Das "Fenster der Gelegenheit" schließt sichStrategische Überlegungen zur Entwicklung des katholischen Klerus

Unter jüngeren Priestern gibt es keine Mehrheit für die Anliegen des Synodalen Weges. Was bedeutet das für die weitere Entwicklung des Katholizismus?

Priester
© Unsplash

Vor einigen Monaten hatte eine US-amerikanische Studie dokumentiert, dass die dortigen katholischen Priester im Laufe der letzten Jahrzehnte mit jedem Weihejahrgang konservativer geworden sind. Aus der jüngsten Kohorte der US-Priester gibt es nahezu niemanden mehr, der sich selbst als liberal oder fortschrittlich versteht. Nun zeigt eine Studie zu den in Deutschland zwischen 2010 und 2021 geweihten Priestern, dass die hierzulande diskutierten Reformanliegen bei ihnen mehrheitlich keine Zustimmung finden: Nur 29,6 Prozent der befragten Jungpriester stimmen der Aussage zu: "Der Zölibat gehört abgeschafft, Priestern sollte die Ehe erlaubt werden, Verheiratete Personen sollten ordiniert werden dürfen" und lediglich 25,7 Prozent sagen: "Die Frauenordination sollte gestattet werden". Gleichzeitig fordern 80 Prozent "mehr Angebote mit spirituellem Tiefgang" und 75,7 Prozent eine "stärkere Ausrichtung auf die Vermittlung von Glaubensinhalten".

Jetzt oder nie

Für diejenigen Akteure im deutschen Katholizismus, die sich für die Reformagenda des Synodalen Weges starkmachen, zeichnet sich hier ein strategisches Problem ab: Das Zeitfenster für die angestrebten Reformen schließt sich. Daher das Ultimative, der Gestus gesteigerter Dringlichkeit, mit der die Forderungen zuletzt vorgetragen wurden. Den Reformern läuft die Zeit davon. 

Die Jungpriester von heute sind die Bischöfe von morgen.

Ein wichtiger Faktor in der katholischen Kirche ist die einflussreiche Stellung ihres Oberhauptes: Auch wenn Papst Franziskus nur wenig konkrete Veränderungen durchgesetzt hat, hat seine Reformrhetorik entsprechende Debatten befördert. Doch das Pontifikat neigt sich dem Ende zu. Niemand weiß, welche Schwerpunkte der nächste Papst setzen wird.

Derzeit steht unter den deutschen Bischöfen der "Babyboomer"-Generation eine Mehrheit hinter den Reformanliegen. Das könnte in 20 Jahren anders aussehen: Die Jungpriester von heute sind die Bischöfe von morgen. Die Gewichte zwischen Neuerern und Bewahrern werden sich in Zukunft wohl zugunsten der Bewahrer verschieben – wenn es denn bei den derzeit geltenden "Zulassungsbedingungen" bleibt.

Unter den jungen Theologinnen und Theologen, die keine Priester sind, dürfte der Anteil der Reformer sicher höher sein: Diese Gruppe stellt auch den Nachwuchs für Funktionärsposten in der Bistumsbürokratie, in Akademien, Verbänden und anderen Organisationen, die nicht Priestern vorbehalten sind. Doch auf längere Sicht ist das Fortbestehen dieser nichtpriesterlichen Funktionselite gefährdet: Einerseits bedroht der Rückgang der Kirchensteuer die Existenz der entsprechenden Posten, anderseits schwindet die Zahl derjenigen, die überhaupt noch ein theologisches Studium absolvieren.

Die Priesterschaft der Zukunft mag konservativ sein, sie wird aber auch deutlich kleiner sein als heute.

Gleichzeitig schrumpft auch die Zahl der Priester. Die Priesterschaft der Zukunft mag konservativ sein, sie wird aber auch deutlich kleiner sein als heute. Im untersuchten Zeitraum wurden nur mehr 847 Priester geweiht – und die Zahl der Neupriester sinkt jedes Jahr weiter. Die Dezimierung des Klerus dürfte indes proportional zum Rückgang der praktizierenden Katholiken sein. Noch gibt es allerdings weitaus mehr Kirchensteuerzahler als Menschen, die tatsächlich in irgendeiner Form am kirchlichen Leben teilnehmen. Das führt derzeit zu einer Disproportionalität von Strukturen und Gläubigen.

Eine Zulassung von Nichtzölibatären und Frauen zum Priesteramt würde dem Rückgang entgegenwirken und zunächst die liberale Fraktion im Klerus stärken – allerdings wäre die Wirkung angesichts des allgemeinen theologischen Nachwuchsmangels wohl nur kurzfristig. Glaubt man den Religionssoziologen, dann wird die Kirche der Zukunft ohnehin kleiner sein, unabhängig davon, ob sich die reformorientierte oder doch die konservative Strömung in ihr durchsetzt.

Natürlich lässt sich nicht ausschließen, dass sich zukünftig gesellschaftliche und kulturelle Umbrüche vollziehen, die eine Renaissance des Christentums im Westen möglich machen. Die Geschichte kennt abrupte Paradigmenwechsel – die aber unmöglich vorherzusagen sind.

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