Gottesfurcht bindet und lässt freiWozu dienen die Regeln im Kloster?

Mönche und Nonnen unterstellen sich freiwillig den Regeln im Kloster, weil sie ihnen einen Freiheitsraum eröffnen. Klingt paradox? Es funktioniert aber!

Bruno Rieder
© Henning Angerer

"Die geplante Streichung der Agrardiesel-Vergünstigung brachte nur das Fass zum Überlaufen", konnte man von protestierenden deutschen Bauern in den vergangenen Wochen hören. "Der tiefere Grund unserer Empörung ist die erstickende Überreglementierung der Landwirtschaft durch Bund und EU." Warum ist nichts zu hören von Mönchsprotesten? "All diese klösterlichen Vorschriften bis in jeden Lebensbereich hinein, das würde ich nicht aushalten. Das kommt mir vor wie im Gefängnis", sagten mir öfters Gymnasiasten an unserer Schule, wenn wir auf die Mönchsberufung zu sprechen kamen. 

Das Bild vom Gefängnis aufnehmend, gibt Bernhard von Clairvaux folgende Antwort auf die Frage, warum Mönche Regeln nicht als unerträgliches Joch erfahren: "Welch größeres Wunder gibt es als so viele Jugendliche, so viele Heranwachsende, so viele Edle, kurz alle, die ich hier anwesend sehe wie in einem Gefängnis mit offenen Türen: Sie werden durch keine Fessel zurückgehalten, sie sind hier nur angebunden durch Gottesfurcht. Sind dies nicht offenbare Zeichen dafür, dass der Heilige Geist in euch wohnt."

Klösterliche Regeln sind nicht Frucht von Fremdbestimmung. Der reife Mönch unterstellt sich ihnen freiwillig – weil sie ihm einen Freiheitsraum eröffnen. "Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit." (2 Kor 3,17) Ein Beispiel: Die Sitzordnung bei Tisch ist durch die Benediktsregel diskriminierungsfrei festgelegt. Die Mönche nehmen gemäß dem Zeitpunkt ihres Klostereintritts Platz. Kein Stress, weil ich gewissen Mitbrüdern lieber ausweichen möchte. Keine Angst, dass sich niemand neben mich setzt. Ich kann mich ungestört auf das Essen und die Tischlesung konzentrieren. Und wenn an Sonn- und Feiertagen Gelegenheit zum Gespräch ist: Das schlichte Faktum, dass mich die "Rangordnung in der Gemeinschaft" (RB 63) neben einen bestimmten Mitbruder setzt, ist klösterliches Nudging, dass ich den vielleicht abgerissenen Beziehungsfaden wieder aufnehme.

Standbein und Spielbein

Regeln sind das Standbein. Sie erleichtern den Alltag. Benedikt von Nursia achtet stets auf eine gute Balance zwischen den Polen. Auch das Spielbein ist wichtig. Sonst wird das Leben nach Regeln zur abstumpfenden Routine. Unseren Disentiser Klosterkandidaten stellt die "Novizenordnung" zwei alttestamentliche Prototypen vor Augen. Der Erzvater Isaak wird aufgefordert, im verheißenen Land zu "bleiben", auch wenn er darin noch ein "Fremder" ist (Gen 26,1-6). Abraham hingegen zieht weg aus seinem Land, seiner Verwandtschaft und seinem Vaterhaus (Gen 12,1). Bleiben und Aufbruch. Die klösterliche Ordnung sieht auch Zeiten der freien Sitzwahl vor, beim Nachmittagskaffee, bei der abendlichen Freizeit. "Ungezwungener" Austausch kann in Gang kommen: Freies Spiel der Wort-Bälle, die man sich zuwirft. Raum für überraschende Begegnungen.

Benediktinische Regelung ist kein Abwehrzauber gegen den Sturz ins Bodenlose. Sie hilft, den Weg ins Weite, in die Selbstverantwortung zu gehen.

Sicherheit oder Freiheit – dies ist einer der fundamentalen gesellschaftlichen Antagonismen der Gegenwart. Regulierungs- und Kontrollwahn kann auch verstanden werden als Folge religiöser Obdachlosigkeit im Sinne Nietzsches: "Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? (…) Irren wir nicht durch ein unendliches Nichts?"

Benediktinische Regelung ist kein Abwehrzauber gegen den Sturz ins Bodenlose. Sie hilft, den Weg ins Weite, in die Selbstverantwortung zu gehen: "Wer aber im monastischen Leben und im Glauben fortschreitet, dem wird das Herz weit." (RB Prolog 49) Gottesfurcht bindet und lässt frei.

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