"Christus ist der erste Exeget"Zum Sonntag des Wortes Gottes

Die katholische Kirche begeht den "Sonntag des Wortes Gottes". Das Lesen der Heiligen Schrift wird nur dann fruchtbar, wenn es sich für die Wirkung des Heiligen Geistes öffnet.

Bibel
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Am 30. September 2019, am Fest des heiligen Hieronymus, des Schutzpatrons der (katholischen) Exegeten, hat Papst Franziskus mit dem Motu proprio "Aperuit illis" (vgl. Lk 24,45) den dritten Sonntag im Jahreskreis als Sonntag des Wortes Gottes eingesetzt (in Deutschland wird er am letzten Sonntag im Januar begangen). Damit greift er ein Anliegen auf, das Papst Benedikt XVI. im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben "Verbum Domini" (VD) über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche vom 30. September 2010 als das "Herz des christlichen Lebens" bezeichnet hat, wenn er schreibt: "Die Kirche gründet in der Tat auf dem Wort Gottes, sie entsteht und lebt aus ihm" (VD 3). Man könnte fragen, ob nicht jeder Sonntag ein Sonntag des Wortes Gottes ist, wenn wir die Worte der Heiligen Schrift in der Lesung und in der Verkündigung des Evangeliums hören.

Die Schrift in ihrer Tiefe verstehen

Mit dem Hören und Lesen allein ist es jedoch nicht getan. Es geht darum, die Schrift "in ihrer Tiefe zu verstehen", schreibt Papst Franziskus im genannten Motu proprio (1). Genau das scheint mir die große Herausforderung zu sein, vor der Verkündigung und Katechese heute gleichermaßen stehen.

In dem theologisch reichhaltigen Schreiben gibt der Papst wertvolle Anregungen: Die Pfarrer mögen im Gottesdienst hervorheben, "wie wichtig es ist, im Alltag das Lesen und die Vertiefung der Heiligen Schrift wie auch das Beten mit ihr fortzusetzten, besonders im Hinblick auf die lectio divina" (3). Das Lesen der Heiligen Schrift wird nur dann fruchtbar, wenn es sich für die Wirkung des Heiligen Geistes öffnet: Das Wirken des Heiligen Geistes verwandelt das nach Menschenart verfasste Menschenwort der Heiligen Schrift in Gotteswort (9). Der Papst erinnert daran, dass die Inspiration der Hagiographen und der Heiligen Schrift nur zur Wirkung kommen kann, wenn auch das Lesen und Hören der Heiligen Schrift in einer Haltung erfolgt, die sich dem Wirken des Heiligen Geistes nicht verschließt: "Es wäre in der Tat eine Verkürzung, wollte man das Wirken des Heiligen Geistes nur auf die göttlich inspirierte Natur der Heiligen Schrift und ihrer verschiedenen Autoren beschränken" (10).

In der Tat bringt der Rekurs auf den Heiligen Geist jedes Argument zum Verstummen. Wenn sich alle auf den Heiligen Geist berufen, kann man auch darauf verzichten.

Damit spricht er ein Thema von kaum zu überschätzender Bedeutung und Aktualität an. Denn einige Theologen halten das Wirken des Heiligen Geistes für ein schönes und frommes Bild, dem in der konkreten theologischen und exegetischen Arbeit keinerlei Bedeutung zuzumessen ist; was zählt, sind Argumente, nicht die Berufung auf der Heiligen Geist. Andere wiederum identifizieren ihre theologischen und kirchenpolitischen Lieblingsideen mit der Wirkung des Heiligen Geistes. In der Tat bringt der Rekurs auf den Heiligen jedes Argument zum Verstummen. Wenn sich alle auf den Heiligen Geist berufen, kann man auch darauf verzichten.

Die gesamte Schrift bezeugt die offenbarte Wahrheit

Um dem Dilemma eines geistlosen ebenso wie dem eines spiritualistischen Verständnisses der Heiligen Schrift zu entkommen, gilt es, einige Regeln zu beachten. Eine erste lautet: Die gesamte Heilige Schrift, bestehend aus Altem und Neuem Testament, bezeugt die von Gott geoffenbarte Wahrheit. Wer nur einzelne Elemente aus dem Gesamtgefüge der Bibel herausgreift, wer also eine "Auswahl" (griechisch: Hairesis – Häresie) trifft, steht in Gefahr, die Botschaft zu verzerren.

Und eine zweite Regel lautet: Es bedarf einer inneren Öffnung für jene Dimension der Wirklichkeit, aus der heraus die Heiligen Schriften entstanden sind. Das der Heiligen Schrift angemessene Lesen und Verstehen ist als ein Prozess zu verstehen, bei dem sich das empirische Ich des Lesers zurücknimmt, bei dem es leer wird, um empfänglich zu werden, so wie Jesus leer geworden ist (Phil 2,7). Deshalb sagt der Papst zu Recht: "Christus ist der erste Exeget" (6). Schon mit der Beachtung dieser beiden Regeln wäre viel gewonnen: "Wenn die Heilige Schrift im gleichen Geist gelesen wird, in dem sie geschrieben wurde, bleibt sie immer neu. Das Alte Testament ist nie alt, wenn es einmal Teil des Neuen ist, denn alles wird durch den einen Geist verwandelt, der es inspiriert" (12).

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