfassers zu veranschaulichen. Für Lektoren liegt die Aufgabe darin, den Text kognitiv, aber auch spirituell zu durchdringen, um das, was gemeint ist, auch mitteilen zu können. Hier ist ein analytischer Blick notwendig, wohingegen die Apostelgeschichte das gefühlsmäßige Erleben anspricht. Die Texte sprechen gewissermaßen die Polarität Gefühl und Intellekt, Kopf und Herz an.
In der Apostelgeschichte erleben wir schließlich auch einen Auftritt von Petrus („Am Pfingsttag trat Petrus auf […] und begann zu reden“, Apg 2,14). In glühender Überzeugung spricht er über die Geschehnisse, und man kann sich seinen Auftritt unerschütterlich und entschieden vorstellen. Dies untermauert er bereits durch die selbstgewählte Ankündigung: „Dies sollt ihr wissen, achtet auf meine Worte“ (ebd.). Darauf folgt (am Dritten Sonntag der Osterzeit) der Petrusbrief in vergleichsweise viel nüchternerer Wortwahl. Durch die direkte Ansprache tritt er auch hier in Beziehung zu den Hörenden und den heute Glaubenden. Er lässt es an Eindringlichkeit und auffordernden Worten nicht fehlen und macht deutlich, welche Verheißung der Glaube an Jesus Christus mit sich bringt: „Wenn ihr den als Vater anruft, (…) dann führt auch, solange ihr in der Fremde seid, ein Leben in Gottesfurcht! Ihr wisst, dass ihr (…) losgekauft wurdet, nicht um Silber oder Gold, sondern mit dem kostbaren Blut Christi“ (1 Petr 1,17–18). Der unerschrockene Auftritt, den wir zuvor gehört haben, setzt sich hier in überzeugenden Worten fort. Im Evangelium dürfen wir wieder die Gegenwart Jesu miterleben und uns davon überzeugen, was die Standhaftigkeit im Glauben wirklich bedeutet.
Auch am Vierten Sonntag der Osterzeit hören wir in der Apostelgeschichte die direkte Ansprache von Petrus bei seinem Auftritt an die versammelten Menschen, und seine Worte trafen sie „mitten ins Herz“ (Apg 2,37): „Mit noch vielen anderen Worten beschwor und ermahnte er sie“ (V. 40). Die Überzeugungskraft und die beschwörende Ausstrahlung, die von ihm ausgegangen sein muss, veranlasste viele, sich taufen zu lassen. Der Petrusbrief, zwar mit direkter Anrede, ist vergleichsweise berichtend; die lebendige Identifikation der erlebten Szene fehlt ihm. Er will Verständnis wecken für das Wirken Jesu („Durch seine Wunden seid ihr geheilt“, 1 Petr 2,24), der wie der Hirte von Schafen zum Hirten der Seelen werden wird. Inhaltlich und glaubensgemäß logisch münden die Worte in das Evangelium des guten Hirten.
Die weiteren Sonntage behalten das Prinzip bei: In der Apostelgeschichte erfahren wir erzählte Handlung, während der Petrusbrief analytisch-abstrakt bleibt. Einzig wählt er noch das Bild des „lebendigen Steins“, des Ecksteins, und schließlich die Aufforderung, stets bereit zu sein, für die Botschaft Jesu einzutreten (vgl. 1 Petr 3,15).
Anspruch und Auftrag
Vor diesem Hintergrund wird man kaum noch fragen können, ob eine der Lesungen verzichtbar ist. Die Botschaft der Auferstehung soll sich in der Verkündigung widerspiegeln. Alle Gläubigen haben einen Anspruch darauf, die Botschaft – nicht nur – in der Osterzeit sehr bewusst zu hören und wahrzunehmen. Die Lektoren füllen diesen Anspruch mit Leben: Sie setzen sich mit der Botschaft auseinander, rücken sie in den Fokus und geben sie den Hörenden mit auf den Weg. Sie zeigen die Zusammenhänge und weisen darauf hin, worum es als glaubende Person eigentlich geht. Sie können die Apostelgeschichte mit Leidenschaft lesen, und auf diese Weise die Begeisterung der damals versammelten Jünger transportieren. Sie können sich Petrus bei seinen mutigen, kühnen Auftritten vorstellen, und den Verfasser des Petrusbriefes als denjenigen, der Zeugnis für das Geschehen gibt und uns als heute Glaubende vom Wesenskern des Glaubens überzeugen kann. Wenn Lektoren dies mahnend, werbend, ermutigend lesen, geben sie selbst Zeugnis und geben mündlich das weiter, was der Verfasser damals schriftlich festgehalten hat, und zeigen, dass diese Texte wirklich unverzichtbar sind. Wenn die Verkündigung der Frohen Botschaft wesentlicher Bestandteil der Liturgie ist, braucht sie auch den nötigen Stellenwert. Der Auftrag, der sich an alle Versammelten richtet, ist, den Blick und das Ohr wieder mehr zu schärfen für das, was mitgeteilt wird. Dadurch wird nicht nur die Bedeutsamkeit der Botschaft, sondern auch die Bedeutung der Verkündigung hervorgehoben. Alle sind herausgefordert, Verkündigung zu dem zu machen, was sie ist: Wertschätzung der Schriftlesungen, liturgische Vorbereitung wo nötig, und ein lebendiger Lesevortrag.