Nüchtern und frommWie Franziskus die Liturgie geprägt hat

Liturgie als Raum für Sinnsuche: Papst Franziskus rückte die existenzielle Erfahrung in den Mittelpunkt des Gottesdienstes. Zwischen Schlichtheit und ästhetischer Tiefe suchte er nach Wegen, das Heilige erfahrbar zu machen – und stellte damit eine zentrale Frage neu: Wie kann Liturgie heute berühren?

Papst Franziskus spendet mit einer Monstranz mit dem Allerheiligsten den Segen
Papst Franziskus spendet mit einer Monstranz mit dem Allerheiligsten den Segen "Urbi et orbi" nach seinem Gebet um das Ende der Corona-Pandemie am 27. März 2020.© Vatican Media/Romano Siciliani/KNA

Mit dem Sprichwort "Jesuita non cantat – Jesuiten singen nicht" wird gerne die schmucklose Liturgie des Jesuitenordens beschrieben. Als Franziskus am 19. März 2013 als erster Jesuitenpapst der Kirchengeschichte anlässlich seiner Amtseinführung auf dem Petersplatz erschien, kündigte sich bereits etwas von dieser Nüchternheit an. Im Unterschied zu seinem Vorgänger wählte Franziskus für den ersten Großgottesdienst seines Pontifikats viel schlichtere liturgische Kleidung und ließ auch sonst erkennen, dass er fortan einen weniger aufwendigen Liturgiestil pflegen wollte. Der internationalen Presse entging auch nicht, dass der Papst auf die roten Schuhe verzichtete, die unter Benedikt XVI. für viel Aufsehen gesorgt hatten. Als sich kurz nach dem Amtsantritt auch noch herausstellte, dass Franziskus in der Liturgie gänzlich auf eigenen Gesang verzichten wird, war für viele Beobachter klar, dass der nüchterne jesuitische Stil endgültig im höchsten Amt der Kirche angekommen war.

Keine liturgische Bilanz über das Pontifikat von Franziskus kommt ohne den Vergleich mit Benedikt XVI. aus. Man sollte sich aber vor ideologischen Engführungen hüten. Deshalb möchte ich zunächst auf diejenigen Akzente von Franziskus eingehen, die sich in diese Gegenüberstellung nicht einordnen lassen.

Liturgie und Leben

Zu den ikonischen Momenten seines Pontifikats gehört der außerordentliche Urbi et Orbi-Segen anlässlich der weltweiten Corona-Krise am 27. März 2020. Vor der abendlichen Kulisse des menschenleeren Petersplatzes segnete Franziskus die Stadt und den Erdkreis als erster Papst mit dem Allerheiligsten. An der Schwelle zum Eingang der Petersbasilika ließ er zudem die Ikone "Salus Populi Romani" aus seiner römischen Lieblingskirche Santa Maria Maggiore und das Pestkreuz aus San Marcello al Corso postieren, die beide seit Jahrhunderten von der römischen Stadtbevölkerung in Notlagen angerufen werden.

Mit der Berührung der Marienikone und dem Kuss des Gekreuzigten durchbrach der Papst symbolträchtig das omnipräsente Gebot der physischen Distanz. Zwischen hoher Liturgie und volksfrommen Ausdrucksformen sah der lateinamerikanische Pontifex keinen Gegensatz. Auch wenn in Europa die Volksfrömmigkeit längst an Bedeutung eingebüßt hat, war sie für Franziskus Garant dafür, Liturgie und tägliches Leben zusammenzuführen. Franziskus gestand ihr sogar subversive Kraft zu, weil sie in seinen Augen den unverstellten Glauben einfacher und armer Menschen widerspiegelt und nicht von intellektuellen oder theologischen Überlegungen abhängig ist.

Als oberster Gesetzgeber griff Papst Franziskus aktiv in das liturgische Recht der Kirche ein. Eine auf den ersten Blick kleine Änderung im Messbuch steht exemplarisch dafür, wie eng der römische Pontifex sein pastorales Wirken mit der Liturgie abstimmte. Im März 2016 schaffte er die Beschränkung der Fußwaschung, wie sie seit der Karwochenreform Pius' XII. während der Abendmahlmesse möglich ist, auf Männer ab. Seither ist es auch offiziell erlaubt, Frauen die Füße zu waschen, wobei der Kreis ausgewogen aus Männern und Frauen, Jungen und Alten, Gesunden und Kranken, Klerikern und Laien bestehen soll.

Dahinter steckt weit mehr als nur ein genderpolitisches Signal. Bei der rituellen Umsetzung biblischer Erzählungen wie der Fußwaschung geht es um die Frage, wie der Auftrag Jesu zu verstehen ist. Wird die Szene mimetisch nachgespielt oder das getan, was Jesus ursprünglich intendierte? Auf welche Seite sich Franziskus schlug, stellte er für alle sichtbar unter Beweis, als er mit der alten Tradition brach und am Gründonnerstag die Fußwaschung nicht länger in seiner Bischofskirche am Lateran, sondern in römischen Gefängnissen vollzog. Dort wusch er selbst Nichtchristen die Füße, was auf Bewunderung und Ablehnung zugleich stieß.

Von liturgiewissenschaftlicher Seite wurde damals bemängelt, dass der Papst die Einheit des Triduum Sacrum verdunkle, weil sich die volle Dynamik der Osternacht nur erschließt, wenn die drei heiligen Tage zusammenhängend begangen werden. Demgegenüber rückte Franziskus konsequent die diakonale Dimension der Liturgie in den Vordergrund. Der Fokus lag auf dem Liebesgebot Jesu, das er mit Zeichenhandlungen wie der Fußwaschung rituell sichtbar machen wollte.

Sein Schwerpunkt auf die symbolische Sprache der Liturgie hinderte ihn nicht daran, mit der Predigt einen expliziten rhetorischen Akzent zu setzen. Schon im ersten bedeutenden Lehrschreiben Evangelii gaudium widmete Franziskus der Predigt ein eigenes Kapitel. Was Franziskus darin über die Predigt schrieb, mutet über weite Strecken wie ein Praxisleitfaden an: Die Predigt soll nicht länger als zehn Minuten dauern, in klarer, alltagsnaher Sprache gehalten sein und eine zentrale Botschaft vermitteln. Zugleich warnte Franziskus vor theologischen Fachbegriffen und empfahl stattdessen Bilder, Geschichten und konkrete Beispiele, um das Evangelium mit dem Leben der Menschen zu verbinden. Besonders wichtig war ihm die gute Vorbereitung: Eine Predigt sollte nicht einfach am Schreibtisch entstehen, sondern aus Gebet, Meditation der Bibel und einem offenen Ohr für die Sorgen der Menschen.

Im Gegensatz zur katholischen Seite wurde von der evangelischen sehr deutlich wahrgenommen, dass Franziskus sich mit seiner Predigtlehre protestantischen Positionen annäherte.

Die Fülle an praktischen Ratschlägen darf nicht über die inhaltliche Weiterentwicklung hinwegtäuschen. Im Gegensatz zur katholischen Seite wurde von der evangelischen sehr deutlich wahrgenommen, dass Franziskus sich mit seiner Predigtlehre protestantischen Positionen annäherte. Er sprach der Homilie wiederholt sakramentalen, kerygmatischen und performativen Charakter zu und meinte damit, dass sich die Gegenwart Christi im Wortgottesdienst nicht nur auf die Schriftlesungen, sondern auch auf die Predigt erstreckt. Damit wird deutlich, dass die Predigt nicht nur Auslegung von Schrift und Lehre, sondern selbst Ort realer Gottesbegegnung ist. Während bisher der Prediger über Christus sprach, betonte Franziskus, dass Christus in der Predigt selbst spricht – eine theologisch und ökumenisch bedeutsame Neuakzentuierung, die noch weiterer Reflexion bedarf, um nicht missverstanden zu werden.

Franziskus und die alte Liturgie

Mit seinem nüchtern-pastoralen Liturgiestil allein wird Papst Franziskus wohl nicht in die Liturgiegeschichte des Papsttums eingehen. Viel eher könnte ihm das mit dem Apostolischen Schreiben Desiderio desideravi über die liturgische Bildung von 2022 gelingen, das eine konstruktive Ergänzung zu den Maßnahmen von Traditionis custodes darstellt.

Es ist hinlänglich bekannt, dass Franziskus den liturgischen Zugeständnissen an die Traditionalisten, die sein Vorgänger noch gewährte, äußerst kritisch gegenüberstand.

Hinter beiden päpstlichen Dokumenten verbirgt sich die hartnäckige Auseinandersetzung um die Zugangsbeschränkungen zur vorkonziliaren Liturgie. Es ist hinlänglich bekannt, dass Franziskus den liturgischen Zugeständnissen an die Traditionalisten, die sein Vorgänger noch gewährte, äußerst kritisch gegenüberstand. Benedikt XVI. versuchte den seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil schwelenden Konflikt um die alte Messe mit einem theologischen Kunstgriff zu befrieden, indem er von einem römischen Ritus in zwei Formen sprach und 2007 mit Summorum Pontificum verfügte, dass die vorkonziliare Liturgie neben der nachvatikanischen bestehen dürfe.

Dieser Kompromiss überzeugte Franziskus noch zu Lebzeiten des Vorgängers nicht mehr, sodass er 2021 die weitreichenden Zugeständnisse Benedikts mit Traditionis custodes wieder zurücknahm und den Zugang zur alten Liturgie streng limitierte. Der Schritt kam zwar nicht überraschend, entflammte aber den Streit von Neuem.

Das Hauptargument von Franziskus, die tridentinische Liturgie transportiere ein überholtes Kirchenverständnis, verfängt, wie das Beispiel der Karfreitagsfürbitten zeigt. Wenn sich die kirchliche Lehre so grundlegend verändert, wie dies durch das Zweite Vatikanum etwa im Verhältnis zu Juden und Andersgläubigen geschah, kann die Liturgie davon nicht unberührt bleiben.

Dennoch machte es sich Franziskus zu leicht, wenn er die alte Liturgie pauschal mit Klerikalismus oder gar Sektierertum identifizierte. Denn unabhängig von berechtigter Kritik zeigte nicht zuletzt der kirchenpolitisch unverdächtige Journalist und Autor Tobias Haberl in seinem Buch "Unter Heiden", dass diese liturgische Form für viele Menschen eine ernst zu nehmende spirituelle Erfahrung darstellt und deshalb weiterhin einen Platz in der Kirche verdient.

Desiderio desideravi kann als Versöhnungsgeste zwischen den liturgischen Lagern gelesen werden.

Allem Eindruck nach wollte Franziskus aber nicht als Papst in die Geschichte eingehen, der durch rigide Liturgiepolitik in Erinnerung bleibt. Desiderio desideravi kann daher auch als Versöhnungsgeste zwischen den liturgischen Lagern gelesen werden. Bemerkenswert ist darin die wiederholte Bezugnahme auf Romano Guardini (1885–1968), zu dem Franziskus eine biografische Verbindung hatte. Mitte der Achtzigerjahre begann er an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen eine Dissertation über den deutsch-italienischen Religionsphilosophen Guardini, ließ diese aber unvollendet. Mit dem Rückgriff auf Guardini schlug er zugleich eine Brücke zu seinem Vorgänger Benedikt XVI. Dieser knüpfte noch als Joseph Ratzinger mit seinem Werk "Der Geist der Liturgie" ebenso an Guardinis Klassiker "Vom Geist der Liturgie" an. Trotz eines unterschiedlichen Zugriffes auf sein liturgisches Denken verbindet beide Päpste die zentrale Frage Guardinis: Wie können moderne Menschen heute wieder "liturgiefähig" werden? In dieser Frage liegt letztlich eine tiefe Gemeinsamkeit beider Pontifikate, trotz aller Unterschiede ihrer liturgischen Akzente.

Existenzielle Erfahrungen

Franziskus hinterlässt mit Desiderio desideravi ein liturgisches Testament, das weit über kircheninterne Debatten hinausgeht. Der Papst setzte dabei einen unerwarteten Akzent: Liturgie wird nicht bloß mit dem üblichen Kirchenvokabular beschrieben, sondern über ihr Wesensmerkmal erschlossen, existenzielle Erfahrungen anzusprechen. Der Papst nannte drei Dimensionen, die für ihn grundlegend waren: die Sehnsucht, das Staunen und die Stille. Franziskus machte deutlich, dass im Gottesdienst die tiefe menschliche Sehnsucht nach dem Unendlichen ihren Ort findet. Zugleich öffnet das Staunen den Menschen für das Heilige, und die Stille macht das Geheimnis Gottes erfahrbar. Damit rückte er grundlegende menschliche Erfahrungen in den Mittelpunkt und eröffnete so auch jenen einen Zugang zur Liturgie, die nicht oder nicht mehr selbstverständlich mit kirchlicher Tradition verbunden sind.

Das liturgische Erbe von Franziskus oszilliert zwischen ostentativer Nüchternheit und tiefer Frömmigkeit. Für ihn war die Einfachheit der liturgischen Inszenierung Garant dafür, die symbolische Sprache des Gottesdienstes für heutige Menschen zu erschließen. Dabei knüpfte Franziskus bewusst an Romano Guardini an, der die Bedeutung der einfachen, ursprünglichen liturgischen Symbole betont hatte, um Menschen einen unmittelbaren Zugang zum Geheimnis Gottes zu eröffnen.

Gerade mit seinem bewusst schlichten Zugang zur Liturgie stieß er jedoch auch auf Kritik. Denn nicht wenige Menschen sehen in der rituellen Inszenierung und ästhetischen Tiefe keineswegs bloß unnötigen Prunk oder Klerikalismus, sondern wesentliche Zugänge zum Geheimnis Gottes.

Ob und inwiefern biografische oder kulturelle Prägungen sein Unbehagen gegenüber ritueller Opulenz verstärkten, bleibt offen, erklärt jedoch teilweise die Schärfe seiner Kritik. Die Spannung zwischen asketischer Schlichtheit und dem Bedürfnis nach einer ästhetisch reicheren Liturgie blieb während seines Pontifikats bestehen.

Nicht allein die kunstvolle Inszenierung macht Liturgie heute glaubwürdig, sondern ihre Fähigkeit, Menschen existenziell anzusprechen und berühren zu können – unabhängig davon, ob dies in schlichter oder in reich gestalteter Form geschieht.

Kritiker und Befürworter werden jedoch nicht bestreiten können, dass Franziskus den Blick auf etwas Wesentliches gelenkt hat: Nicht allein die kunstvolle Inszenierung macht Liturgie heute glaubwürdig, sondern ihre Fähigkeit, Menschen existenziell anzusprechen und berühren zu können – unabhängig davon, ob dies in schlichter oder in reich gestalteter Form geschieht. Gerade darin liegt eine Stärke seines Pontifikats, auch wenn Franziskus dabei gelegentlich jene übersah, für die gerade die ästhetische Dimension der Liturgie bedeutsam ist.

Liturgie hat der Lateinamerikaner nicht allein innerkirchlich verortet, sondern als Einladung verstanden, existenziellen Fragen nachzugehen – Fragen nach Sinn, Gemeinschaft und letztlich nach Gott. Wer Franziskus so versteht, kann ihm trotz aller berechtigten Kritik kaum absprechen, dass er mit seinem liturgischen Vermächtnis den Kern dessen traf, was Menschen heute dringend brauchen: Orte, an denen die existenziellen Fragen der Menschen ernst genommen und liturgisch erfahrbar gemacht werden.

COMMUNIO im Abo

COMMUNIO will die orientierende Kraft des Glaubens aus den Quellen von Schrift und Tradition für die Gegenwart erschließen sowie die Vielfalt, Schönheit und Tiefe christlichen Denkens und Fühlens zum Leuchten bringen.

Zum Kennenlernen: 1 Ausgabe gratis

Jetzt gratis testen