Egozentrisch
Es gibt zwei verschiedene Arten von Gleichgültigkeit. Den einen ist alles gleichgültig, weil sie nur an sich selbst interessiert sind. Hauptsache, mir geht es gut. Die Haltung dahinter: Für mich gilt nur, was mir nützt und was mein Wohlbefinden stärkt. Das ist die egozentrische Gleichgültigkeit. Das Leid anderer Menschen und ihre Sehnsüchte interessieren mich nicht. Das führt dazu, dass Menschen nicht wahrgenommen und abgesondert werden, insbesondere die Schwächeren. In einer Predigt zum „Barmherzigkeitssonntag“ hat Papst Franziskus diese Haltung als ansteckende Krankheit unserer Zeit charakterisiert, als soziales Virus: „Es überträgt sich ausgehend von der Idee, dass das Leben besser wird, wenn es besser wird für mich, dass alles gut ausgeht, wenn es gut ausgeht für mich.“
Depressiv
Die andere Form von Gleichgültigkeit ist eine depressive Gleichgültigkeit: Man kann sich über gar nichts freuen, hat aber auch kein Empfinden für Menschen, die leiden. Alles ist gleich langweilig, gleich wertlos. Man lebt gleichgültig dahin, kann sich für nichts begeistern. Und man ist unfähig, mit anderen Menschen mitzufühlen. Das ist eine sehr reduzierte Form des Menschseins. Alles bleibt an der Oberfläche und das macht seelisch oberflächlich. 2013 hat Papst Franziskus auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa Tausender auf der Überfahrt von Afrika ertrunkenen Migranten gedacht. „Wir haben uns an die Leiden anderer gewöhnt“, sagte er. „Es betrifft uns nicht, es interessiert uns nicht, es geht uns nichts an.“ Gleichgültigkeit gegenüber der Not anderer, das ist: Viele lesen vom Untergang eines Schiffes mit Flüchtlingen. Doch es berührt sie nicht. Sie gewöhnen sich daran. Eine solche Haltung macht nicht nur den einzelnen Menschen, sondern die ganze Gesellschaft krank.
Abgestumpft
Gleichgültigkeit ist der Tod echter Beziehung. Psychologen meinen, Gleichgültigkeit sei auch eine der häufigsten Ursachen, dass eine Paarbeziehung scheitert. Der Partner oder die Partnerin hat das Gefühl, dass der andere sich gar nicht für ihn/sie interessiert. Solche Nichtbeachtung verletzt. Man fühlt sich neben dem anderen einsam, wertlos. Man existiert nicht für ihn. Dem Gleichgültigen ist auch ein Streit unwichtig. Er weicht allem aus. Er lebt nur für sich selbst. Gleichgültigkeit ist das Gegenteil von Liebe, auch in der Partnerschaft. Der Partner leidet an seiner Einsamkeit. Psychologen haben festgestellt, dass etwa ein Fünftel der Kinder gleichgültig sind gegenüber der Not anderer Kinder. Sie haben die Einstellung: Wenn ein Kind neben mir traurig ist, ist das sein Problem, es interessiert mich nicht. Diese Haltung führt später nicht nur zur Gleichgültigkeit der Not anderer Menschen gegenüber, sondern auch zum Desinteresse an der Politik und am Gemeinwohl. Auch in der Firma sind einem die Kollegen egal. Hauptsache, ich verdiene mein Geld. Doch mit einer solchen Einstellung schadet man nicht nur dem Klima in der Firma und in der Gesellschaft, sondern auch sich selbst. Denn das ist wirklich reduziertes Leben. Wer so abgestumpft lebt, der muss seiner Leere ständig aus dem Weg gehen, indem er möglichst viele Events sucht oder ständig am Smartphone sitzt und alles Mögliche in sich hineinzieht. Das macht allmählich nur noch gefühlloser.
Gefühllos
Gleichgültigkeit kann auch eine Form von psychischer Krankheit sein. Das äußert sich als Teilnahmslosigkeit, als Leidenschaftslosigkeit und Unempfindlichkeit. Das kann viele Ursachen haben. In der Depression hat man oft kein Gespür, weder für sich, noch für andere, noch für das Leben. Aber auch posttraumatische Störungen können zu dieser Teilnahmslosigkeit führen. Menschen, die krankhaft gleichgültig sind, brauchen eine therapeutische Begleitung. Ich habe eine Frau begleitet, die nichts mehr gefühlt hat, weil ihr Vater ermordet wurde, als sie vier Jahre alt war. Die Gefühllosigkeit war für sie ein Schutz, um dem übergroßen Leid aus dem Weg zu gehen. Als erwachsene Frau hat sie darunter gelitten. Erst als sie sich dem Schmerz des Kindes, ihrem eigenen Schmerz also, gestellt hat, hat sie langsam wieder gelernt, elementar zu empfinden, die Sonne und den Wind auf ihrer Haut zu spüren, das Essen zu schmecken.
Lustlos
Im Mönchtum wird die Gleichgültigkeit unter dem Namen „Akedia“ beschrieben. Evagrius Ponticus schildert humorvoll einen Mönch, der an Akedia leidet: Er sitzt in seinem Kellion und liest in der Bibel. Doch das Lesen ist langweilig. Er wird schläfrig, klappt die Bibel zusammen, nimmt sie als Kopfkissen und will schlafen. Doch er kann nicht schlafen. Er steht wieder auf, sieht zum Fenster heraus, ob nicht ein anderer Mönch ihn besucht. Dann schimpft er über die anderen Mönche, dass sie kein Interesse für ihn zeigen. Dann ärgert er sich, dass es in seinem Kellion feucht ist. Dann juckt ihn sein Habit. Er möchte am liebsten aus der Haut fahren. Akedia ist die Unfähigkeit, sich auf den Augenblick und auf andere einzulassen, die viele heute plagt: Ich habe weder Lust zum Arbeiten, das ist zu anstrengend. Noch zum Beten, das ist langweilig. Ja, ich kann nicht einmal das Nichtstun genießen. Ich bin nicht gerne allein. Aber Menschen sind mir auch unangenehm. Da müsste ich mich ja auf den anderen einlassen. Ich beschäftige mich entweder nur digital mit anderen Menschen oder ich gehe in die Stadt, um mich abzulenken. Aber ich nehme mit niemandem wirklich Kontakt auf.
Gefühle kommen zu kurz
Unsere Gesellschaft ist heute durch die Macht der neuen Medien in Gefahr, insgesamt gleichgültig zu werden. Auf der einen Seite können diese Medien helfen, die Einsamkeit zu überwinden und in Verbindung mit vielen Menschen zu treten. Aber häufig sind es keine emotionalen Begegnungen. Austausch von Informationen findet zwar statt. Die Gefühle kommen dabei aber zu kurz. Die Gleichgültigkeit nimmt auch zu, weil wir in den Medien ständig mit dem Leid auf der ganzen Welt konfrontiert werden. Das können wir kaum aushalten. Manche lassen sich lähmen, weil sie ihre Ohnmacht spüren, das Leid anderer zu mindern. Andere schotten sich ab, um sich vor dem Leid der anderen zu schützen. Da bräuchte es als Gegenpol die Fähigkeit des Mitgefühls: Ich fühle mit den Leidenden. Aber ich identifiziere mich nicht mit ihnen. Denn sonst werde ich von ihrem Leid so beherrscht, dass ich mich nicht mehr dem Leben zuwenden kann.
Was helfen kann
Die Gleichgültigkeit lähmt die Gesellschaft. Das gilt auch im Blick auf den Klimawandel. Die Prognosen sind klar und wir wissen, welche Gefahren der Klimawandel mit sich bringt. Wir wissen, dass er die Grundlagen unseres Lebens wesentlich verschlechtert, dass wir unseren Nachkommen ein schwieriges Erbe hinterlassen. Doch wir hören es und interessieren uns nicht weiter dafür. Die dahinter stehende Haltung: Hauptsache, ich kann in Urlaub fliegen. Welche Auswirkungen das auf die Umwelt hat, ist mir gleichgültig. Was hilft da? Aufgabe von Menschen, die therapeutisch oder seelsorgerisch arbeiten, aber auch von Menschen in Politik, Wirtschaft und Medien ist es, die Menschen dazu aufzurütteln, ihre Augen zu öffnen, ihr Mitgefühl und ihre Solidarität zu wecken. Das ist freilich ein langer Weg. Solches Aufrütteln kann nicht durch Moralisieren geschehen: Das würde ein schlechtes Gewissen schaffen und höchstens Schuldgefühle verursachen, die aber nicht zu einem neuen Verhalten führen. Wir sollten lernen von Jesus, der nicht moralisiert, aber den Menschen die Augen öffnet, indem er sie durch seine Gleichnisse oder durch seine Bildworte provoziert und ihnen so die Augen öffnet. So mahnt er auch uns: „Ihr Heuchler! Das Aussehen der Erde und des Himmels könnt ihr deuten. Warum könnt ihr dann die Zeichen dieser Zeit nicht deuten?“ (Lk 12,56) Die Zeichen der Zeit sind für Jesus Aufruf zur „metanoia“, zum Umdenken und zur Umkehr. Dem Gleichgültigen muss das Brett weggezogen werden, das er vor seinem Kopf hat, damit er sich mit allen Sinnen den anderen Menschen und der Wirklichkeit seines eigenen Lebens zuwendet.